Die Diskussion in Deutschland über Volksentscheide in den Bundesländern gibt es ja schon und es gibt dann ein Argument: Wenn es nationale Volksabstimmungen gäbe, dann hätten wir wieder die Todesstrafe...
Claude: Es gäbe bei uns, theoretisch, noch eine Notbremse. Das wäre, wenn die Bundeskanzlei oder das Parlament die Initiative als ungültig erklären würde. Das gäbe es noch...
Reta: Wird aber ungern gemacht.
Claude: Wurde es überhaupt schon einmal gemacht?
Andreas: Ja, mehrmals, es gibt aber eigentlich nur zwei Möglichkeiten: Verstoß gegen zwingendes Völkerrecht – das wurde aber, meines Wissens, noch nie zur Ungültigkeitsbegründung verwendet -, und fehlende Einheit der Materie – wenn unterschiedliche Themen in einer Initiative behandelt werden.
Stehen die Freidenker zu jeder Volksabstimmung ganz speziell? Manchmal dafür, manchmal dagegen?
Andreas: Es gab in letzter Zeit nur zwei Abstimmungen, zu denen wir eine Parole herausgegeben haben.
Das erste Mal war bei der Minarett-Initiative, wo wir argumentiert haben, die stärkere Trennung von Staat und Kirche, die hängt man nicht am Baurecht auf. Erstens war die Initiative diskriminierend, weil sie nur eine Religion betraf, und sie war völlig ungeeignet, um Religionsgemeinschaften einen klar definierten Rahmen zu geben. Unsere Stellungnahme führte dann dazu, dass in Winterthur eine Gruppe ausgetreten ist, die sehr islamkritisch unterwegs war.
Und das zweite Mal war dieses Jahr im Februar, als das Recht auf Abtreibung erschwert werden und die Leistung vom Krankenkassenkatalog gestrichen werden sollte.
Aber da hatten wir, wie bereits erwähnt, Diskussionen mit Ultralibertären, die sowieso jegliche staatliche Gesundheitsvorsorge ablehnen. Für uns stand das Recht auf Selbstbestimmung im Vordergrund, dies verstanden auch jene, welche ein Krankenkassenobligatorium grundsätzlich ablehnen.
Valentin: Der gesellschaftliche Wandel ist sehr fortgeschritten. Wie hatten jetzt ein sehr positives Frauenrechts-Resultat. Das Recht auf Abtreibung war früher im Wallis noch abgelehnt worden, aber wir mobilisieren gut gegen Veranstaltungen wie den ‚Marsch für das ungeborene Leben’ und wir sind ganz klar auf der Gewinnerseite. Und, was ganz wichtig ist, die Kirchen schaffen es nicht mehr, die Menschen zu mobilisieren. Wenn sie sagen, sie sprechen für so und so viele Prozent – und die katholische Kirche war auch gegen das Minarett-Verbot und trotzdem kam es durch – haben sie die Deutungshoheit über viele Fragen halt schlicht und einfach verloren. Im journalistischen Diskurs sind sie noch Ansprechpartner und für die Medienarbeit haben sie ja auch Geld, da kann man sich ja auch ein bisschen Meinung ‚kaufen’, ...
Valentin: Was Andreas sagte, sind die beiden Stellungnahmen auf nationaler Ebene, wir haben aber kantonal beispielsweise Initiativen der Jung-Freisinnigen mit unterstützt, dass man die Kirchensteuerpflicht für Unternehmen abschafft. Jetzt im Wallis sind die Freidenker ja auch mit an vorderster Front mit dieser Initiative; wir sind schon auch politisch tätig...
Reta: Das Ganze ist aber auch zweischneidig, denn in Zürich hat man ein so schlimmes Resultat eingefahren – über 70 Prozent der Abstimmenden war gegen die Abschaffung der Kirchensteuer für juristische Personen. Mit solchen Ergebnissen erschwert man sich die eigene Arbeit.
Andreas: Ja, die Ausgangslage war ungünstig. Die Jung-Freisinnigen lancierten die Initiative vor drei Jahren mit dem Titel “weniger Steuern fürs Gewerbe”. Es waren nationale Wahlen, und sie brauchten ein Vehikel für ihre Kampagne. An einem Bündnis waren sie damals nicht interessiert, nach den Wahlen mussten wir ihnen aber helfen, die Unterschriften zusammenzukriegen. Von den damaligen Initianten wurde im Vorfeld des Abstimmungs¬kampfes keiner aktiv. Vielleicht muss man rückblickend sagen, es wäre das Beste gewesen, sie hätten die Unterschriftenzahlen nicht zusammen bekommen, dann hätte es die Abstimmung unter diesen ungünstigen Voraussetzungen gar nicht gegeben. Immerhin haben sie es im Schlussspurt geschafft, dass sich zahlreiche junge Personen für die Trennung von Staat und Kirche einsetzten.
Reta: Ein Ergebnis ist natürlich, dass diese Themen dann auf Jahre hinaus blockiert sind. Und was man verstehen muss, ist das ganze Referendums- und Initiativrecht in der Schweiz. Ein Referendum kann man nur über neu beschlossene Gesetze der Parlamente machen. Wenn man ein geltendes Gesetz angreifen will, dann geht es nur entweder über das Parlament oder über die Initiative und letzteres bedeutet dann eine Änderung der Verfassung. In der Schweiz gibt es kein Verfassungsgericht. Was via Initiative den Weg in die nationale Verfassung schafft, gilt.
Valentin: Zur Erklärung, dass ihr es versteht: Das Schweizer Volk könnte eine Volksabstimmung machen: Alle Rothaarigen müssen fünf Prozent mehr Steuern bezahlen. Und es könnte passieren – wir haben kein korrigierendes Verfassungsgericht, die Einheit der Materie ist gegeben – das wir sagen: Ja, das gilt! Dann würde es gelten.
Reta: Man sieht aber, die Schweizer sind in der Praxis pragmatisch: Wenn problematische Artikel via Initiative in die Verfassung kommen, garantiert das Umsetzungsprozedere meist, dass es nicht so schlimm herauskommt, wie es könnte.
Das ist katholisch.
Reta: Was?
Da sagt der Priester: „So, wie das in der Bibel steht, dass muss man gar nicht so ernst nehmen...“ (Lachen)
Wir haben von euch gelernt! Danke.
Idee und Redaktion Evelin Frerk.
Die Fragen stellte Carsten Frerk.
Transkription: Elke Schäfer und Carsten Frerk.
Das Gespräch wurde am 28. Juni 2014 aufgezeichnet.