Fragen eines nachdenklichen Zeitungslesers

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WEIMAR. (hpd) Erst jetzt fiel mir ein reißerisch aufgemachter Artikel in der Lokalausgabe Rudolstadt der Ostthüringer Zeitung (OTZ) vom 17. Juli d.J. in die Hände. Diesen Text musste ich gleich mehrmals lesen, denn so ganz verständlich ist für mich die Botschaft, die evangelische Kirchenfunktionäre und der Lokaljournalist vermitteln wollen, nicht. Geschult an Brecht, will ich das mal mit einigen nachdenklichen Fragen versuchen.

Die reißerische Überschrift “Kreiskirchenrat schlägt Alarm: Religionsunterricht fällt in Saalfeld-Rudolstadt immer öfter aus” und auch die im Text einzeln stehende Zeile “Das ist ein Skandal!” scheinen für den unbefangenen Leser auf etwas absolut Unerhörtes hinzudeuten. Zumal später auch noch die Rede davon ist, dass man “der größten Not abhelfen” müsse. Doch ist dem wirklich so, was ist eigentlich Sache?

Da heißt es: “Nach dem Kreiskirchenrat vorliegenden Zahlen müssen im nächsten Schuljahr an bis zu zehn Schulen im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt mindestens 40 Stunden Religionsunterricht ausfallen, weil dafür keine Lehrkräfte zur Verfügung stehen.”

Um welche Stundenzahlen geht es da überhaupt? Geht es um Wochenstunden? Geht es um Jahresstunden? Und wenn ich die 40 Stunden durch zehn Schulen teile, dann fallen vier Stunden pro Schule aus? Pro Woche oder pro Jahr? Und wenn man dann noch zehn Jahrgangsstufen in den Blickwinkel rückt, ja, was fällt dann da wirklich konkret aus?

Dazu heißt unbestimmt: “Das sind aber nur diejenigen Stunden, für die die Schulen Bedarf angemeldet haben, meinte der Schul­beauftragte Pfarrer Andreas Koch aus Meiningen. Er wisse, dass bestimmte Schulen überhaupt keinen Bedarf mehr anmelden, weil sie parallel keinen Ethikunterricht anbieten können.”

Hm, sind jetzt also die staatlichen Schulen Schuld an den Nöten wackerer Kirchenfunktionäre? Ist es nicht eher so, dass die Eltern der Schüler bzw. diejenigen selbst, wenn sie mit 14 religionsmündig sind, keinen Bedarf anmelden? Und wenn eben die einzig Berechtigten keinen Bedarf anmelden, dann kann es die betreffende Schule eben auch nicht.

Und wird da nicht etwas verdreht? In Bundesdeutschland ist es üblich, dass Ethik – definiert als Ersatzunterricht – nur dort angeboten werden darf, wo Religionsunterricht erteilt wird. In Thüringen gelten zwar Religionsunterricht und Ethik als sogenannte Wahlpflichtfächer, dennoch ist auch hier die Ethik nachrangig.

Übrigens, wenn es um Unterrichtsausfälle geht, dann ist die Situation an den Schulen allgemein sehr belastend, in allen Fächern. Man hat die Naturwissenschaften mit der Einführung von MNT (Einheitsfach Mensch – Natur – Technik) anstelle von Biologie, Chemie und Physik in Thüringen neu strukturiert, sprich: die Qualität abgesenkt. Im gleichen Maße gelingt offensichtlich nicht die Aufwertung der Religionen, also des Religionsunterrichts. Und dieser ist, wie jüngst höchstrichterlich bestätigt, nichts anderes als konfessionsgebundene Glaubensunterweisung!

Doch zurück zum Artikel: “Das ist ein Skandal, formulierte [Kirchenrat; SRK] Michael Pabst seinen ­Ärger auf der Kreiskirchenratssitzung. Umso mehr, als dass ­Religion ein verfassungsmäßig garantiertes Lehrfach an Schulen ist.” Wie ist denn das zu verstehen?

In Artikel 7 (3) GG heißt es aber nur: “Der Religionsunterricht ist in den öffentlichen Schulen (…) ordentliches Lehrfach…” Auch die Thüringer Landesverfassung formuliert nichts anderes. Und was wohl gerne absichtsvoll übersehen wird: Bereits eine Ziffer zuvor (!!!) heißt es im Grundgesetz eindeutig: “Die Erziehungsberechtigten haben das Recht über die Teilnahme des Kindes am Religionsunterricht zu bestimmen.” Die Thüringer Landesverfassung wird diesbezüglich noch eindeutiger.

Also halten wir mal fest: Über die Teilnahme, also über individuelle An- und auch Abmeldung vom Religionsunterricht, entscheiden einzig und allein die Eltern oder andere Erziehungsberechtigte und religionsmündige Jugendliche selbst – und nicht Schulleitungen, Kirchenfunktionäre oder der Staat!

Warum also schlägt der Kreiskirchenrat Alarm? Doch wohl nur, weil die Zahl seiner Schäfchen, Kirchenmitglieder und der Nachwuchs, immer kleiner wird! Denn im Landkreis Saalfeld-Rudolstadt dürfte - wie thüringenweit - die Zahl der nominellen evangelischen Kirchenmitglieder unter 25 Prozent liegen…

Voraussetzung für die Durchführung des Religionsunterrichts in Deutschland ist – wie für jedes fakultative Fach, für jeden Kurs oder Lehrguppe eine Mindest-Teilnehmerzahl, in der Regel von acht. In Thüringen wird offiziell keine angegeben. Aber, finden sich nicht genügend Schüler, werden Parallelklassen, aufeinanderfolgende Jahrgangsstufen zusammengefasst oder sogar schulübergreifende Kurse im Fach gebildet. Nicht nur in Thüringen gibt es diesbezügliche Regelungen zwischen Bildungsministerien und Kirchenleitungen. Deutet nicht auch das darauf hin, dass weder Eltern noch Schüler Interesse und Bedarf an Religionsunterricht haben?! Und zum anderen, der Staat tut also mit solchen Ausnahmeregelungen alles mögliche, um dem Wunsch der Kleriker nach Gewährleistung konfessioneller Glaubensunterweisung nachzukommen…

Beklagt wird ferner dies: “Der Mangel an staatlichen Lehrkräften im Religionsunterricht ist bereits seit längerem offenkundig. Dazu sind bisher immer auch Pfarrer und kirchliche Mitarbeiter über so genannte Gestellungsverträge im Religionsunterricht eingesetzt worden, ‘quasi als Aushilfe, weil der Staat seiner Verpflichtung nicht nach kam,’ erklärt der Schulbeauftragte Andreas Koch.”

Ja, wo lebt denn dieser Kirchenmann bloß? Im feudalen Mittelalter, als der jeweilige Landesherr uneingeschränkt über das Wohl und Wehe seiner Untertanen befinden konnte?

Er möge doch mal nachlesen, was in Art. 7 (3) GG und auch in § 46 (2) ThüringerSchulGesetz fast wortgleich verfassungsrechtlich festgeschrieben ist: “Kein Lehrer darf gegen seinen Willen verpflichtet werden, Religionsunterricht zu erteilen.”

Wenn es also an Religionslehrern mangeln sollte, dann ist daran nicht der Staat schuld. Liegt es vielleicht nicht vielmehr daran, dass junge Menschen diesen Beruf kaum noch ergreifen wollen, obwohl da lebenslange Anstellungen so gut wie garantiert sind?

Und trotz des Wehklagens kommt auch hier der Staat den Kirchenleitungen entgegen mittels der vom Kirchenrat selbst erwähnten “Gestellungsverträge”. Welche in erster Linie besagen, dass der Staat für alle anfallenden Kosten beim Einsatz von Pfarrern als Religionslehrer aufkommt…

Ja, warum eigentlich schlägt der Kreiskirchenrat Alarm? Geht es da nicht eher um die eigene Befindlichkeit, den Frust, weil ihm die Beitragspflichtigen (Um Mitgliedsbeiträge und nichts anderes handelt es sich bei den von den Kirchen selbst erhobenen sogenannten Kirchensteuern!) ausgehen. Und mit sinkenden Zahlen zahlender Mitglieder fallen schließlich ja auch die überaus gut dotierten Stellen im Kirchenapparat weg… Kommt mit dem Alarmschlagen nicht unverhüllt das aus feudalen Zeiten stammende Selbstverständnis der Kirche „überflügelt die Staatsgewalt“ zum Ausdruck?

Leider hat der berichtende Lokaljournalist keine einzige der Klagen und Zahlen der Kirchenräte hinterfragt, sondern sich nur zu deren Sprachrohr gemacht. Schade.