Warum ist Europa wichtig? (3)

Warum ist es konkret zur Abschaffung von Kirchenprivilegien und zur Umsetzung konsequenter Menschenrechtspolitik und Selbstbestimmung wichtig, am 25. Mai zur Europawahl zu gehen?

Europa – nicht nur die EU – steht für eine Region mit einer tiefen Verankerung individueller Grundrechte und für eine dazu gehörenden Rechtstradition. Der europäische Prozess kann so gestaltet werden, dass immer mehr Rechte eben nicht nur den jeweiligen Bürger*innen der Mitgliedstaaten, sogar nicht nur EU-Bürger*innen zugestanden werden, sondern tatsächlich für alle Menschen gelten. Unabhängig von Bekenntnis oder Religionsgemeinschaftszugehörigkeit.

Während in den Mitgliedsstaaten historische Kompromisse geschlossen wurden, die Religionskriege beendeten, bietet Europa einen Raum, in dem ein Leben für Menschen mit wie ohne Bekenntnis in einer religiös pluralen Gesellschaft gestaltet werden muss. Dazu kann es aber nur kommen, wenn die europäische Integration fortgeführt wird. Und dies wird auch an der Wahlbeteiligung gemessen werden.

Insofern sollte jedeR, der oder die sich für eine Verbesserung der EU oder auch ein anderes Europa einsetzen will, hier ein Zeichen gegen das Zurück zum alten Nationalstaat setzen.
Ansonsten besteht die Gefahr, dass mit der EU auch Institutionen wie die Charta der Grundrechte in Frage gestellt werden, wie dies der britische Premier Cameron betreibt.

 

Wie ist Ihre Einschätzung der aktuellen Lage in der Europapolitik hinsichtlich einer Säkularisierung?

Ein säkulares Europa ist ein Langzeitprojekt. Ich denke aber, dass drei Aspekte kurzfristig erreichbar sind:

  1. Das Primat individueller Grundrechte, hier auch eine soziale Dimension derselben.
  2. Personelle und finanzielle Entkopplung von Religion und Politik sowie Transparenzkriterien für die Verwendung staatlicher Gelder.
  3. Eine EU ohne „Staatsreligion“, bei der in den Mitgliedsstaaten Religionsfreiheit garantiert ist.

Ich halte die Zeit auch für richtig, mit dem Vatikan in Gespräche zu treten, ob dieser bereit ist, ein säkularisiertes Naturrechtsverständnis zu übernehmen und dem Europarat beizutreten.

Dies sind aber Einzelmaßnahmen. Insgesamt sollte die europäische Gesellschaft schlicht die Debatte führen, welchen Gesellschaftsvertrag sie sich geben will. Und in der Religionspolitik liegt ein Großteil der Entscheidungen über unser zukünftiges Miteinander.

 

Außer vom Wahlrecht Gebrauch zu machen: Was können Einzelne tun, um sich für das Recht auf ein selbstbestimmtes Leben ohne Gewalt und Diskriminierung und eine weitere Säkularisierung einzusetzen?

Die Debatte führen. Im Privaten, in der Schule, im Stadtrat, im Parlament und auch in der Wissenschaft. Religionspolitik ist seit Jahrhunderten ent-thematisiert worden. Es fehlen säkulare Konzepte, Studien, Lehrstühle und Arbeitskreise.

Wenn Gesetzesnovellen kommen, müssen wir vorbereitet sein. Beim nächsten europäischen Vertragsentwurf müssen wir Säkulare wissen, was wir genau wollen und entsprechende Formulierungen entwickelt haben.

Das Interview führte Corinna Gekeler

 

Bislang in der Interview-Serie zur Europawahl erschienen:

Sophie in ´t Veld: Europa-Abgeordnete der niederländischen linksliberalen D66 und Vorsitzende der Europäischen Plattform für Säkularismus in der Politik (EPPSP)
 

Dr. Margret Steffen: Gewerkschaftssekretärin für Gesundheitspolitik in der ver.di-Bundesverwaltung und Expertin für gewerkschaftliche Europapolitik