Wie die Kirche immer reicher wird

limburg_titel.jpg

BERLIN. (hpd) Unter großer Beachtung durch die Medien hat das Bistum Limburg am vergangenen Freitag erstmals Jahresabschlüsse für das Bistum, den Bischöflichen Stuhl und das Domkapitel präsentiert. Matthias Krause hat sie unter die Lupe genommen und vergleicht sie mit denen anderer Bistümer, die ebenfalls Jahresabschlüsse veröffentlicht haben.

In Teil 1 wurde gezeigt, dass es beim finanziellen Spielraum unter den deutschen Bistümern große Unterschiede gibt – zumindest gemessen an der Bilanz.

Unter anderem stellt sich die Frage, ob die Bistümer Essen und Speyer durch das Erwirtschaften von Überschüssen ihr “disponierbares Eigenkapital” erhöhen können. Für die folgende Übersicht wurden unterschiedliche Darstellungsweisen der Bistümer, soweit sie sich aus den Jahresabschlüssen erkennen ließen, berücksichtigt, um eine möglichst gute Vergleichbarkeit herzustellen.

Renditen wie bei Unternehmen

Beispielbild

Setzt man in Essen und Speyer den Jahresüberschuss ins Verhältnis zum disponierbaren Eigenkapital, so stellt man fest, dass rechnerisch Speyer in vier und Essen in sieben Jahren die Schwelle zu einem positiven disponierbaren Eigenkapital durchbrechen werden. Aufgrund der Schwankungen, denen die Jahresüberschüsse unterliegen, ist diese Aussage allerdings mit großer Vorsicht zu betrachten. Für eine realistischere Abschätzung bräuchte man Zahlen aus mehreren Jahren, in Essen und Speyer liegen allerdings nur Vorjahreswerte vor, weil man dort erst seit kurzem Jahresabschlüsse veröffentlicht.

Hinsichtlich des Pro-Kopf-Überschusses liegt übrigens Hamburg noch vor dem finanzstarken Bistum Limburg, dessen Kirchensteueraufkommen pro Kopf viel höher ist. Es kommt eben nicht nur darauf an, viel Kirchensteuer einzunehmen, sondern auch darauf, sie nicht wieder auszugeben. Das Bistum Limburg hat immerhin 90 Prozent seiner Erträge wieder ausgegeben, das Erzbistum Hamburg nur 81 Prozent.

Bemerkenswert ist allerdings noch etwas anderes: Berechnet man aus den kirchlichen Jahresabschlüssen die für Unternehmen üblichen Kennzahlen “Umsatzrendite” (hier: Jahresüberschuss im Verhältnis zu den Gesamterträgen) und “Eigenkapitalrendite” (Jahresüberschuss im Verhältnis zum Eigenkapital) so ergeben sich – außer beim Bistum Trier, das 2012 nur einen unbedeutenden Überschuss erwirtschaftet hat – sehr ansehnliche Zahlen. Zum Vergleich: Der Volkswagen Konzern gibt für 2012 eine Umsatzrendite (vor Steuern) von 13,2 Prozent an (2013: 6,3 Prozent). Die Eigenkapitalrendite des Automobilbereichs lag dort bei 13,1 Prozent und 14,5 Prozent in 2012 und 2013.

Systematische Überschüsse

Die Kirchen erklären zwar, sie arbeiteten nicht gewinnorientiert. Richtig ist, dass sie keine Gewinne ausschütten. Das ändert allerdings nichts an dem Sachverhalt, das alle hier betrachteten Bistümer in den ausgewiesenen Jahren Überschüsse erwirtschaftet haben – ob man diese nun als “Gewinne” bezeichnet oder nicht. Und da die Kirchen diese Überschüsse nicht ausschütten, erhöhen sie in gleichem Maße das kirchliche Vermögen und das kirchliche Eigenkapital.

Sofern die deutschen Bistümer regelmäßig und systematisch Überschüsse erwirtschaften, werden sie immer reicher. Gleichzeitig könnte man sagen, dass die Katholiken nur für einen Teil ihrer Kirchensteuer Gegenleistungen erhalten, der Rest fließt dem Kirchenvermögen zu. Besonders deutlich wird diese Entwicklung am Beispiel des Erzbistums Hamburg, das seit 2002 Ergebnisrechnungen veröffentlicht, die dort sogar als “Gewinn- und Verlustrechnung” bezeichnet werden. Die folgende Darstellung zeigt, wie die Jahresüberschüsse sich auf die Höhe des Eigenkapitals auswirken, und wie sich das Eigenkapital des Erzbistums seit der Umstellung auf die Doppik entwickelt hat.

Beispielbild

Nach einer Stabilisierungsphase in den ersten Jahren hat das Erzbistum Hamburg in den letzten fünf Jahren (2008–2012) eine durchschnittliche Umsatzrendite von 19 Prozent und eine durchschnittliche Eigenkapitalrendite von 26 Prozent erwirtschaftet. Zwar sind Schwankungen zu erkennen – diese schwanken aber um die eben genannten Durchschnittsrenditen. (Dass die Eigenkapitalrendite beim finanzstarken Bistum Limburg vergleichsweise bescheiden ausfällt, liegt übrigens nicht etwa an niedrigen Überschüssen, sondern an dem ausgesprochen hohen Limburger Eigenkapital.)

Schall und Rauch: Kirchliche Haushaltspläne

Dass dies der Öffentlichkeit praktisch unbekannt ist, hängt damit zusammen, dass die Bistümer (insbesondere diejenigen, die noch keine Jahresabschlüsse veröffentlichen) üblicherweise Haushaltspläne präsentieren. (Bei der folgenden Darstellung weichen die Haushaltsjahre teilweise von den zuvor betrachteten Jahresabschlüssen ab, weil zu den Jahresabschlüssen keine passenden Haushaltspläne mehr vorlagen.)

Beispielbild

So stellt man sich die Haushalte nicht gewinnorientierter Körperschaften (öffentliche Verwaltung, Kirchen) vor: Grundsätzlich sind die Haushalte “ausgeglichen”, d. h. die Aufwendungen entsprechen den Erträgen. Darin spiegelt sich nämlich auch die fehlende Gewinnorientierung wider: Die Mittel, die eingenommen werden, werden auch wieder für den jeweiligen Zweck ausgegeben. Es darf aber – zumindest langfristig – auch nicht mehr ausgegeben werden als eingenommen wird.

Die Haushaltspläne der Bistümer Hamburg, Essen, Limburg und Speyer sind ausgeglichen. Trier rechnete für 2012 mit einem Defizit, das durch Entnahmen aus den Rücklagen finanziert werden sollte. Das Bistum Hildesheim hingegen hatte gerade erst im Vorjahr große Teile seiner Rücklagen verbraucht. Um dies wieder auszugleichen, wurde ein Überschuss eingeplant.

Wie der Name schon sagt, handelt es sich bei den Angaben aus den Haushaltsplänen lediglich um Planwerte. Wie das Haushaltsjahr tatsächlich verlaufen ist, geht erst nach Ende des Jahres aus der Ergebnisrechnung hervor:

Beispielbild

(Beim Bistum Speyer waren keine zugehörigen Plan- und Istwerte auffindbar. Da Speyer aber offensichtlich ausgeglichene Haushalte plant (mit Null-Ergebnis), wurde das Ist-Ergebnis trotzdem einem angenommenen Planergebnis von Null gegenübergestellt.)

Für diese Darstellung musste auf Haushaltsjahre zurückgegriffen werden, für die Plan- und Ist-Werte verfügbar waren. Die Ergebnisse von Hamburg, Hildesheim und Essen stammen deshalb jeweils aus anderen Jahren als bei den vorherigen Darstellungen. Zudem wurden Ergebnisse hier nicht zur besseren Vergleichbarkeit untereinander angepasst, weil es hier um den Vergleich der Ergebnisse mit der Planung des eigenen Bistums geht, nicht um den Vergleich der Ergebnisses der Bistümer untereinander.

Hier zeigt sich also auch unter Berücksichtigung zusätzlicher Haushaltsjahre, dass die tatsächlich erwirtschafteten Überschüsse immer positiv sind. Dafür gibt es einen Grund.

“Konservative” Haushaltsplanung führt systematisch zu Überschüssen

Die Haushaltsplanung der Kirchen unterscheidet sich nämlich in einem entscheidenden Punkt von denen der öffentlichen Verwaltung: Während die öffentliche Verwaltung ihre Einnahmen “realistisch” plant, planen die Kirchen “konservativ” (vorsichtig).

Die öffentliche Hand lässt ausgeklügelte Konjunktur- und Steuerschätzungen durchführen, um die zukünftigen Einnahmen möglichst gut abschätzen zu können. Natürlich treffen diese Annahmen nie exakt ein, so dass es mal zu Mehr-, mal zu Mindereinnahmen kommt. Dies führt dann zwar im Ergebnis mal zu Überschüssen und mal zu Defiziten, zumindest in der Theorie sollten sich diese aber über die Jahre hinweg ausgleichen. Die öffentliche Verwaltung wird also – wenn sie nicht strukturell unterfinanziert ist – zwar in einzelnen Haushaltsjahren Überschüsse oder Defizite erwirtschaften, auf lange Sicht sollten die Haushalte allerdings ausgeglichen sein, d. h. die Mittel, die eingenommen werden werden auch wieder ausgegeben.

Die Kirchen bedienen sich zwar ebenfalls der offiziellen Steuerschätzung, um ihre Einnahmen zu prognostizieren, planen aber aus Vorsicht mit niedrigeren Einnahmen. (Das wäre im Prinzip auch für öffentliche Verwaltungen sinnvoll, die können sich das allerdings meistens nicht leisten, weil sie dann aufgrund ihrer hohen festen Ausgaben überhaupt keinen ausgeglichenen Haushalt mehr aufstellen könnten.)

Wenn man aber seine Einnahmen bei der Planung systematisch zu niedrig ansetzt, führt das natürlich im Ergebnis ebenso systematisch zu Mehreinnahmen. Und je vorsichtiger man plant, desto höher sind die Mehreinnahmen.

Dies zeigt schon, dass die Zahlen aus den Haushaltsplänen, die die meisten Bistümer (und Landeskirchen) veröffentlichen, nur eingeschränkte Aussagekraft haben und auch nicht von Bistum zu Bistum vergleichbar sind. Denn erstens können sich die tatsächlichen Einnahmen und Ausgaben z. T. erheblich von den Planwerten unterscheiden, und zum anderen geht aus den Plänen nicht hervor, wie “konservativ” die Einnahmen geplant sind. Zwei Bistümer könnten in ihren Haushaltsplänen die selben Einnahmen ausweisen: Wenn das eine Bistum “konservativer” geplant hat als das andere, wird das “konservativere” später die höheren Mehreinnahmen haben. Die Haushaltspläne lassen daher keinen zuverlässigen Rückschluss auf die tatsächliche Finanzstärke eines Bistums zu. Hinzu kommt, dass augenscheinlich gerade die finanzstarken Bistümer (die es sich nämlich leisten können), noch vorsichtiger planen als ihre finanziell schlechter gestellten Mitbrüder. Durch diese Verzerrung lassen sich die Haushaltspläne nicht wirklich vergleichen.

Die tatsächlichen Verhältnisse (Ist-Werte) lassen sich nur den Ergebnisrechnungen bzw. Haushaltsrechnungen der Bistümer entnehmen. Bezeichnenderweise scheinen einige Bistümer nur Planzahlen zu veröffentlichen. Hier ist insbesondere das Erzbistum Köln zu nennen, das zwar äußerst professionelle und aufwendig gestaltete Finanzberichte veröffentlicht – die allerdings nur Plan- und keine Ist-Zahlen enthalten.

Behandlung von Überschüssen in Theorie …

Die Überschüsse müssen allerdings nicht zwangsläufig beim Bistum verbleiben. Vielmehr hat man sich das Vorgehen grundsätzlich so vorzustellen:

Das Bistum Sankt Doppik stellt bei der Endabrechnung des vorigen Haushaltsjahres fest, dass die tatsächlichen Erträge um 1 Mio. Euro höher lagen als geplant. Da die Aufwendungen exakt so hoch waren wie geplant, ergibt sich somit “doppisch” ein Jahresüberschuss (Erträge minus Aufwendungen) von 1 Mio. Euro. Dieser Überschuss erhöht im doppischen Jahresabschluss das Eigenkapital.

Im Gegensatz dazu wird aus “haushalterischer” Sicht überlegt, wie sich die zusätzlichen Mittel verwenden lassen. Das Bistum entscheidet, die Mittel im aktuell laufenden Haushaltsjahr (also dem “Folgejahr” des vorigen Haushalts) dazu zu verwenden, Doppik-Schulungen für die kirchlich Beschäftigten im Bistum abzuhalten. Da die Mittel zwar im Vorjahr eingenommen wurden, aber nicht mehr im gleichen Jahr ausgegeben werden konnten, werden sie doppisch in eine spezielle Rücklage (Eigenkapital) für Budgetreste gebucht. Dadurch erhöhen die Mehreinnahmen “doppisch” das Eigenkapital (und den Jahresüberschuss), gelten aber “haushalterisch” bereits als “verbraucht”, denn sie wurden ja für einen bestimmten Zweck veranschlagt. Dadurch gelten alle im Vorjahr eingenommenen Mittel auch tatsächlich im Haushalt des selben Jahres als “verbraucht”, obwohl das Geld noch gar nicht ausgegeben wurde.

Die Schulungsmaßnahmen verursachen nun im laufenden Haushaltsjahr Mehraufwendungen in der veranschlagten Höhe von 1 Mio. Euro. Da die im Haushaltsplan für dieses Jahr geplanten Erträge und Aufwendungen exakt eingehalten wurden, nun aber zusätzlich die Schulungen durchgeführt wurden, ergibt sich “doppisch” ein Jahresfehlbetrag von 1 Mio. Euro. Dieser geht zu Lasten des Eigenkapitals, und zwar zu Lasten der Rücklage für Budgetreste, die im Vorjahresabschluss extra für diese Maßnahme gebildet wurde. Die Erhöhung des Eigenkapitals im einen Jahr (Jahresüberschuss) wurde also durch die Minderung des Eigenkapitals im Folgejahr (Jahresfehlbetrag) wieder ausgeglichen. Insgesamt ist das Eigenkapital nach zwei Jahren unverändert. Alle eingenommenen Mittel wurden verbraucht. Der erste Haushalt war im Ergebnis um 1 Mio. höher als geplant, der zweite verlief exakt wie geplant. Das Bistum Sankt Doppik ist genauso vermögend wie zwei Jahre zuvor. (Aber die Beschäftigten kennen sich jetzt besser mit der Doppik aus.)

… und Praxis …

Die Praxis sieht allerdings anders aus. Bistümer, die auf das doppische Rechnungswesen umgestellt haben, können Überschüsse entweder für bestimmte Zwecke vorsehen (dann fließen sie in die Rücklagen für Budgetreste oder zweckgebundene Rücklagen), oder den allgemeinen Rücklagen zufließen lassen. Auf die Vermögenslage des Bistums hat dies keinen Einfluss, weil sämtliche Rücklagen, seien sie allgemein, zweckgebunden oder für Budgetreste, Bestandteil des Eigenkapitals sind. Aus haushälterischer Sicht ist es natürlich so, dass zweckgebundene und Budgetrücklagen nicht mehr für andere Zwecke ausgegeben werden können. Das ändert aber nichts an der Vermögenslage des Bistums, denn für den Zweck des Jahresabschlusses, die Vermittlung der “tatsächlichen Vermögens- Finanz- und Ertragslage” des Bistums, können nur Aufwendungen berücksichtigt werden, die bereits erfolgt sind.

Dagegen dürfen Aufwendungen, die lediglich für die Zukunft geplant oder irgendwie denkbar sind, bei der Ermittlung der Vermögens- und Ertragslage nicht berücksichtigt werden, da sie “doppisch” zukünftigen Jahren zuzurechnen sind und die Zukunft überdies nicht klar abgegrenzt ist, so dass bei Hinzunahme geplanter oder möglicher zukünftiger Aufwendungen überhaupt kein objektives Bild mehr zustande käme. Den haushalterischen Bedürfnissen (Zweckbindung) wird durch die Bildung der Rücklagen Rechnung getragen. So handhaben es die Bistümer Hamburg, Hildesheim, Essen und Trier.

… und die Praxis in Limburg und Speyer

In Limburg und Speyer hingegen werden die Rücklagen zwar auch gebildet, in der Bilanz aber separat vom Eigenkapital ausgewiesen. Damit gelten für zukünftige Jahre veranschlagte Mittel nicht nur haushälterisch, sondern auch “doppisch” bereits in dem Jahr als verbraucht, in dem sie verplant wurden. Somit wird das Eigenkapital in den Bilanzen der Bistümer Limburg und Speyer zu niedrig ausgewiesen.

Limburg und Speyer werden nun einwenden: Wenn die Rücklagen beim Eigenkapital ausgewiesen werden, erscheint das Eigenkapital zu hoch, denn diese Mittel sind ja nicht mehr verfügbar, sondern eigentlich schon “so gut wie” ausgegeben. Aber hier wird fälschlich versucht, die haushälterische Sichtweise dem Jahresabschluss überzustülpen.

Für ein den tatsächlichen Verhältnissen entsprechendes Bild kommt es nicht darauf an, ob das Geld schon “so gut wie ausgegeben” ist: Ein Bistum (wie Limburg) mit einer “Betriebsmittelrücklage” von 20 Mio. und einer “Ausgleichsrücklage” von 80 Mio. ist nun einmal 100 Mio. vermögender als ein Bistum, das keine solchen Rücklagen hat. Besonders deutlich wird das auch an der Limburger “Clearing-Schwankungsreserve” in Höhe von 53 Mio. Euro, die getrennt vom Eigenkapital bilanziert wird.

Die übrigen Bistümer unterliegen genauso dem Risiko der unvorhersehbaren Clearing-Nachzahlungen (oder Erstattungen). Auch, wenn Clearing-Nachzahlungen mitunter ein “Schlag ins Kontor” sein können, ist der Erwartungswert für dieses Risiko doch Null, denn die Clearingabrechnung kann ebenso gut zu Erstattungen führen. Wenn das Bistum Limburg für dieses Risiko 53 Mio. Euro beiseite legen kann, ist das ein Zeichen finanzieller Stärke und muss daher dem Eigenkapital zugeordnet werden. Andernfalls wird die Vermögenslage des Bistums nicht richtig dargestellt und es ist auch kein sinnvoller Vergleich mit anderen Bistümern mehr möglich, wenn jedes Bistum das bilanzielle Eigenkapital durch die Bildung oder Auflösung von Rücklagen nach eigenem Ermessen beeinflussen kann. Die Bildung solcher Rücklagen ist durchaus sinnvoll. Die Kritik richtet sich nur dagegen, dass der Zweck des Jahresabschlusses praktisch ad absurdum geführt wird, wenn die Rücklagen in der Bilanz nicht als Bestandteil des Eigenkapitals ausgewiesen werden, sondern getrennt davon.

Eine “Bugwelle” verplanter, aber noch nicht ausgegebener Mittel

Hinzu kommt, dass Bistümer, die sich scheuen, das Eigenkapital (oder die “Allgemeine Rücklage”) zu erhöhen, auf die Idee kommen könnten, stattdessen pro forma immer mehr Geld in zweckgebundene oder Budgetrücklagen zu stecken und damit sozusagen eine immer größere “Bugwelle” unverbrauchter Mittel vor sich her zu schieben. Diese Mittel dürfen beim Vergleich der Vermögenslage nicht außen vor bleiben.

Womit wir wieder beim Thema “Jahresüberschüsse” sind: Das Beispiel mit dem Bistum Sankt Doppik sollte nämlich auch verdeutlichen, dass der eingeplante spätere Verbrauch von Mitteln in den jeweiligen Jahren zu einem Abbau der Rücklagen – und damit zu einer Verringerung des Eigenkapitals, also einem Jahresdefizit – führen müsste. Wenn aber immer und überall nur Jahresüberschüsse gemacht werden, bedeutet das, dass die Mittel tatsächlich gar nicht in voller Höhe ausgegeben werden.

Bei ausgeglichenen Haushalten wäre zu erwarten, dass die zweckgebundenen und Budgetrücklagen um ein gewisses Niveau auf- und abpendeln: Zwar werden jedes Jahr Mittel aus Vorjahren abgerufen und neue eingestellt, insgesamt sollte sich das aber über die Jahre hinweg die Waage halten. Stattdessen scheint es – zumindest den vorliegenden Jahresabschlüssen zufolge – allerdings immer nur Überschüsse zu geben. Das heißt nichts anderes, als dass die eingenommenen Mittel systematisch nicht komplett verbraucht werden, sondern dem Bistumsvermögen zugeführt werden.

“Nachhaltigkeit” und “Substanzstärkung”

In den kirchlichen Veröffentlichungen wird das mitunter nicht so deutlich gesagt. So ist z. B. im Finanzbericht des Bistums Limburg an einer Stelle (S. 34) von Kirchensteuermitteln die Rede, die “für nachhaltige, investive und substanzstärkende Maßnahmen zur Verfügung” stehen. “Substanzstärkend” heißt nichts anderes, als dass sie dem Bistumsvermögen zugeführt werden. “Nachhaltig” bedeutet dasselbe, deutet aber an, dass zumindest die Erträge dieses Vermögens wieder für kirchliche Zwecke ausgegeben werden sollen.

“Verwendet” ist nicht gleich “verbraucht”

Limburger Katholiken, die den Geschäftsbericht des Bistums lesen, dürfen sich freuen, dass ihre Kirchensteuer komplett für kirchliche Zwecke “verwendet” wird (S. 38 “Verwendung der Kirchensteuer”). In dem Abschnitt des Finanzberichts, der “die Verwendung der Kirchensteuer transparent” machen soll, muss man sehr genau hinsehen. 13,3 Prozent der Kirchensteuer (25,5 Mio. € Euro) werden “zur nachhaltigen Finanzierung kirchengemeindlicher Baumaßnahmen” eingesetzt – das wird nichts anderes bedeuten, als dass das Geld in Wertpapieren angelegt wird, deren Erträge dann irgendwann einmal zur Finanzierung von Baumaßnahmen verwendet werden sollen.

“Vorsorge”

Immerhin wird im Limburger Finanzbericht an anderer Stelle klar gesagt: “Nicht zuletzt wurde auch das allgemeine Vermögen des Bistums nachhaltig aufgebaut, um aus der wirtschaftlichen Kernsubstanz heraus eigene Erträge zu erwirtschaften, die rückläufige Kirchensteuern zumindest teilweise kompensieren können.” (S. 57)

Es ist natürlich richtig, dass die Kirche umfangreiche Verpflichtungen hat – sowohl für ihr Personal als auch für Gebäude. Im Prinzip hat wohl jeder Verständnis dafür, dass die Kirchen Finanzanlagen halten, um sich von der schwer vorhersehbaren (und tendenziell wohl eher negativen) Entwicklung der Kirchensteuer zumindest teilweise etwas unabhängiger zu machen. Trotz eines langfristigen, stetigen jährlichen Mitgliederschwundes in der Größenordnung von einem Prozent (durch Kirchenaustritte und Sterbeüberschuss) hat sich das Kirchensteueraufkommen allerdings bisher (zumindest nominell) als recht stabil erwiesen.

Obwohl sich allerdings die Anzeichen des langjährigen Mitgliederschwunds aller Orten deutlich bemerkbar machen (z. B. durch Kirchenschließungen und Zusammenlegung von Pfarreien), gelang es dem Bistum Limburg immer noch, einen Überschuss in der Größenordnung von 10 Prozent zu erwirtschaften. Bei Erzbistum Hamburg beträgt die Größenordnung über Jahre hinweg 20 Prozent. Das heißt, dem Bistum Limburg müssten erst einmal 10 Prozent seiner Katholiken (oder zumindest seiner Kirchensteuerzahler) von der Fahne gehen, bevor man sich dort um ein Defizit überhaupt Gedanken machen müsste. Erst bei einem noch weiter gehenden Rückgang der Kirchenmitglieder müssten, sofern keine strukturellen Anpassungen beim Personal und den Gebäuden getroffen werden, die Erträge aus den “Nachhaltigkeitsreserven” zum Einsatz kommen. Bei anderen Bistümern mag das freilich anders sein.

Fazit

Die eher düsteren Aussichten, zumindest was die Mitgliederentwicklung angeht, ändern allerdings nichts an der Tatsache dass die hier untersuchten Bistümer – insbesondere Hamburg und Limburg, bei Trier müssen weitere Jahresabschlüsse abgewartet werden – bisher jedenfalls noch erkleckliche Überschüsse erwirtschaften und das Vermögen der Bistümer sich – soweit sich das bisher anhand der Jahresabschlüsse beurteilen lässt – stetig erhöht.

Die in den obigen Darstellungen ausgewiesene “Umsatzrendite” entspricht zugleich dem Mitgliederschwund, den das jeweilige Bistum rechnerisch verkraften kann, bevor es überhaupt in die Gefahr eines Defizits gerät. Da diese Werte jedoch erheblichen Schwankungen unterliegen dürften, müssten hier Durchschnittswerte mehrerer Jahre gebildet werden. Es deutet jedenfalls vieles darauf hin, dass die katholischen Bistümer systematisch Überschüsse erwirtschaften, indem Teile der Kirchensteuer einbehalten und dem Bistumsvermögen zugeführt werden. (Auch, wenn das gerne unter den Begriffen “Vorsorge” und “Nachhaltigkeit” getan wird.)

Angesichts von Sparprogrammen, Kirchenschließungen und Pfarrzusammenlegungen mag sich mancher Katholik fragen, wann die Rücklagen, die die Bistümer gebildet haben, eigentlich mal zum Einsatz kommen sollen, wenn nicht jetzt – oder ob man nicht wenigstens die jährlich zur Verfügung stehenden Mittel komplett wieder ausgeben könnte, statt Teile davon für immer noch mehr “Vorsorge” einzubehalten. Aber diese Fragen müssen andere beantworten.