LOUISANA. (hpd) Der heute 64-jährige Glenn Ford ist nach beinahe 30 Jahren aus dem Todestrakt des berüchtigten Gefängnisses Angola entlassen worden. Er war wegen eines Mordes zum Tode verurteilt worden, den er nicht begangen hatte – auf Basis einer bestenfalls dürftigen Beweislage.
“Ich werde jetzt mal was essen gehen”. Das sagte Glenn Ford auf eine Reporterfrage, was er unmittelbar nach seiner Entlassung tun werde. Die neue Freiheit beginnt mit kleinen Schritten. Für Glenn Ford war ein Essen, das er sich selbst aussuchen darf, dessen Zeitpunkt er selbst bestimmen darf, beinahe 30 Jahre lang ein nahezu unvorstellbarer Luxus.
Drei Jahrzehnte lang saß Ford im Todestrakt des berüchtigten Gefängnisses Angola im US-Bundesstaat Louisiana. “Als ich wegging, waren meine Söhne Babies. Heute sind sie erwachsene Männer, die selbst Babies haben”, sagte er auf einer improvisierten Pressekonferenz am Dienstagabend (Ortszeit), unmittelbar nach seiner Entlassung. “Ich habe 30 Jahre meines Lebens verloren, wenn nicht mein Ganzes.”
Ein Hinrichtungstermin wurde aufgeschoben
Dass er diese Worte sagen kann, kann man als beinahe glücklichen Umstand bezeichnen. Am 28. Februar 1991 war bereits ein Termin am elektrischen Stuhl für ihn reserviert gewesen. Ein Einspruch rettete ihn damals. Vorübergehend. Dass der heute 64-Jährige nie wieder Angst haben muss, hingerichtet zu werden, steht erst seit wenigen Tagen fest.
Den Raubmord an einem weißen Juwelier in der Stadt Shreveport, an dem zwölf ausschließlich weiße Geschworene den Afroamerikaner 1984 für schuldig befunden hatten, hat er nicht begangen. Das hat die Anklagebehörde des Bezirks zugegeben. Er sei nicht einmal am Rande an der Tat beteiligt gewesen, begründete die Staatsanwältin, warum sie Ende vergangener Woche die Freilassung Fords beantragte.
Staatsanwaltschaft ließ sich Zeit, bis sie Freilassung beantragte
Ein Schluss, zu dem die Anklagebehörde laut Medienberichten um einiges früher hätte kommen können. Seit Ende 2013 hatte die Staatsanwaltschaft eine Zeugenaussage vorliegen, die Ford entlastete.
Ein Mordverdächtiger belastete einen Mann, der 1984 Mitangeklagter Fords gewesen war, gegen den die Anklage aber seinerzeit fallen gelassen wurde. Es dauerte weitere drei Monate, bis man die Freilassung eines Mannes beantragte, der unschuldig zum Tode verurteilt worden war.
Nicht der erste Fehler
Nicht der erste auffällige Fehler im Verfahren des Bundesstaats Louisiana gegen Glenn Ford, wie Andrew Cohen nach peniblen Recherchen für das Magazin The Atlantic schreibt. Eine mehr als wackelige Anklage am Beginn des Verfahrens, inkompetente Pflichtverteidiger, die noch nie einen Strafprozess geführt hatten, ein Staatsanwalt, der sicherstellte, dass keine Schwarzen auf der Geschworenenbank saßen, die Polizei, die möglicherweise eine Belastungszeugin beeinflusst hat. Gefolgt von Gerichten, die ernsthafte Zweifel am Schuldspruch und der Todesstrafe gegen Ford hatten – und das Urteil nie aufhoben.
Nie Beweise im engeren Wortsinn
Beweise im engeren Sinn gegen den damals 34-Jährigen hatte es nie gegeben. Die Polizei fand nach dem Raubmord am Juwelier Isador Rozeman nie die Waffe, mit der der Mann erschossen worden war. Und hatte ursprünglich zwei Brüder im Verdacht, mit denen Ford lose befreundet gewesen sein dürfte. Augenzeugen gab es keine. Der einzige Fingerabdruck am Tatort fand sich auf einer Tasche. Und das war nicht mal ein vollständiger.
Der Fingerabdruck passe zu Ford, sagte während des Prozesses ein Polizist, den die Staatsanwaltschaft als Experten aufgerufen hatte. Der Mann hatte allerdings keine Ausbildung zum Fingerabdruckexperten.
Belastungszeugin zieht Aussage zurück
Eine Freundin eines Mitangeklagten sagte zuerst aus, sie habe ihren Freund und seinen Bruder gemeinsam mit Ford am Weg zu Rozeman gesehen. Ford habe eine Schusswaffe gehabt. Sie zog die Aussage später unter Tränen zurück und sagte, die Polizei habe sie dazu angestiftet.
Dass Polizeiinformanten den Ermittlern gesagt hatten, dass Ford mit der Sache nichts zu tun hatte, ließ die Staatsanwaltschaft unter den Tisch fallen.
Schwache Indizien reichten für Todesurteil
Die einzigen Indizien, die Ford in irgendeiner Form mit dem Verbrechen in Verbindung brachten: Er hatte gelegentlich bei Rozeman Rasen gemäht. Und er hatte – auf Bitten eines Mitangeklagten hin – nach dem Verbrechen versucht, Schmuckstücke zu verpfänden, die einigen Stücken ähnlich sahen, die bei Rozeman geraubt worden waren.
Für die zwölf ausschließlich weißen Geschworenen reichte das, um allenfalls vorhandene begründete Zweifel zu beseitigen. Sie sprachen den Afroamerikaner Ford nach nicht einmal dreistündiger Beratung schuldig.
Lebender Beweis für Fehleranfälligkeit des Systems
Fords Verteidiger im ursprünglichen Verfahren taten wenig bis gar nichts. Sie riefen keine eigenen Experten in den Zeugenstand und zeigten sich nach den Recherchen von Andrew Cohen überfordert. Wenig überraschend. Einer arbeitete für eine Versicherung. Der zweite war Experte für Bewilligungen für Öl- und Gasbohrungen.
Sämtliche Berufungen gegen das Urteil scheiterten. Obwohl Gerichte mehr als einmal “ernsthafte Zweifel” angemeldet hatten. Und obwohl später erfahrene Anwälte von Organisationen gegen die Todesstrafe dem Verurteilten zur Seite standen.
“Glenn Ford ist der lebende Beweis, wie fehleranfällig unser Justizsystem ist”, sagt Thenjiwe Tameika McHarris von Amnesty International USA. “Wir sind entschlossener als zu vor, die Todesstrafe ein für alle Mal zu beenden.”
Der 114. nachweislich unschuldig zum Tode Verurteilte
Glenn Ford wird sich in den nächsten Wochen und Monaten wieder in die Freiheit einleben können. Ob er es nach 30 Jahren Gefängnis schafft, mit einem Leben außerhalb einer Zelle zurecht zu kommen, ist ungewiss.
Wenigstens finanziell dürfte er halbwegs abgesichert sein. Ihm steht eine Haftentschädigung zu. Für jedes Jahr, das er unschuldig im Gefängnis saß, stehen ihm in Louisiana 25.000 Dollar Entschädigung zu. Plus eine Pauschalentschädigung von 80.000 Dollar. Sein verlorenes Leben kann er sich damit freilich nicht zurückkaufen.
Glenn Ford ist der 114. zum Tode verurteilte Gefängnisinsasse, der seit der Wiedereinführung der Todesstrafe in den USA 1976 als Unschuldiger das Gefängnis verlassen durfte. Wie viele Menschen in diesem Zeitraum unschuldig hingerichtet worden sind, weiß niemand.
Max Bitter