Auch in der Schweiz werden die Kirchen vom Staat kräftig alimentiert. Der hpd berichtete jüngst über das Ergebnis einer Umfrage, nach der eine verschwindende Minderheit im schweizerischen Bern die sozialen Angebote der Kirchen in Anspruch nimmt. Über diesen Widerspruch sprach der hpd mit Valentin Abgottspon und Jorgo Ananiadis von den Freidenkern.
hpd: Von welchen sozialen Angeboten der Kirchen reden wir hier?
Jorgo Ananiadis (Co-Präsident FRB): Gemäss Fragebogen der Studie von:
- Freizeitangeboten für Kinder und Jugendliche,
- Beratung für Ehe und Familie
- Seniorentreffen
- Angebote für sozial Schwache und Armutsbetroffene
- Angebote für MigrantInnen und Asylsuchende
- Kurse und Vorträge
- Entwicklungszusammenarbeit
- Kulturangebote, Kirchenmusik und Konzerte
- Ansprechpartner bei persönlichen Problemen
- Angebote für Alleinstehende
- Christliche Sexualerziehung an öffentlichen Schulen
- Mahlzeitendienst für Betagte
In den Antworten der Befragten waren bei der Umfrage praktisch nur 1., 6. und 8. relevant. Alle anderen Angebote waren wenig bekannt und wurden entsprechend noch weniger genutzt.
In einer Pressemitteilung heißt es, dass insbesondere Kultur- und Bildungsangebote (Konzerte und Vorträge) sowie Freizeitangebote für Kinder und Jugendliche genutzt werden. Bietet der Staat vergleichbare Angebote?
Jorgo Ananiadis: Sicher. Auf allen staatlichen Ebenen (Gemeinde, Region, Kanton, Bund) sind solche Angebote vorhanden und/oder werden gefördert. Beispiele: Kultur: Theater, Museen, Kulturförderung im Kt. Bern ca 70 Mio Bildung: Alle Schulen, Bibliotheken etc. Freizeitangebote: Sporthallen, Schwimmbäder, Spielplätze, ...
Die Angebote können vergleichbar oder ergänzend sein, und ausserdem gibt es unzählige weitere Organisationen, die solche vergleichbare gewinn- oder nichtgewinnorientiert anbieten. Es herrscht also ein "verzerrter Wettbewerb"
Wenn nur 7% der Befragten diese Angebote nutzen, dann sind das ja sogar weniger als die Kirche anteilmäßig Mitglieder hat. Umso erstaunlicher ist, dass sich der Staat so stark finanziell engagiert. Wäre es nicht sinnvoller, das Geld gleich in eigene soziale Einrichtungen zu investieren?
Valentin Abgottspon (Vize-Präsident FVS): Selbstverständlich wäre das sinnvoller. Fairer sowieso.
Es wird kirchlicherseits gerne behauptet, dass bei den kirchlichen Einrichtungen zu den mit Steuerfranken von allen finanzierten Leistungen auch viel Freiwilligenarbeit dazukomme. Das blendet aber einerseits aus, dass z.B. auch Freidenkerinnen und Freidenker, Fussballtrainer in Amateurclubs, Lehrpersonen in der Flüchtlingsarbeit etc. auch viel ehrenamtliche Arbeit verrichten und andererseits bleibt es grundsätzlich unfair, dürfen sich einige Institutionen mit einem gesicherten Grundstock an staatlicher Leistung in gewissem Sinn zurücklehnen.
Wo sich der Fussballverein, die Freidenker und der Kegelklub komplett selbst organisieren müssen, dürfen die Kirchen bei vielen Projekten mit recht grosszügiger Finanzierung rechnen. Das macht es einfach und sorgt für eine gute Reputation. Alle Steuerzahlerinnen und Steuerzahler bezahlen, die Kirche darf aber gross "Kirche" draufschreiben. Das ist nicht ganz ehrlich und angemessen.
Jorgo Ananiadis: Ja. Unsere Forderung lautete: "Wo der Staat das Erbringen sozialer Leistungen delegiert, sollen sich die Landeskirchen einem offenen Wettbewerb stellen." Besser wären also definitiv neutrale Ausschreibungen und klare Leistungsverträge.
Werden die Schweizer Freidenker mit ihren zukünftigen Forderungen Konsequenzen aus der Umfrage ziehen? Und wenn ja, welche?
Jorgo Ananiadis: Vermutlich bleiben unsere aktuellen Forderungen auch zukünftig aktuell (lacht)
Politisch: Im Kanton Bern läuft jetzt bis im Dezember die Vernehmlassung des neuen Kirchengesetzes, wo wir uns sicherlich aktiv einbringen. Ebenso sollten wir das "Lobbying" diesbezüglich verstärken. Weitere Optionen sind die Androhung eines Referendums oder Initiativen um den Druck zu erhöhen.
Valentin Abgottspon: Wir haben jetzt gute und verlässliche Zahlen. Leider hat sich gezeigt, dass Politiker diesbezügliche Fakten sehr gerne ignorieren oder anzweifeln und dann ihr Bauchgefühl walten lassen.
Es findet bei den Politiker leider auch oft ein Ausweichen und Ablenken statt. Ich finde es verzeihlich, wenn dies Kleriker tun. Dass man der Kirche und ihren Funktionären jedes Privileg abtrotzen muss, liegt in der Natur der Sache. Dass aber der Grossteil der Politik dem gesellschaftlichen Wandel hinterhertrottet: Das muss uns Ansporn sein! Wir müssen insbesondere der Parteipolitik besser klar machen, dass Religionsferne, Religionskritische, Religionslose, Humanistinnen, Atheisten, Freidenkerinnen und Laizisten eben auch wählen.
Wir müssen vermehrt klar machen, dass Politiker, welche sich für die Trennung von Staat und Kirchen und für die Gleichbehandlung der Weltanschauungsgemeinschaften einsetzen nicht nur nichts zu verlieren haben, sondern – im Gegenteil – in vielen Kantonen etwas zu gewinnen hätten!
6 Kommentare
Kommentare
Resnikschek Karin am Permanenter Link
Kirchlicher Lobbyismus ist in der BRD offenbar noch stärker. Es darf davon ausgegangen werden, dass er sich europaweit zu etablieren versucht.
Auf unsere Kosten wird hier Gegenpolitik gemacht. Wenn wir nicht in dem uns zustehenden Maß berücksichtigt sondern ausgegrenzt werden - aber der Islam und die Muslime, weil sie eine Religion und religiöse Gefühle haben - was offenbar völlig unberechtigter Weise privilegiert wird - ja, dann wundert einen das Aufkommen der AfD nicht. Humanisten werden diese Partei nicht wählen. Die Parteien sollten sich weniger um den kirchlichen Lobbyismus sondern um die nicht ausreichend organisierten Humanisten und Konfessionsfreien kümmern, damit die nicht völlig frustriert am Staat verzweifeln. Wir sind ca. 33% loyale Bürger, die überall mitarbeiten. Auch ehrenamtlich. Ein Dankeschön an uns wäre angesagt, die Gleichstellung auf allen Ebenen, nicht unsere Ausgrenzung und Benachteiligung. Traut den Kirchen nicht - denen geht es nur um Macht. Oder? Mit den Christen an der Basis kann man zusammenarbeiten.
Die haben überwiegend nichts gegen Konfessionslose. Aber wird das Volk gefragt? 80% würden uns akzeptieren. Also lieber Staat und liebe Amtskirche: zieht Konsequenzen daraus. Haltet Euch mal abwechslungsweise ans Grundgesetz Art. 3 und 4 und 140 und vile andere. Dann wirds besser im Staat. Dann, und nur dann. Karin Resnikschek
agender am Permanenter Link
Aufgrund meines Benutzernamens dürfte klar sein, dass ich 10 "für Alleinstehende" GARANTIERT nicht in einem kirchlichen Zusammenhang nutzen würde - egal wo auf der Erde!
Und wegen meiner Minirente und entsprechenden Wohnproblemen habe ich hier im Norden Deutschlands mit 4 - "für Sozial Schwache" bisher das Kunststück höflicher Ablehnung von Missionierungsversuchen geschafft, aber es nervt!
WEG mit den Kirchenprivilegien!!!!!
ÜBERALL!
C.Schwab am Permanenter Link
Nun in der Schweiz existiert auch das Phänomen; dass nach den Wahlen nicht mehr vor den Wahlen ist. Und es hat äusserst selten Konsequenzen für Politiker und Parteien.
http://www.20min.ch/schweiz/bern/story/Politiker-brechen-Wahlversprechen-23964402
Kay Krause am Permanenter Link
Ich kann es nur immer und immer wiederholen: die religiöse oder weltanschauliche Einstellung / Zugehörigkeit eines Menschen oder einer Gruppe von Menschen darf nicht unser öffentliches Leben bestimmen, egal ob in der
U N D E M O K R A T I S C H und trennt uns letztlich immer noch nicht von den Gepflogenheiten des Mittelalters, obwohl wir nun schon sooooooo viele Jahre Zeit hatten zum Üben!
Kirche? Ja, warum nicht? Aber bitte nicht mit meinen Steuergeldern privilegiert! Wer Kirche möchte, soll Kirche haben und auch selbst bezahlen. Und für Ihre jährlichen Milliarden-Einnahmen aus Vermietung, Verpachtung, Verkauf und Beteiligungen soll Kirche gefälligst die Bücher offenlegen und Steuern zahlen! Kirche ist ein Trust, ein Konzern, eine Kapitalgesellschaft, und sollte somit auch nicht anders behandelt werden als die Deutsche Bank, Volkswagen oder Fa. Krupp. Gott, seine Engelchen und Heiligen sowie die Gläubigen sind lediglich Mittel zum Zweck des Erhaltes eines ungeheuren Kirchen-Reichtums. Und wenn mir nun einer kommt mit dem sozialen Engagement der Kirchen, ohne das der Sozialstaat zusammenbrechen würde, dann kann ich dazu nur sagen, dass auch diese Leistungen die Kirchen sich gut vom Vater Staat bezahlen lassen und sich wiederum auch hier nicht in die Karten schauen lassen bezüglich Einnahmen und Ausgaben. Somit ist es doch sehr fraglich, ob es teurer wäre, wenn der Staat selbst diese Aufgaben übernehmen würde.
Zumindest würde dann auch in diesen Sozialeinrichtungen das öffentliche Arbeitsrecht herrschen, die ungesetzliche, aber geduldete Diskreminierung von Nicht-Kirchenmitgliedern wäre beendet. Kein Angestellter bei VW wird unter Androhung der fristlosen Entlassung gezwungen, einen Volkswagen zu fahren, sein Ford oder Opel wird nicht vom Firmenparkplatz entfernt.
Politiker! Macht endlich Schluß mit den Privilegien der Kirchen!
Gläubige! Behaltet Euren Gott im Herzen und kehrt diesen unseligen Kirchen den Rücken, anders werden sie nicht auf den Platz in der Gesellschaft zu verweisen sein, auf den sie gehören: in das Privatleben eines jeden Gläubigen, welcher auch selbst dazu bereit sein muß, dieses Vergnügen zu finanzieren.
Nur wer Publikum hat, wird auch beklatscht!
Marti L. am Permanenter Link
Ich bin auch Atheist, das heisst ich bin überzeugt, dass es Gott und Götter nur in den Köpfen der Gläubigen gibt.
Gelmir am Permanenter Link
@Marti L.
"Dass der Staat die christlichen Kirchen finanziell unterstützt, fand ich früher auch skandalös, doch angesichts des erstarkenden Islam in Europa beginne ich umzudenken."
Du meinst also, man sollte den Teufel mit dem Beelzebub austreiben?
Vielleicht solltest Du darüber noch mal nachdenken.