Wenn es ums Geld geht oder nur um die institutionelle Bevorzugung?
Andreas: Vor allem geht es meist ums Geld, aber auch um Privilegien. Im Kanton Zürich ist jetzt beispielsweise das neue Aufgleisen des Religionskundeunterrichts sehr schief gelaufen. Der Religionsunterricht war früher konfessionell getrennt und pseudo-freiwillig, jetzt gibt es ein obligatorisches Schulfach und da waren christliche Dogmatiker am Werk, es ist eine Religionskunde mit verschiedenen Religionen. Die Leithammel waren natürlich alles Christen und das ganze Säkulare bleibt da außen vor – außer auf einer Doppelseite in dem Lehrbuch für die Oberstufe, da gibt es zwei Absätze zu Agnostikern und Atheisten, neben einem Interview mit einer jungen Ärztin, die vom Glauben angefallen ist, und der eine Absatz von den Zweien beginnt mit der Einleitung: „Im 20. Jahrhundert wurde der Atheismus in totalitären Staaten wie der ehemaligen Sowjetunion und der DDR sowie in China für verbindlich erklärt.“ Das heißt, die ganze Kontextualisierung des Nicht-Glaubens wird mit Totalitarismus gemacht, nichts von europäischer Aufklärung, nichts vom eigenen Nährboden für moderne Ideen... Da merkt man, die Kirchen sollen über staatliche Schulen und staatliche Lehrer den Schülern ihr Programm vermitteln können.
Da hätten wir eigentlich mehr herausholen müssen, mindestens die ganz schlimmen Fehler verhindern, das ist uns nicht gelungen. Das sind Bereiche, wo wir definitiv weder genügend Verbündete finden im politischen Lager noch selbst schlagkräftig genug sind.
Valentin hatte vorhin schon das Datum der Trennung von Staat und Kirche benannt : 2030!
Andreas: Auch das wird von Kanton zu Kanton verschieden sein. (Lachen)
Claude: Ich möchte dem noch beifügen, dass im Gegensatz zu Deutschland, wir in der Schweiz die Säkularisierung in 26 Ländern vorantreiben müssen.
In Deutschland sind es 16 Bundesländer ...
Claude: Aber ist es in Deutschland auch so, dass Religionsfragen auf Länderebene geregelt werden?
Ja. Religion ist Kultus und in einigen Ländern heißen die Ministerien für Kultur immer noch Kultusministerien.
Claude: Ich beobachte es in der Schweiz: Die Kirche hat vor allem eine starke Stellvertreterfunktion und zwar, um das eigenen Gewissen zu beruhigen. Man muss sich nicht mehr selber um Solidarität oder Empathie kümmern, nein, die Kirche macht das ja. Weil sie diesen Job hat, gesellschaftlich übertragen, wird sie genauso wahrgenommen.
Ich habe einmal versucht euch, als Freidenker der Schweiz, in die deutsche säkulare Szene einzugruppieren, wo würdet ihr stehen? Ich habe den Eindruck, ihr seid sehr stark beim IBKA (Internationaler Bund der Konfessionslosen und Atheisten) – Trennung von Staat und Kirche, als das wichtigste Thema – alles andere soll jeder für sich selber gestalten. Wir sind kein Bespaßungsverein für unsere Mitglieder.
Andreas. Mein Anspruch ist, dass wir nicht nur Kirchen-Bashing betreiben. Wenn man – zu Recht – sagt, die religiösen Welterklärungen, die taugen nichts – die bringen uns ethisch nicht weiter und sie erklären die Welt eben nicht – stehen wir in der Pflicht, die besseren Antworten, die klügeren Konzepte auf die Bühne zu holen. Und das machen wir ja schon, gerade auch beim Denkfest. Das Veranstaltungsprogramm hat kaum mit Religion zu tun.
Seht ihr euch eher irgendwo zwischen IBKA, GBS und ein bisschen HVD ...?
Valentin: In den USA machst du aus den Freidenkern der Schweiz drei Verbände, oder sogar vier, und hier versucht man, das einigermaßen unter einen Hut zu bringen. Was ich und andere im Wallis machen, ist die Schaffung eines Bewusstseins, dass es so etwas wie Freidenker, ethisches, freudiges Leben ohne Religion usw. überhaupt gibt. Es geht mitnichten nur um die Trennung von Kirche und Staat. Ich habe in vielen Briefen und Gesprächen mitbekommen, dass zugestanden wird, dass man auch (oder gerade?) ohne Gott gut sein kann. Man kann als Jugendlicher im Wallis mittlerweile recht gut sagen, dass es in Ordnung ist, schwul zu sein oder mit wenig Gegenwind, es sei in Ordnung, nicht gläubig zu sein. Es geht schon um den gesellschaftlichen Player in der Politik, in der Publizistik, in der Philosophie, wie auch immer.
Wir haben da mehrere Standbeine. Es wäre in Zerrbild, wenn man sagen würde, dass wir nur die Trennung möchten. Ich bin natürlich immer für die Trennung von Kirche und Staat, aber wieso? Weil die Antworten nicht genügen und ich tatsächlich kirchenkritisch bin. Wenn ich wählen kann, dann lehne ich die katholische Kirche ab, mit ihren Moralvorstellungen, ihrer Sexualmoral und den verqueren Bildern und Vorstellungen, welche sie den Kindern in den Kopf setzen wollen ... Es geht im ersten Punkt um diese Trennung, aber selbst wenn auch im Wallis und in der ganzen Schweiz diese Trennung durchgeführt wäre, würde ich gewisse katholische und islamische Vorstellungen als falsch und schädlich kritisieren. Und falls wir nach der Trennung von Staat und Kirche die Freidenkervereinigung der Schweiz auflösen würden, selbst dann würde ich mich weiterhin humanitär, humanistisch, altruistisch engagieren... Aber vielleicht bin ich in zehn Jahren weiser. (Lachen)
Also, ich mache einmal einen anderen Versuch. In Deutschland ist man jetzt dabei, unter Schwierigkeiten – vorwiegend durch die Genehmigungsbehörden – Bündnisse zu schaffen wie den KORSO (Koordinierungsrat Säkularer Organisationen), um verschiedene Organisationen unter ein Dach zu bekommen. Ihr habt das historische Glück, das ihr es bereits unter einem Dach habt.
Reta: Ja und Nein.
Claude: Ich finde dieses Bedürfnis der Schweizer nach Konsens schon wahnsinnig. Aber wir suchen immer den kleinsten gemeinsamen Nenner, um uns zu organisieren. Der Vorteil bei uns ist, dass wir das politische Spektrum von weit links außen bis relativ weit rechts außen unter einem Hut vereinen. Und das nur, weil wir uns aus Politik, die über den Themenkreis Trennung von Kirche und Staat hinausgeht, ganz bewusst heraushalten.
Sind denn die Schweizer überhaupt tolerant?
Reta: Nein, die Schweizer sind nicht tolerant. Sie leben in einem relativen Wohlstand gleichgültig aneinander vorbei.
Lass mich in Ruhe und ich tue dir auch nichts?
Claude: Genau.
Reta: Der Mythos der Schweiz ist die vielsprachige Schweiz. Aber die Welschen sprechen kein Wort Deutsch, ....
Und wie kommen die Ergebnisse der Volksabstimmungen zustande?
Claude: Wenn man sich die Resultate anschaut, dann verläuft eine imaginäre Grenze zwischen Ost und West in der Schweiz.
Reta: Wir nennen das den ‚Rösti-Graben’, weil auf dieser Seite die Kartoffeln ‚flach’ gebraten werden.
Valentin: Es gibt ganz viele Abstimmungen, die nicht mehr nach dem ,Rösti-Graben' gehen sondern eher nach Stadt-Land-Unterschieden. Es gibt typische Stadt-Kantone und typische Land-Kantone.
Und zur Frage der Volksabstimmungen ... Das ist vielleicht für die deutschen Leser nicht so bekannt. Es gibt auf nationaler Ebene die Möglichkeit, 100.000 Unterschriften zu sammeln; und wenn die zusammen kommen, dann muss über eine Verfassungsänderung entschieden werden, das ist eine Volksinitiative. Daneben gibt es noch die Möglichkeit des Referendums: Wenn einem eine vom Parlament beschlossene Gesetzesänderung nicht passt, wird nach Sammlung von 50.000 Unterschriften darüber abgestimmt, ob das Gesetz geändert wird oder nicht.
Und dann gibt es noch viele Möglichkeiten auf kantonaler Ebene. Im Wallis sammeln die Freidenker und andere politische Organisationen aktuell 6.000 Unterschriften auf kantonaler Ebene und wenn wir das innerhalb eines Jahres schaffen, dann wird darüber abgestimmt, ob wir im Kanton Wallis Kirche und Staat trennen.
Bei uns sind Volksentscheide etwas alltägliches und es ist ebenso normal, dass sich Interessenverbände zusammentun, um einen Input zu geben. Und manchmal ist dieser Input selbst auch schon genug. Mann kann eine Initiative auch zurückziehen, wenn beispielsweise das Parlament bereit ist, die Forderungen weitgehend umzusetzen. Bei der Wallis-Trennungs-Initiative geht es uns auch darum, dass die Diskussion vorankommt. Natürlich wollen wir auch die Abstimmung gewinnen, aber wir wollen zunächst, dass das Anliegen in die Diskussion kommt.
Es ist schon eine andere politische Kultur, dass man diesen ‚Hammer’ hat – und der ist nicht immer gut. Es gibt auch Initiativen, die angenommen wurden, die völkerrechtlich fragwürdig sind.