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Darwin und das Leid

Lewis scheint sich der Schwäche seines Arguments denn auch bewusst zu sein, wenn er schließlich sogar über die “Unsterblichkeit der Tiere” zu spekulieren beginnt. Doch dass Gott sich genötigt fühlen sollte, die Tiere im Himmel für ihr Leiden auf Erden zu entschädigen, kommt einer Kapitulation vor dem Theodizee-Problem gleich.

Ein metaphysikfreier Versuch einer Theodizee ist unlängst von dem britischen Philosophen Michael Ruse unternommen worden. Obgleich selbst Atheist, hat sich Ruse in den vergangenen Jahren mehr und mehr zu einem Gegenspieler von Dawkins entwickelt. Dessen Buch “Der Gotteswahn” kommentierte er mit der Bemerkung, dass es eine “Schande für den Atheismus” sei. In seinem Buch “Can A Darwinian Be A Christian?” versucht Ruse denn auch, Dawkins mit seinen eigenen Waffen zu schlagen. Hierzu greift er Dawkins’ Bemerkung auf, dass, wo auch immer wir im Universum auf Leben stoßen sollten, es sich dem Prozess der Evolution durch natürliche Selektion verdanken werde.

Geradezu triumphierend behauptet Ruse, dass Dawkins mit dieser Bemerkung den Christen unfreiwillig in die Hände gespielt habe: Denn wenn es keine Alternative zur Evolution gebe, habe Gott selbstverständlich auch keine andere Wahl gehabt, als seine Schöpfung den Gesetzen von Mutation und Selektion zu unterwerfen. Dass die Tiere einer “Natur mit Zähnen und Klauen blutigrot” ausgeliefert sind, sei daher einfach der unvermeidliche Preis der Schöpfung.

Doch dies ist natürlich ein billiger Trick. Dawkins hat nie behauptet, dass es überhaupt keine Alternative zur Evolution gebe. Er hat lediglich gesagt, dass, wo auch immer Leben von selbst entsteht, es sich sicher unter denselben Darwinschen Gesetzmäßigkeiten entwickelt haben wird wie das Leben auf unserer Erde. Davon, dass selbst ein allwissender Gott auf die Evolution durch natürliche Selektion angewiesen sein würde, war nie die Rede. Zu behaupten, dass Gott außerstande gewesen sei, eine Natur zu schaffen, in der es kein Gesetz des Fressens und Gefressenwerdens gebe, ist erneut eine reine ad hoc Behauptung.

In einem Interview mit der BBC ist der bekannte Tierfilmer Sir David Attenborough einmal gefragt worden, wie er es mit der Religion halte. Denn in keiner seiner Dokumentationen habe er je das Wort “Schöpfer” gebraucht. Attenborough antwortete, dass er keineswegs blind für die Schönheit der Natur sei. Doch neben den Orchideen, den Schmetterlingen und den Paradiesvögeln sehe er auch einen dreijährigen Jungen in Westafrika, dessen Augapfel von einem Wurm durchbohrt werde und ihn erblinden lasse, bevor er das fünfte Lebensjahr erreicht. “Bereits die Existenz solch parasitärer Würmer scheint mir gegen die Idee eines barmherzigen Schöpfers zu sprechen.”

Attenboroughs Antwort erinnert stark an eine Aussage Darwins. In einem Brief an seinen Freund Asa Gray schrieb er einmal: “Ich kann mich nicht zu der Ansicht überreden, dass ein wohlmeinender und allmächtiger Gott die Ichneumonidae ausgerechnet mit der Absicht geschaffen haben soll, dass sie sich im lebenden Körper von Raupen ernähren.” Die Ichneumonidae sind eine Klasse parasitärer Wespen. Mit einem gezielten Stich lähmen sie die motorischen, nicht aber die sensorischen Nerven einer Raupe, um dann ihre Eier darin abzulegen. Wenn die Larven schlüpfen, fressen sie sich ihren Weg durch den lebenden Körper ihres Wirts.

Wir wissen nicht, ob Raupen Schmerz empfinden können. Doch ich glaube der Grund, weshalb Darwin das Beispiel der Ichneumoniden gewählt hatte, bestand auch nicht darin, zu zeigen, wie sehr Tiere leiden, sondern darin, welche Rückschlüsse wir auf den Charakter des Schöpfers ziehen müssten, wenn wir in der Natur ein Werk Gottes erblicken wollten: Was sagt die Schöpfung von Parasiten, die ihren Wirt von innen auffressen, über den Schöpfer aus?

Die Theologen können sich daher also auch drehen und wenden, wie sie wollen, eine Natur mit Viren, Bakterien und Parasiten, die nicht nur über Menschen, sondern auch über Tiere herfallen, lässt sich einfach nicht mit dem Glauben an einen fürsorgenden und barmherzigen Gott vereinbaren. Das bedeutet wohlgemerkt nicht, dass der Darwinismus den Theismus widerlegt hätte. Keineswegs! Es ist nach wie vor möglich, an einen Schöpfer zu glauben. Doch von diesem Schöpfer ließe sich vieles sagen – dass er gleichgültig, launisch, erbarmungslos, grausam oder gar zynisch sei –, nur eines mit Sicherheit nicht: dass er gütig sei!

Und dies war letztlich auch die Ansicht von Charles Darwin. Seine Idee der Evolution hat ihn nicht zu einem Atheisten, sondern lediglich zu einem Agnostiker werden lassen, der sich bis an sein Lebensende mit der Gottesfrage quälte.

Ein Grund für diese Qual wird im Film “Creation” denn auch sehr eindringlich dargestellt: Seine Frau Emma, gespielt von Jennifer Connelly, liebt Charles so sehr, dass es ihr förmlich Schmerzen bereitet, sich vorzustellen, dass sie wegen seiner Zweifel im nächsten Leben vielleicht nicht zusammen sein sollten.

 

Trailer (engl.)


Creation (GB 2009). Regie: Jon Amiel, Darsteller u.a.: Paul Bettany, Jennifer Connelly, Martha West, Benedict Cumberbatch, Jeremy Northam, Toby Jones.