Das Große Sommerinterview

Freidenker und Freidenken in der Schweiz

Der Zentralvorstand ist aber vor allem ein Verwaltungsorgan, da geht es auch um Budgetfragen, was junge Leute weniger interessiert. Die wollen eher Aktionen machen und wollen sich meist nicht längerfristig engagieren.

Das ist eine meiner Fragen: Kann man auch eher projektorientiert arbeiten, wo junge Leute sich für ein paar Monate engagieren können und dann auch wieder in Ruhe gelassen werden. Das scheint mir eher das Lebensgefühl vieler jüngerer Leute zu sein. Trotzdem braucht es aber eben im Vorstand auch Leute, die für eine gewisse Kontinuität stehen.

Ein Problem ist, wenn langjährige Vorstandsmitglieder weggehen, dass ein Teil des historischen Wissens verloren geht. Wir sind zwar inzwischen durch das Internet wesentlich besser dokumentiert, aber es geht dennoch immer mal wieder etwas verloren. Ich hatte vor Jahren Jean Kaech, den früheren Co-Präsidenten, gebeten, etwas von seinem historischen Wissen aufzuschreiben, aber nun ist er bald 90 Jahre alt und ich kann ihn nichts mehr fragen. Er hat sich zurückgezogen und interessiert sich nicht mehr so.

 

Ich hatte auch einmal einen speziellen Eindruck, als ich mir die Staaten Europas anschaute, die so überschuldet sind, dass sie es nicht durch eigene Wirtschaftsleistung ausgleichen können. Portugal, Spanien, Italien und auch Frankreich – alle katholisch. Gibt es da irgendeine spezielle religiöse Dimension von Arbeitsethik, von Verantwortungsmoral? Ich habe einmal versucht, das Phänomen Berlusconi zu ergründen, und bekam von Italienern die Antwort, dass in Italien Macht und Moral nicht miteinander in Verbindung gebracht werden. Das sei eine typisch nordeuropäische, evangelische Moral, dass man als Besitzer von Geld und Macht ein Vorbild zu sein habe. Gibt es da eine Trennung zwischen katholisch und evangelisch? Der Katholik geht zur Beichte, ist nach Buße von seinen Sünden befreit und macht neue Schulden, während der Evangelische nur in die Einöde seines schlechten Gewissens gehen könnte und das mit sich selber klar bekommen muss?

Valentin: Das ist aber so eine Art Salon-Katholizismus. Man trifft sich dann gerne mit dem Abt von Einsiedeln, und gibt sich ein ethisches, ein spirituelles Mäntelchen, ein moralisches Feigenblatt, ... das kauft man sich dort ein, wenn man dem Kloster Tausende von Franken spendet. Zum anderen – ich bin kein Historiker – es ist so eine ‚what if’-Frage, was wäre geschehen, wenn Lenin, der hier ja im Berner Oberland war, seine Ideen hier umgesetzt hätte, wenn wir eine Sowjetrepublik der Schweiz gehabt hätten... Es ist schwierig, dazu etwas zu sagen.

Mich stört zum Beispiel in der aktuellen Finanzkrise, dass in Griechenland alle sparen müssen, aber die Kirche nicht. Es liefen da echt skandalöse Dinge, welche die konventionellen Medien viel zu wenig beachtet haben. Und wie das in der Zukunft aussieht, ob es einen speziellen, katholischen Weg eines Unternehmens gibt oder einen protestantischen ‚mind set’ im Business, das wage ich zu bezweifeln. Die Leute gehen doch heute, egal  ob sie aus einem traditionell katholischen Kanton stammen oder aus einem reformierten, an die Hochschulen und dort wird Ökonomie gelehrt. Ich bezweifle, dass Religiöses dort jetzt noch so viel Einfluss hat. Natürlich ist es ein anderer Startpunkt, wenn du in einer reichen Familie geboren bist und schon Millionen im Rücken hast, dann fällt es dir sicher leichter, etwas aufzubauen. Aber das hat mit Religion ja nun nicht wirklich viel zu tun.

Das ist sicherlich richtig.
           
Reta: Ja, aber historisch ist es wohl richtig, dass die Reformierten damit begonnen haben, als sie noch relativ arm waren, gegenüber einer reichen katholischen Kirche. Das war sicherlich eine Motivation, diese Armut zu überwinden.
Und es gibt, wenn es um die staatlichen Zuschüsse an die Kirchen geht, manchmal hinter vorgehaltener Hand, manchmal offener, auch innerhalb der Kirchen die Auffassung, dass die Kirchen in der Schweiz zu reich sind. Und Reichtum macht faul, stimuliert keine Innovationen, und so gibt es auch innerhalb der Kirchen einige Leute, die meinen, dass es der Kirche nicht schade, wenn diese Pfründen einmal wegfallen würden und man sich wieder etwas mehr anstrengen müsste.

Vielleicht sollte man einmal nach Rom schreiben... (Lachen)
               
Reta: Wir haben in der Schweiz den berühmten Bischof Huonder und der spielt in der Frage der Trennung von Kirche und Staat durchaus auf unserer Linie – natürlich mit völlig anderer Motivation. Und das ist der alte, nicht sichtbare Geldadel in der Schweiz, der dann die Kirchen schon noch stützen würde. Man sieht es immer, wenn irgendwo ein Kloster renoviert werden muss, da werden Unsummen gespendet. So wie Daniel Vasella, auch wenn es nicht sein eigenes Geld ist, er hat es geschafft, dass Ciba-Geigy immer dabei ist.

Diese Netzwerke haben die Reformierten nie so ganz hinbekommen. Ich sage immer: Katholiken sind schlauer, nicht gescheiter, aber schlauer. Sie haben 2000 Jahre Erfahrung, wie man Macht aufbaut und verteidigt. Und die Reformierten die jammern einfach immer nur. Sie haben keine Strategie, sie springen auf jede Provokation an, während die Katholiken ganz souverän sagen, „Auch das geht vorbei!“

 

Wie ist es in der Schweiz? In Deutschland haben wir über Artikel 140 Grundgesetz die Gleichstellung von Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften, und auf diesem ‚Ticket’ macht der Humanistische Verband erfolgreich die parallele Finanzierung sozialer Dienstleistungen. Und die Körperschaften des öffentlichen Rechts, wie der Bfg in Bayern, bekommen auch Staatsleistungen. Gibt es das in der Schweiz auch?

Andreas: Es ist alles kantonal geregelt. Es gibt fast nichts zu Religions- und Weltanschauungsgemeinschaften in der Bundesverfassung. Es gibt dort lediglich ein Verbot, Menschen zum Religionsunterricht zu zwingen. Und die Gewissensfreiheit ist auf nationaler Ebene festgeschrieben, ...

Reta: ... und das Minarettverbot ...

Andreas: ... ja, das steht jetzt auch dort.

Eine Nachfrage: Moscheen dürfen gebaut werden, aber ohne Minarette?

Andreas. Genau. Das war jetzt der jüngste Zusatz zu dem Artikel über Glauben, aber alles, wo es um operative Vorgaben geht, ist kantonal geregelt. So gibt es in Zürich in der Kantonsverfassung Regelungen, welche Religionsgemeinschaften als staatlich anerkannt gelten. Das müsste man über eine Verfassungsänderung neu regeln. Und dann gibt es das Staatskirchengesetz, welches diese ganzen Zuwendungen ermöglicht.

 

Es gibt also staatlich anerkannte Religionsgemeinschaften, die diese Zuwendungen bekommen, und andere, das sind Vereine ...

Andreas: Es gibt drei Stufen. Es gibt drei christliche Kirchen, bei denen der Staat die Mitgliedsbeiträge als Steuern einzieht, dann gibt es zwei jüdische Organisationen, die, wie die drei Landeskirchen, einen Anteil der jährlichen 50 Millionen Franken, die der Kanton pro Jahr an Religionsgemeinschaften ausgibt, erhalten. Alle anderen unterstehen dem gewöhnlichen Vereinsrecht.

Welche Organisationen anerkannt sind, ist auch rein kantonal geregelt. Aber in Zürich geht es ausdrücklich nur um Religionsgemeinschaften. Um die Freidenker rechtlich den anerkannten jüdischen Organisationen gleichzustellen, brauchte es eine doppelte Verfassungsänderung, da dort die anerkannten Gemeinschaften abschließend aufgeführt sind. Der einleitende Artikel erwähnt ausdrücklich nicht Weltanschauungsgemeinschaften sondern nur Religionsgemeinschaften. Die Säkularen sind nicht genannt und nicht gemeint.

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