Pilatus im Interview (1)

Trotzdem haben Sie Jahrzehntelang dem neuen Regime gedient. Warum haben Sie nach all den Erlebnissen ihrer Familie eine Laufbahn unter den Eroberern und Unterdrückern eingeschlagen. Sie traten in die Dienste von Augustus, dem Erben Caesars.

Livia, die Frau von Augustus, hat ihren Vater während des Bürgerkrieges, durch die Terrormaßnahmen ihres späteren Gatten, verloren. Ihr Sohn aus erster Ehe, Tiberius, der später Augustus nachfolgte und mein Dienstherr wurde (14 u. Z. bis 37 u. Z.), hatte beinahe durch sein Kleinkindgeschrei die Verfolger auf seine flüchtige Familie gelenkt (40 v. u. Z). Wir alle hatten an unserem Schicksal zu tragen.

Das geniale Befriedungswerk des vergöttlichten Augustus, während seiner Alleinherrschaft (seit 30 v. u.Z.), hat eine Zeit der Kriege und kleptokratischen Heimsuchung der unterworfenen Völker beendet. Die Zusammenfassung der bekannten Welt durch das Imperium gereichte endlich allen betroffenen Völkern zum Vorteil. Unter Augustus haben wir sichere Grenzen geschaffen. Danach herrschte über 200 Jahre lang überwiegend Frieden, der - wenn überhaupt - dann nur kurz und niemals substanziell unterbrochen wurde. Eure Geschichtsschreibung hat dies mehr als deutlich gemacht. Ich gehöre einer Generation an, welche in diese Pax Romana hineingeboren wurde, aber denen die Schrecken des Bürgerkrieges noch durch die Älteren gewärtig waren. Während unserer Kindheit wurde uns die Geschichte von Herakles am Scheideweg erzählt. …

 

Sie ist auch heute noch in unseren Nacherzählungen der griechischen Mythologie erhalten.

… Dort versuchen die „Tugend“ und das „Laster“, jeweils dargestellt durch eine elegante und eine ordinäre Frau, den Heroen für ein entsprechendes Leben zu gewinnen. Herakles entscheidet sich für die Tugend. Diese hat nicht mit Gottesbefehl und Höllenfeuer gedroht, sondern mit dem erfüllten Leben, desjenigen der sich für die Gemeinschaft einsetzt, geworben. Ein Leben in dem man Herausforderungen meistert, Anstrengungen auf sich nimmt, wohlverdiente Anerkennung erwirbt, um sich dabei vielleicht seltener, aber doch vielfach mehr genießend, den wohlverdienten Freuden des Daseins hinzugeben. Auch ich habe versucht meinen Weg so zu gehen.

 

Und ein Leben der Herausforderungen, im Dienste der Gemeinschaft, war für Sie zunächst ein Leben als Soldat. Haben Sie denn nie an dem Sinn eines Lebens gezweifelt, dass fern der Heimat dem Krieg gewidmet ist und der Aufrechterhaltung der Fremdherrschaft über andere Völker?

Vor dem Imperium war die Welt in Stämme, Stadtstaaten und fünf Großmächte zersplittert, ständig gab es Kriege, ganze Städte wurden ausgelöscht und die Menschen in Sklaverei verschleppt.

 

Dieses Schicksal wurde Karthago und Korinth durch Rom selbst bereitet. Eine der erwähnten Großmächte.

Rom hatte vorher seine Lektion von den Galliern erhalten. Die Stadt wurde erobert und geplündert. Seitdem war es die Überzeugung unserer Staatsmänner: Man kann Krieg nicht vermeiden, nur verzögern. Deshalb nutzt man gegebenenfalls die Gunst der Stunde. Aber zu Zeiten des Augustus war die Welt zur Ruhe gekommen.

Wie ich schon sagte: Wir wollten nur noch Flüsse und Gebirge als natürliche Grenzen konsolidieren und den inneren Frieden aufrechterhalten, damit die Bevölkerung die Pax Romana als Errungenschaft spürt und das Reich stabil bleibt. Die Stabilität des Reiches bedeutete auch die Stabilität unserer Privilegien. Somit war unser Eigennutz mit den Interessen der Völker verkoppelt. Augustus (reg. 30 v. u. Z. bis 14 u. Z) war darauf angewiesen, die Armee auf Grenzsicherung zu beschränken, dazu musste die Herrschaft sich nach innen selbst tragen. Andernfalls hätte er eine größere Armee benötigt, was die Gefahr eines Rivalen aus den Reihen der Feldherren vergrößert hätte. Er ließ auch der Idee der Pax Romana durch Vergil poetischen Ausdruck verleihen.

 

Den Menschen die in den früheren Jahrhunderten durch Roms Expansion zu Grunde gegangen sind, hat ihre Pax Romana sicher nichts genutzt.

Meine Generation hat die römische Welt bereits vorgefunden. Ich denke, wir haben für kommende Generationen etwas Besseres daraus gemacht. Zumindest war ich davon zeitlebens überzeugt. Als Augustus eine seiner Schiffsreisen unternahm, wurde er bei Verlassen des Hafens von Passagieren und Matrosen vorbeifahrender Schiffe erkannt. Eine Welle des Jubels brandete ihm entgegen. Viele dieser weitgereisten Menschen riefen ihm Dankesworte zu und bekannten, dass sie ohne ihn und sein Lebenswerk schon längst von Seeräubern ermordet oder versklavt worden wären.

Und in der Tat, zu diesen Zeiten war das Mare Nostrum - einst von Piraten und kriegerischen Seemächten durchseucht - ein friedliches Binnengewässer wo gelangweilte Polizeiflotillen vor sich hin dümpelten. Ich bin sicher, auch dieser Apostel Paulus hat dies während seiner Missionsreisen zu schätzen gewusst, ganz zu schweigen von den jüdischen Pilgern die aus der ganzen römischen Welt nach Jerusalem kamen. Wahrscheinlich hat er deshalb geschrieben, dass jede Obrigkeit von Gott eingesetzt ist. Die römische Obrigkeit war die einzige, die er je kennengelernt hat.

 

Und welchen Platz hatten die Sklaven in ihrer Pax Romana.

In meiner Zeit war der Anteil der Sklaven an der Reichsbevölkerung vielleicht 10 %. Da es seit der Konsolidierung der Grenzen nicht genug Kriege gab, um Sklaven zu erbeuten, wurden diese durch Importe konstant gehalten. Freilassungen waren so häufig, dass die Freigelassenen eine ökonomisch beachtliche Schicht bildeten.

Sklaven die unter grausamen Herren litten, hatten ein Asylrecht in Tempeln und bei den Kaiserstatuen. Von denen gab es ja genug. Ich selbst hatte im Rahmen meiner zivilen Laufbahn mehrmals solche Anträge zu beurteilen. In allen Fällen habe ich den Weiterverkauf der Betreffenden an ehrbare Bürger veranlasst, denn kaum jemand ging das Risiko ein, auf der Basis haltloser Vorwürfe von diesem Recht Gebrauch zu machen. Kaiser Tiberius hat dem Stadtpräfekten von Rom zur Aufgabe gemacht, regelwidrige Behandlung zu untersuchen und zu ahnden. Kaiser Claudius verfügte die Freilassung der Sklaven, die in den Tempeln des Heilgottes Aeskulapius gesunden und denen ihre Herrschaft vorher ärztliche Behandlung verweigert hatte. Er verfügte auch diejenigen unter Mordanklage zu stellen, welche arbeitsunfähige Sklaven töteten.

Von diesen vorgenannten Bestimmungen konnten aber eher nur Haussklaven profitieren. Das Schicksal der Sklaven in großen Produktionsbetrieben haben wir zugegebenermaßen verdrängt. Aber wie ging es eigentlich unter den Christen mit der Sklaverei weiter?

 

Ehrlich gesagt gab es keine großen Änderungen. Noch im 19. Jahrhundert hat sich in christlichen Sklavenhaltergesellschaften alles ereignet, was man aus der Antike kennt. Und die Bibel gab zur Rechtfertigung die zitierfähige Quelle ab. Ein berühmter Abolitionist, der ursprünglich selbst Sklave war, berichtete sogar die gläubigen Herren seien schlimmer gewesen, da sie stets göttliche Rechtfertigungen konstruieren konnten.

Ich verstehe.

 

Senator, vielen Menschen gilt es in unserer heutigen Kultur als ausgemachte Sache, dass Judentum und Christentum über eine höhere Moral verfügten. Als besonders abstoßend gelten die Gladiatorenspiele und andere Scheußlichkeiten der Arena. Aber auch der Brauch unerwünschte neugeborene Kinder zu töten oder auszusetzen, was auf dasselbe hinauslief. All dies verschwand nach der Christianisierung des Reiches. Letzteres zumindest offiziell.

Viele Veranstaltungen in der Arena dienten der Hinrichtung von Verbrechern. Man konfrontierte die Delinquenten mit wilden Tieren. Wie haben denn die Christen später ihr Strafrecht verfasst? Zu meiner Zeit drohten Sie mit der nahen Apokalypse und mit ewigen Höllenstrafen, dagegen muss ja alles, was ich als Präfekt in Anwendung brachte, verblassen.

 

Offen gestanden waren die Strafen bis ins 18. Jh. auch sehr grausam. Es wurde erdrosselt, verbrannt, verstümmelt, aufgeschlitzt und ausgeweidet. Und all dies waren stets gut besuchte öffentliche Spektakel.

Es wundert mich nicht, wenn die Strafen in heidnischer und christlicher Zeit gleichermaßen grausam waren. Ihr könnt einen großen Teil eurer Arbeit an Maschinen delegieren, die euch viel Bequemlichkeit verschaffen, wo wir uns nur gequält haben. Bei euch besitzen auch arme Menschen Fahrzeuge mit der Kraft von ein paar Dutzend „Pferdestärken“. Bei uns war das Leben sehr hart und man musste das äußerste tun, um Menschen vom Regelbruch abzuschrecken.