WIEN. (hpd) Die Große Koalition hat im Nationalrat eine kleine Revolution im ORF-Gesetz beschlossen. Erstmals haben Kirchenvertreter keinen automatischen Sitz mehr im Stiftungsrat des öffentlichen-rechtlichen Rundfunks. Ein plötzlicher Anflug von Laizität bei den Regierungsparteien lässt sich als Motiv freilich ausschließen.
Eine Erbpacht der katholischen Kirche ist gefallen. Der automatische Sitz im Stiftungsrat des ORF, dem obersten Aufsichtsorgan des öffentlich-rechtlichen Rundfunks, ist weg. Das ist das Ergebnis einer kleinen Änderung im ORF-Gesetz, die SPÖ und ÖVP im Nationalrat beschlossen haben.
So zumindest die verkürzte Botschaft. Die Realität ist etwas komplexer und gleichzeitig banaler. Neben dem Stiftungsrat, einem nach komplizierten Regeln politisch besetzten Gremium, gibt es den Publikumsrat. In diesen entsenden verschiedene Kammern und Einrichtungen ihre Vertreter – etwa Arbeiter- und Wirtschaftskammer, der ÖGB, die katholische und die evangelische Kirche (nicht aber Konfessionsfreie und Muslime), Universitäten, Konsumentenschutzorganisationen und so weiter.
Änderung erleichtert Regierungsmehrheit im Stiftungsrat
Sechs dieser Publikumsräte werden in den Stiftungsrat entsandt. Bislang stand die Hälfte dieser Mandate je einem Vertreter der Hochschulen, der Kunst und eben der katholischen Kirche zu. Mit der Gesetzesänderung dieser Woche hat die Große Koalition diese Beschränkung aufgehoben. Der Publikumsrat kann künftig auch über diese drei Mandate frei entscheiden.
Opposition, ORF-Redakteure und Journalistenvereinigungen sehen hinter der Gesetzesänderung wenig hehre Motive. Mit der neuen Regelung könnten die Regierungsparteien einfacher als bisher drei weitere ihnen nahe stehenden Vertreter in den Stiftungsrat senden als das bisher der Fall war, sagen sie.
Und verweisen darauf, dass viele der Einrichtungen, die Mitglieder in den Publikumsrat entsenden, ein Naheverhältnis zu jeweils einer der beiden Regierungsparteien haben. Die Landwirtschaftskammer etwa ist schwarz, der ÖGB rot. In Summe ergibt das für SPÖ und ÖVP eine strukturelle Mehrheit im Publikumsrat.
Und es ist nicht gesagt, dass im neuen Stiftungsrat, der sich bald konstituieren soll, kein Kirchenvertreter mehr sitzt. Nur, dass es nicht mehr garantiert ist. Um Laizität scheint es bei dieser Gesetzesreform nicht gegangen zu sein.
Max Bitter