Interview zur Atheist Convention

Drei Fragen an... Rolf Bergmeier

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Rolf Bergmeier
Rolf Bergmeier

KÖLN. (hpd) Vom 22. bis 24. Mai findet in Köln die Atheist Convention unter dem Slogan "Give Peace A Chance!" statt. Im Vorfeld stellt der hpd einige der Referenten und ihre zentralen Thesen in Kurzinterviews vor. Rolf Bergmeier ist Autor mehrerer Bücher, die sich mit dem Übergang von der Spätantike zum christlich geprägten Mittelalter befassen. In "Christlich-abendländische Kultur" vergleicht er unter anderem die mitteleuropäische kirchliche Klosterkultur mit dem maurischen Spanien. Auf der Convention wird er den Beitrag des Islam zur europäischen Kultur würdigen.

 
hpd: Was verdankt Europa denn dem Islam?

Rolf Bergmeier: Viel. Immerhin ist der arabische Islam zwischen 800 und 1400 in Spanien, Portugal, Süditalien, Sizilien und Nordafrika der dominante und der formende Nachbar des lateinsprachigen, mittelalterlichen Christentums und des christlich-orthodoxen Byzanz. Dieser neue Nachbar formt eine islam-arabische Kultur, die zum Maßstab aller damaligen Kulturen wird und der keine Kultur des künftigen Europas gewachsen ist. Gelehrte aller Richtungen und Anschauungen arbeiten für die Kalifen und die führenden Schichten, integrieren die griechisch-römische Kultur, adaptieren indische, asiatische und persische Beiträge, ordnen und ergänzen das Erworbene. Córdoba, die Kalifenstadt im arabischen Spanien, gilt als “Zierde des Erdkreises”, Bagdad als weltweiter “Hort der Weisheit”. Währenddessen üben sich nördlich der Alpen Kaiser vergeblich im Erlernen der Schreibschrift und versinken die Städte im Schmutz der Fäkalien.

Nach Eroberung des blühenden, mit Bibliotheken reich ausgestatteten, islamischen Toledo durch christliche "Reconquista"-Truppen dringt ab dem 12. Jahrhundert das islam-arabische Wissen in Form lateinischer Übersetzungen nach Mitteleuropa. Staunend stehen die Eroberer vor den Schätzen der Wissenschaften und registrieren ernüchtert, dass das arabische Wissen auf allen Gebieten der Wissenschaft, von der Mathematik bis zur Medizin, sich dem katholischen als weit überlegen ausweist. Europa wird zum Erben und Nutznießer der heidnischen Antike im arabischen Gewand und erblüht in der "Renaissance".
 

Wie kam es dazu, dass diese Traditionen in Vergessenheit gerieten?

Die katholische Kirche dominiert das Mittelalter in Wort und Schrift. Nur der Klerus kann lesen und schreiben, nur die Klosterbibliotheken kopieren Bücher und Texte. Kopieren ist Handarbeit, aufwändig und teuer, und so wird sowohl aus Gründen des Aufwandes wie auch aus weltanschaulichen Gründen nur das überliefert, was dem Katholizismus genehm war. Der Geschichtsverfälschung ist damit Tür und Tor geöffnet.

So wird Karl dank seiner rigiden Bevorzugung des Katholizismus ein "Großer" und der Islam als Konkurrenzreligion ein Werkzeug des Teufels, eine Bedrohung der kirchlichen Macht, die man durch Krieg bekämpfen müsse. Eine faire Bewertung der wissenschaftlichen, kulturellen und zivilisatorischen Leistungen des Islam, die heute in einer schier unüberschaubaren Anzahl von Quellen und Dokumenten nachvollziehbar sind, hatte in diesem denunziatorischen Klima keine Chance. Sie wurden im großen Buch der europäischen Geschichte gestrichen.
 

Inwiefern kann der Blick in die Vergangenheit dazu beitragen, heutige Probleme zu lösen?

Das europäische Christentum wurde durch die Aufklärung mit sich und seinem Verhalten konfrontiert und in Frage gestellt. Einem David Hume, Voltaire und Immanuel Kant war das Christentum des Mittelalters auf Dauer nicht gewachsen. Es wurde Schritt um Schritt entradikalisiert. Und wenn die Analyse der Entradikalisierung der christlichen Kirchen durch die europäische Aufklärung zutrifft, dann dürfte auch klar sein, dass nur ein entradikalisierter “europäischer” Islam, den es nach der Lehre eigentlich nicht gibt, zu einem freien Deutschland oder zu Europa gehören kann.

Diese Idee eines gemäßigten, "europäischen" Islam ist nicht utopisch. So hat sich vor etwa einem Monat das "Muslimische Forum Deutschland" gegründet, dem Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus Wissenschaft, Journalismus und weiteren Gebieten angehören. Neben Sunniten und Schiiten zählen auch Aleviten, Yeziden und christliche Unterstützer zu den Teilnehmern des Forums. Die Teilnehmer des Forums treten für Demokratie, Menschenrechte und einen humanistisch orientierten Islam ein und möchten der Mehrzahl der in Deutschland lebenden und bisher nicht vertretenen Muslime Gehör verschaffen. Diese Kräfte zu unterstützen, u.a. durch Betonung der gemeinsamen kulturellen Vergangenheit und durch Rückzug des Staates aus seiner einseitigen Förderung einer Religion, ist wichtiger, als in Schulen Beträume einzurichten oder an den Lehrstätten der Vernunft, den Universitäten, Lehrstellen für den Islam zu finanzieren.

Ein "Werteverlust" geht mit dieser über den Religionen stehenden Meta-Kultur nicht einher. Das meinen nur diejenigen, denen das Wissen über das in der Antike gelegte Fundament fehlt und die nicht verstanden haben, dass die Menschenrechte und nahezu alle politischen Werte in der Aufklärung gegen den Widerstand der Allianz aus Kirche und Staat erkämpft werden mussten. Einen "Werteverlust" meinen nur die zu erkennen, denen es an historischer Bildung mangelt.
 

Die Fragen stellte Martin Bauer.