Der Papst kam wohl zu früh

Wie üblich hätte Gundolf Hambrock nach seiner Aussage bereits in den Sommerferien die im folgenden Schuljahr zu verteilenden Texte grob geplant. Deren Besprechung hätte er - nachdem der entsprechende Wortschatz vertieft worden wäre - für den April 2012 vorgesehen. Da habe er noch nicht ahnen können, dass die Junge Welt einen thematisch passenden, kritischen Bericht im September abdrucken würde.

Mal angenommen, der Vorwurf der Schulleitung an Gundolf Hambrock wäre wirklich nur jener gewesen, dass ihr die Zeitspanne zwischen Verteilen des Artikels und dessen Besprechung zu lange erschien. Hätte es dann keinen Streit gegeben, wenn der Papst erst im März des Folgejahres in Deutschland erschienen wäre, also kurz vor der geplanten Besprechung der Texte?
In diesem Fall wäre Benedikt eindeutig zu früh gekommen!

Jedoch bediente sich Schulleiter Rau eines weiteren Hilfsarguments, indem er behauptete, der Lehrer habe gar nicht vorgehabt, den Junge Welt-Artikel zu besprechen. Er sei ausschließlich als Agitation gegen Religion gedacht gewesen. Der Vorsitzende Richter Dr. Christ fragte also nach: “Hatten Sie vor, diesen Text in der Klasse zu behandeln?” Gundolf Hambrocks klare und nachvollziehbare Antwort: “Ja, selbstverständlich, doch mir wurden Anfang 2012 die Kurse entzogen, so dass es nicht mehr dazu kam.” Sogar den Zeitrahmen, in dem er die Texte besprechen wollte, konnte der Lehrer beweisen. Obwohl dies eindeutig in den Akten stand, hatten dies sowohl das Gericht, als auch die Beklagten übersehen. Die Folge war Verwirrung, minutenlanges Blättern, bis jedem klar war, dass Herr Hambrock die Wahrheit gesprochen hatte. Er erklärte auch überzeugend, dass Planungen für ein Schuljahr immer eine gewisse Flexibilität bräuchten, um sich an den Lernfortschritt der Schüler und aktuelle Ereignisse anzupassen. Nicht alles sei realisierbar.

Nachdem also diese Strategie der Beklagten nicht fruchtete, packte der Schulleiter den Vorwurf aus, mehrere Eltern hätten sich über diesen Artikel beschwert. Dies wurde jedoch überzeugend von Frau Dr. Andres korrigiert. Eine einzige Person, die nicht zu verifizieren sei, wäre die einzige gewesen, die sich beschwert hätte. Von Eltern der Schüler ginge dies nicht aus. Als dann die Beklagten über angebliche, andere Verfehlungen des Lehrers berichten wollten - offenbar die letzte “Munition” des staatlichen Schulamtes - bremste sie der Vorsitzende Richter und lehnte es mit Blick auf den Streitgegenstand dezidiert ab, die Leistungen Herrn Hambrocks zu bewerten.

Ich frage mich: Wenn hier auf eine weltanschauliche Neutralität für Lehrer abgehoben wird, wo bleibt für Schulleiter Rau die weltanschauliche Neutralität seiner Religionslehrer? Wird dort auch ausgewogen darüber informiert, dass es selbstverständlich jedem Menschen freisteht, ob er an religiöse Märchen glauben will oder nicht? Darüber, dass es historisch eine Menge Zweifel an der theologischen Sicht der Religionsentstehung gibt? Warum darf an Schüler – auch an solche, die deutlich jünger als 17 bis 18 Jahre alt sind, die Bibel verteilt werden? Ich zitiere aus der Kinderbibel “Gute Nachricht für dich”: (1 Mose, 19) Die beiden [Engel] wollten sich eben schlafen legen, da liefen alle Männer von Sodom, alt und jung, zusammen und umstellten das Haus. “Lot, Lot”, riefen sie, “wo sind die Männer, die heute Abend zu dir gekommen sind? Gib sie heraus, wir wollen mit ihnen Verkehr haben!”
Lot trat vor das Haus und zog die Tür hinter sich zu. “Begeht doch nicht ein solches Verbrechen!”, rief er, “ich habe zwei Töchter, die noch kein Mann berührt hat. Ich will sie euch herausbringen; macht mit ihnen, was ihr wollt. Aber die beiden Männer behelligt mir nicht; sie sind meine Gäste und stehen unter meinem Schutz.”
Werden diese furchtbaren Texte, von denen es Hunderte in der Bibel gibt, in ihrer Gänze so in der Schule besprochen und mit ethischen Gegenbeispielen belegt, dass Schulkinder dies richtig einordnen können? Oder kann es sein, dass diese Texte den Kindern mit nach Hause gegeben werden und sie dort auf den Gedanken bringen, es sei moralisch einwandfrei – wie Lot nach Einschätzung Gottes war – seine minderjährigen Töchter dem Mob zur Vergewaltigung preiszugeben? Ich fürchte jedoch, dass es noch lange dauern wird, bis ein Religionslehrer wegen der Verteilung einer Kinderbibel eine schriftliche Missbilligung seiner Schulleitung erhält.

Das Urteil im Falle des unliebsamen Englischlehrers fiel zugunsten der pädagogischen Freiheit, zugunsten einer Erziehung zum kritischen Nachdenken über die Institution Kirche und die Rolle des Papstes dabei aus. Ob das staatliche Schulamt Rechtsmittel einlegen wird, ist noch nicht bekannt.

Die Kosten des Verfahrens (Streitwert 5.000 Euro) hat nun übrigens das Land Hessen zu tragen – und damit der Steuerzahler. Sollte man dies auch auf die lange Liste kirchlicher Steuerverschwendung setzen?