Antisemitismus – Sammelband mit Beiträgen von Samuel Salzborn

(hpd) Der Politikwissenschaftler Samuel Salzborn legt mit “Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie” den ersten Band der von ihm herausgegebenen Schriftenreihe “Interdisziplinäre Antisemitismusforschung” vor.

Die darin wiederabgedruckten Beiträge enthalten Analysen und Stellungnahmen zur aktuellen Analyse und Einschätzung des Antisemitismus vom Kontext mit dem Antikapitalismus oder Opfermythos bis zu Untersuchungsergebnissen zur latenten Judenfeindschaft.

Antisemitismus ist keineswegs nur ein Phänomen, das aus historischer Perspektive von Bedeutung ist. Zwar findet man rassistische oder religiöse Formen dieser Feindschaft nur noch selten. Die Auffassung, wonach Juden “hinter den Kulissen” der Politik und Wirtschaft agieren, kursiert als latente bis manifeste Einstellung aber sehr wohl noch. Dominanter sind demgegenüber Antisemitismus-Varianten, die sich im Lichte einer “Schuldabwehr” bei der Erinnerung an den Holocaust und einer Verdammung der Politik des Staates Israel artikulieren. Insofern ist auch nach wie vor einschlägige Forschung zum Thema nötig.

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Der Göttinger Politikwissenschaftler Samuel Salzborn gründete daher die Schriftenreihe “Interdisziplinäre Antisemitismusforschung”. Als erster Band erschien aus seiner Feder “Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie”. Es handelt sich indessen um keinen Leitband im Sinne einer Einführung oder eines Forschungsberichts für das Projekt, sondern um die Wiederveröffentlichung bereits zuvor publizierter Artikel und Aufsätze zum Thema.

Entsprechend des Untertitels werden die insgesamt 15 Beiträge in drei Rubriken eingeteilt: In “Historische Kontextualisierungen” geht es zunächst um die Genese des Antisemitismus in Europa, Rousseaus ambivalentes Verhältnis zum Judentum, der Kontext von Antisemitismus und nationalem Opfermythos, die Normalisierung des sekundären Antisemitismus und die Debatte um Straßenbenennungen nach Antisemiten. Die “Theoretischen Reflexionen” bringen Beiträge zum Verhältnis von Antisemitismus und Nation, Antisemitismus und die Genderperspektive, Reflexionen zur Unterscheidung von Antisemitismus und Israelkritik, dem Kontext von Antikapitalismus und Antisemitismus und den Gehalt von Ungeziefer-Metaphern. Und schließlich bringen die “Empirischen Befunde” Texte zur antisemitischen Schuldprojektion und zum latenten Antisemitismus mit Bezügen auf einschlägige Studien und zur Verbreitung eines antizionistischen Antisemitismus in der Partei “Die Linke” und zur Fortexistenz eines katholischen Antisemitismus.

Nicht wenige Bücher dieser Art stellen Ansammlungen von älteren Texten dar, welche eigentlich nicht so richtig inhaltlich zusammenpassen. Das ist teilweise bei diesem Band schon aus rein formalen Gründen auch der Fall, findet man darin doch kurze Artikel von unter fünf Seiten ebenso wie längere Aufsätze von zwanzig Seiten. Bei manchen interessanten Fragestellungen enttäuscht dann diese Kürze. So sieht Salzborn etwa in einer bestimmten Form des Antikapitalismus auch eine bestimmte Form des Antisemitismus, wobei die Angst vor dem Abstrakten ebenso wie Moralisierung und Personalisierung eine Rolle spielen. Hierzu hätte man gern ausführlichere Erläuterungen gelesen, auch um etwa die globalisierungskritische Protestbewegung differenziert einschätzen zu können. Es finden sich aber auch immer wieder längere Abhandlung, die unbedingte Aufmerksamkeit verdienen. Hierzu gehört die Erörterung zur Unterscheidung von Antisemitismus und Israelkritik mit einer Deutung der BDS-Boykott-Kampagne als “internationalen Antisemitismus”.

Indessen stellt sich hierbei die Frage, ob nicht eine pauschale und undifferenzierte Israelfeindlichkeit mehr durch Antiimperialismus denn durch Antisemitismus motiviert ist. Sie stellt sich auch angesichts von Salzborns Einordnung der Partei “Die Linke”, worin er einen antizionistischen Antisemitismus auf dem Vormarsch sieht. Die Einseitigkeit von dortige Positionen gegenüber Israel und deren gelegentliche Kooperation mit Islamisten sind sicherlich mehr als nur kritikwürdig. Gleichwohl ist dabei keineswegs so offensichtlich, dass das herausragende Motiv dabei immer die Judenfeindschaft sein muss.

In anderen Abhandlungen präsentiert Salzborn analytisch gelungene Deutungen bestimmter Kontexte des Antisemitismus. Dies gilt insbesondere für die Erörterung zu Antisemitismus und Nation, wobei auf die Bedeutung von national-völkischen Homogenitätsidealen verwiesen wird. Sehr gelungen ist auch der Beitrag zur Aneignung des Opfer-Diskurses durch Antisemiten, wodurch diese sich selbst über den projektiven Neid eben zu Opfern erklären.

 


Samuel Salzborn, Antisemitismus. Geschichte, Theorie, Empirie, Baden-Baden 2014 (Nomos-Verlag), 211 S., ISBN 3848711133, 39,00 Euro