Das Große Sommerinterview

Freidenker und Freidenken in der Schweiz

Reta: Für Singles ist an Sonn- und Feiertagen das Angebot an Treffpunkten deutlich schmaler. Zürich wäre für mich schon mal einen Test wert, ob man Leute ansprechen kann. Es gibt auch ein Bedürfnis bei älteren Leuten, die das jahrelang nicht vermisst haben, aber eben als ältere Menschen, wenn sie allein sind und die Freunde weggestorben sind, wieder suchen. In Winterthur gab es eine Zeitlang ein Sonntagsfrühstück und die alten Leute fanden das toll. Die alten Berner Mitglieder schwärmen auch von jenen Zeiten, als es im Freidenkerhaus in Bern gemeinsame Essen gab. Da ist heute eine Lücke entstanden.

Valentin: Es gab mal einen Versuch, ein Sommerfest zu machen, aber das wurde dann sehr schlecht besucht. Der Welthumanistentag war jetzt auch wieder an einem Samstag und schlechter besucht als bisher. Das kann aber auch mit der Fußballweltmeisterschaft zusammenhängen. Aber Samstag scheint Familientag zu sein. Unsere Mitgliedschaft ist sehr divers und es ist sehr verständlich, dass die Familie dem Vereinsleben vorgezogen wird.

Andreas: Ich würde von Sunday Assemblies wohl weit weg rennen. Also, wenn ich gezwungen würde in einen Raum mit anderen zu singen, dann fühlte ich mich sehr unwohl. Aber ich lehne mich überhaupt nicht dagegen auf, so was anzubieten. Bei uns würde dies wohl zu viele Ressourcen binden. Aber ein Sonntagsbrunch, wieso nicht. Vielleicht nicht gerade im Wochen-, aber im Monatsrhythmus. So etwas eher Niederschwelliges, aber dazu brauchen wir erst mal ein passendes Vereinslokal.... Wir machen ziemlich viel in Zürich, das bindet natürlich unsere Ressourcen. Ich bin mir nicht sicher, ob wir jetzt als erste Zuständigkeit das reine Unterhaltungsangebot auf uns nehmen müssen, was ja in Zürich auch sonst nicht allzu schmal ist.

Valentin: Es gibt ja die Chringles, eine christliche Singlebörse in der Schweiz. Vielleicht müssten wir die Fringles haben, also die Freidenker-Partnerbörse. (Lachen) Tabulos. Offen. Philosophische und fleischliche Höhepunkte garantiert ...
Die Nationalbibliothek ist jetzt dabei, die alten Jahrgänge unserer Vereinszeitschrift zu digitalisieren. Heute heißt unsere Zeitschrift “frei denken”, früher Freidenker und Freigeistiges Magazin. Wenn man in früheren Ausgaben blättert, findet man tatsächlich Partnerinserate, wie etwa “freigeistige Frau im Raum Basel sucht…” Es hat sich eben alles geändert. Die Bedürfnisse und das Engagement ganz allgemein, die Vereinsvorstände haben Mühe, Leute zu bekommen. Das geht vom Fußballverein, die händeringend einen Präsidenten suchen bis zum Quartierverein. Es ist ein gesamtgesellschaftliches Phänomen.

Die Leute kaufen sich die Freizeitbeschäftigung vermehrt ein, es wird weniger über Vereine und Gratis-Arbeit organisiert. Darüber müssen wir uns im Klaren sein. Mir jedenfalls bereitet ganz vieles in der Bewegung Spaß. Es bereitet mir Spaß mit Leuten zusammen zu arbeiten, es sind interessante Leute, interessante Begegnungen und wir sind ja nicht die ganze Zeit bierernst, es ist auch Humor da.

Es ist mittlerweile eigentlich schon sexy genug, neutral und religionsfrei zu sein, die junge Generation ist das schon. Es ist bedauerlich, dass wir das nicht so gut organisieren können, und dann mit einer Stimme oder wenigstens in einem einigermaßen organisierten Sprech-Chor reden können und unsere Interessen vertreten. Wir sind aber eben nicht Kirche. Und gerade aus der Kirche laufen die Leute ja weg und raus.

Ich weiß jedenfalls, dass ich im richtigen Zug hocke, vielleicht sogar im vordersten Wagen mit im Führerlokal, wo wir die Geschwindigkeit des Zuges mitbestimmen. Die Säkularisierung ist unaufhaltsam. Die Schienen sind gelegt. Es geht jetzt nur noch um die Geschwindigkeit.

Reta: Ich habe mich eine Weile mit den philosophischen Cafés beschäftigt, als die so vor etwa 15 Jahren als Bewegung in der Schweiz aufgekommen sind. Ich bin da an verschiedenen Orten hingegangen und habe schon gemerkt, es gibt Leute, die suchen einen leicht strukturierten Rahmen, wo man reflektieren kann. Die philosophischen Cafés leiden jedoch darunter, dass sich profiliersüchtige Hobby-Philosophen in Szene setzen und die Diskussion dominieren.
Und deshalb haben diese Assemblies für mich ihre Berechtigung.

Valentin: Es gibt ganz verschiedene Leute, die ganz verschiedenes wollen. Es gibt junge Leute, die diese Schiene fahren wollen und andere haben andere spezielle Interessen und es hat Vieles Platz. Es geht ganz einfach darum, dass es jemand macht. Und wenn Ideen kommen und man fragt, ob sie das selber in die Hand nehmen wollen, dann ist plötzlich das Interesse weg. Man darf Interessen durchaus anmelden, aber darf nicht von den Freidenkern erwarten, dass die das dann auch alles umsetzen. Zu viel kann man als Einzelner nicht bewerkstelligen, es muss dann auch von anderen mitgetan werden.          

In Deutschland gibt es auch verschiedene Vereinigungen mit verschiedenen Profilen. Und der KORSO versucht ja auch die Profile zu schärfen, dass Interessierte auch merken, wer am besten wo Mitglied werden sollte und welches die Kernthemen der Organisationen sind. Die Schweiz ist wahrscheinlich zu klein, um in ihr eine kampfatheistische Volksfront und daneben noch die Volksfront der Antiklerikalen zu haben. In der Schweiz müssen die verschiedenen Strömungen und Meinungen irgendwie Platz haben bei den Freidenkern, denn hätten wir in der Schweiz 17 verschiedene säkulare Organisationen, würde das dann wohl irgendwie sektiererisch.
 

Wie seid Ihr selber zur Freidenkerbewegung gekommen?
           
Reta: Mein Vater hat sich in den 1970er Jahren, nach seinem Kirchenaustritt, den Freidenkern in Winterthur angenähert und dann macht man bei den Freidenkern relativ schnell Karriere... (Allgemeines Lachen) Für die, die etwas machen wollen, gibt es sofort freie Posten und so ist er bald Präsident von Winterthur geworden. Dann wurde die Geschäftsstelle frei und meine Mutter hat diese Aufgabe übernommen, alles ehrenamtlich.

Ich bin dann 1995 dazu gekommen. Nachdem der damalige Redakteur des „Freidenker“ wegen eines antisemitischen Artikels gefeuert wurde, wurde ich gefragt, ob ich dies nicht übernehmen könnte. Ich hatte das vorher noch nie gemacht und so bin ich ins kalte Wasser gesprungen.

Damals hat der Verein mehr oder weniger nur das Vermögen verwaltet. Und dann kam 9/11. In meiner Funktion als Redakteurin und Mitglied des Zentralvorstandes der Freidenker, habe ich dann gefordert, dass endlich etwas getan werden muss. Wenn man gesehen hat, wie die Kirchen im Zuge von 9/11 plötzlich mobilisiert und das Heil gegen den Terrorismus im Bekenntnis zur christlichen Konfession proklamiert haben, dann war klar, wir müssen an die Öffentlichkeit. Ich habe gesehen, dass man mit nur Freiwilligen einfach nicht weiterkommt. Es geht auch um eine tägliche Präsenz, man muss auch ansprechbar sein oder reagieren können. Da habe ich diese Stelle entworfen und jemanden gefunden, der das mit einer selbständigen Erwerbssituation kombinieren konnte.  Im Laufe der Zeit wurde er aber zu sehr von seiner Tätigkeit involviert, dass er für die Freidenker einfach zu wenig machen konnte. Im Jahr 2007 war ich gerade mit meinen Jura-Studium fertig und so haben sie mich gefragt, ob ich das nicht machen würde. Nach einer schlaflosen Nacht habe ich mich dafür entschieden.

In den dann folgenden Jahren habe ich viele junge Menschen gesehen, die sich mit neuen Ideen der Bewegung anschlossen. Das Thema „Trennung von Kirche und Staat“ ist ein Thema, das einen langen Atem braucht. Uns kam dabei zugute, dass wir in den 1940er Jahren ein Haus in Bern geschenkt bekommen haben, welches das Erscheinen der Zeitschrift  als Sprachrohr garantiert hat.

Ein Haus heißt, ihr habt Mieteinnahmen und die Differenz Mieteinnahmen vs. Bauerhalt ist dann der Betrag, der für die politische Arbeit zur Verfügung steht?
               
Reta: Ja. Es braucht einerseits Geld, aber es braucht auch Gestaltungswillen. Es gab zwischendurch eine jüngere Gruppe innerhalb der Freidenker, die auch verschiedentlich Vorschläge eingebracht haben, die aber von den Alten meist abgelehnt wurden. Die jungen Leute, die zum Teil einen großen Elan hatten, sind dann natürlich weg geblieben.

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