Das Große Sommerinterview

Freidenker und Freidenken in der Schweiz

Mir hat der frühere Vorsitzender vom Bund für Geistesfreiheit Bayern mal erzählt, dass sie eine Gesinnungsgemeinschaft mit einem Set von gemeinsamen Grundsätzen seien und wer die teilt, ist willkommen. Er sagte, wir hüten uns, unsere Grundgesinnung und Grundsätze in kleine politisch-praktische Umsetzungen umzumünzen. Das kann und soll jedes Mitglied tun, wie er es für richtig hält. Innerhalb der Organisation würde es sonst riesige Diskussionen geben mit dem Resultat, dass es nur noch zwei Mitglieder geben würde, welche sich dann auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner einigen.

Andreas: Die evangelische Volkspartei und die Grünliberalen, eine im säkularen Spektrum angesiedelte Partei, haben bei den Wahlen im Kanton Bern eine Koalition vereinbart und da sei Reta zitiert, die sagt, «ich kandidiere dort nicht, sondern ich kandidiere auf der Liste Trennung von Staat und Kirche für den Großen Rat.» Das sind zwei Beispiele, wo sich verschiedene politische Optionen auch verschieden politisch darstellen.

Valentin: Grundsätzlich sind wir parteipolitisch neutral, wir sind überparteilich. Wir haben FDP-Mitglieder, wir haben Grüne, rote Mitglieder usw. Diese Breite ist wichtig. Tatsächlich gibt es in unseren Reihen aber wohl nur sehr wenige CVP-Mitglieder (Christliche Volkspartei)...

Da gab es mal eine Gruppe „Alpenparlament“, im Sommer 2013, und da hat der Freidenkerverband ganz explizit erklärt, mit denen weder personell noch sonst wie etwas zu tun zu haben....

Reta Einwurf: ... ja da gab es ein öffentliches Dementi. Die haben sich als Gruppe von Freidenkern bezeichnet. Und da wurde eine Abgrenzung nötig.

Andreas: Wir können ja auf gewöhnliche Begriffe im deutschen Sprachgebrauch kein Monopol beanspruchen. Aber da war es nötig, dass verstanden wird, dass die keine Affinität zu unserer Organisation haben. Das Alpenparlament ist ein Kreis von Verschwörungstheoretikern.
 

Ich finde das sehr spannend, einerseits die Abgrenzung von Trittbrettfahrern...
               
Reta: Ich glaube nicht, dass das Trittbrettfahrer sind, das Wort Freidenker ist im Schweizer Sprachgebrauch verbreitet für Leute, die ein bisschen quer denken, ohne dass die Leute, die das schreiben irgendein Bewusstsein darüber haben, dass es eine Freidenkervereinigung gibt.

Es gibt auch Leute, die uns anfeinden, weil sie aus dem Namen schließen, wir dächten, dass nur die Freidenker frei denken und andere nicht. Dann muss ich jeweils erklären, dass das ein rein historischer Name ist und nicht irgendetwas aussagt über die generellen Denkaktivitäten.

Ich möchte noch mal auf die Gesetze zurückkommen. Die Schweiz hat ja eine Gesetzgebung, die der Sterbehilfe einen Raum gibt. Obwohl sich die Kirchen mit der Sterbehilfe schwer tun, gibt es in der gesetzgebenden Körperschaft wie auch in der Bevölkerung eine Mehrheit, die sagt: Ich möchte über mich selber auch selber entscheiden. Das ist doch ein riesiges Potential von einer Grundstimmung eines Selbstbestimmungsrechtes, was die Menschen für sich beanspruchen, jenseits von Parteien und Religionen.

Valentin: In diesem Bereich tickt die Schweizer Bevölkerung mehrheitlich sehr gesellschaftsliberal. Da, wo es um sehr persönliche Entscheidungen, das eigene Leben geht, da ist das Verlangen, selbst bestimmen zu können sehr groß. Man weiß aber auch, dass es keine große Not hat, sich da zu engagieren. EXIT hat etwa 70.000 Mitglieder. Die werden durchaus als Dienstleister angesehen. Ich denke aber nicht, dass da jedes Mitglied aus persönlicher Vorsorge dabei ist, sondern weil man weiß, die tun was für andere und engagieren sich in der Debatte und im politischen Prozess. Sie haben viel weniger Schwierigkeiten sich zu erklären, weil sie sich nur auf dieses eine Thema beschränken und sich nicht nur positionieren, sondern auch ein entsprechendes Dienstleistungsangebot haben. Da weiß man ganz genau, was in dem Paket drin ist und was nicht.

Reta: EXIT hat insofern bessere Voraussetzungen, weil sie einen status quo verteidigen, während wir einen status quo ändern wollen. Es ist immer einfacher zu sagen, dass der status quo gut ist und es ist einfacher diesen politisch zu transportieren, als eben zu sagen, dass man etwas ändern muss, weil es schlecht ist.
 

Ich sehe ein Problem bei Single-purpose-movements, also, so wie „EXIT” nur ein Thema zu haben, in Deutschland ist es gerade so, dass dann die evangelischen Leute sagen, aber irgendwo sind wir doch alle Humanisten. Aber evangelische Gläubigen haben eine Grundkonsistenz religiös zu sein, an bestimmte sittliche Normen zu glauben, die nicht im weltlichen Diskurs entstanden sind, sondern durch irgendeine autoritäre Instanz gesetzt worden sind. Man muss sich dagegen zur Wehr setzen, dass man vereinnahmt wird, dass wir alle irgendwie Humanisten sind. Die Frage ist, ob es den Freidenkern nicht genauso geht, dass eine Zustimmung da ist, sei es punktuell oder generell, aber dafür muss man sich ja nicht organisieren. Es geht ja auch so.

Reta: Es ist ja auch eine gewisse Spannung. Eigentlich bin ich als Freidenkerin der Meinung, dass es niemanden etwas angeht, was ich persönlich glaube oder nicht. Wenn ich mit Leuten, die aus der Kirche austreten wollen, spreche, sehen sie dies als ihre persönliche Frage an. Das ist ihr Recht. Ich versuche sie dann darauf hinzuweisen, dass es da immer noch eine politische Dimension gibt, weil eben die Situation noch nicht so ist, dass es eine rein persönliche Frage ist. Das ist für uns eine der schwierigsten Hürden, dass die Menschen verstehen, dass mit dem eigenen Kirchenaustritt zwar die eigene, direkte Verbindung mit der Kirche gekappt wird, dass sie aber über das politische System eben doch noch sehr stark verbunden bleiben. Es braucht also immer auch die politischen Bewegungen.

Wir sahen auch bei der Mitgliederbefragung, die in Zürich gemacht wurde: Mitglied ist man nicht, weil man persönlich vom Verein viel will. Sie wollen, dass wir politisch aktiv sind und ihre Interessen vertreten. Menschen, die ausschließlich eine Sonntagsversammlung oder gesellige Zusammenkünfte suchen, die werden bei uns nicht Mitglied, die schließen sich eventuell eher esoterischen Kreisen an. In Zürich könnte man probieren, eine Sonntagsversammlung zu organisieren, aber vielleicht etwas anders als in England, wo die „Sunday Assembly” extrem nah an einen Gottesdienst angelehnt ist.

Dass es in Städten, wo viele Leute stranden, viele sozial schlecht integriert sind, ein Bedürfnis gibt nach Treffpunkten von ähnlich Denkenden, wo man hin gehen, sich einfach mal anschließen, mal einfach rein schauen kann, das scheint mir klar.
Ich denke, dass man dies auch für Konfessionsfreie anbieten muss, dass man z. B. am Welthumanistentag etwas Leichteres anbieten könnte. Ich finde es gut, wenn ihr in Zürich zum Menschenrechtstag ein paar kernige Fragen stellt, aber zum Welthumanistentag dürfte es auch ein bisschen relaxter sein. Letztes Jahr hat die Sektion Bern zum Beispiel „Sangrìa und Geschichten“ am Bielersee angeboten. Einfach eine Gelegenheit, an der man ungezwungen zusammen kommt, interessante Leute trifft, ein paar Geschichten hört, die man selber noch nicht gelesen hat, und sich unterhalten kann. Die Teilnehmenden waren begeistert und wünschten eine Wiederholung. Die Veranstaltungen, die in Zürich laufen sind alle gut, aber alle intellektuell anspruchsvoll. Manche Leute suchen eben mehr das gesellige, das heimelige Gefühl.

Valentin: Wir im Wallis haben ja jeden Monat den „Stamm am Abend”. Der ist sehr unterschiedlich besucht, je nachdem was sonst so läuft, ob Fußball ist oder wie das Wetter ist. Das ist ein sehr unaufgeregtes, gemütliches Beisammensitzen und Diskutieren.

Aber der entscheidende Unterschied ist, bei den Sunday Assemblies, das ist wie ein Gottesdienst. Da sind Leute die sich das angenommen haben, so etwas wie Priester, das zu zelebrieren, die Leute kommen, nehmen daran teil, es ist ein Event, sie werden unterhalten, fühlen sich angesprochen und bestätigt und gehen wieder. Dann geben sie sogar noch eine kleine Spende. Dieses aktiv sein, sich einbringen ist da ganz weit zurückgegangen… Wenn man den ganzen Tag arbeitet, auch die ganze Woche gearbeitet hat, hat man ein ganz legitimes Interesse unterhalten zu werden, Entspannung zu haben.

Beispielbild