Nationalisten und Sozialisten gewinnen Wahlen

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Bart De Wever, N-VA /Foto: standaard.be

BRÜSSEL. (hpd) Obwohl komplizierter strukturiert, scheinen die Tendenzen der Wahlergebnisse in Belgien in vieler Hinsicht, die aus den Niederlanden (hpd berichtete) zu kopieren. Flämische Nationalisten und belgische Sozialisten gewinnen Wahlen in Belgien.

In Flandern verlieren die Christdemokraten (CD &A) ihren Platz als größte Partei und in Wallonien stagnieren sie auf ihrer alten Position als drittstärkste Partei. Wie in den Niederlanden sind es die populistischen Nationalisten der N-VA, welche den stärksten Zuwachs verzeichnen, sie überholen die Christdemokraten und werden zur stärksten Partei Flanderns. Alle anderen Parteien müssen direkt oder indirekt Stimmen an sie abgeben. Die Sozialisten aber werden auf belgischem Niveau die stärkste Partei, weil sie in Flandern (SP.A) nur wenig verlieren aber in Wallonien und Brüssel (PS) stark gewinnen und dort die Liberalen als größte Partei ablösen. Der Verlust der Liberalen sowohl in Flandern als in Wallonien unterscheidet die Lage in Belgien stark von der der Niederlande.

Flämische Interessen sind nicht rassistisch orientiert

Diese Wahlergebnisse sind die Folge einer Wahlkampagne, die in Auswertung der scheinbaren Interessen der Wähler im Zeichen zweier Probleme stand. Vor allem, wie in Deutschland und auch hier unter dem Druck der Liberalen, wurde das Problem der Staatsverschuldung thematisiert. Dabei wurde deutlich, dass eigentlich keine der Parteien schlüssige Lösungen anzubieten hat. Die separatistische flämische N-VA wollte populistisch sogar 60 % der Einsparungen durch eine Erhöhung der Beschäftigung mit 500.000 Stellen in 4 Jahren verwirklichen - was ein Wirtschaftswachstum wie in China voraussetzt. Offensichtlich konnten die Liberalen mit diesem Thema aber nicht punkten.

Andere traditionelle Streitpunkte, wie die Themen Sicherheit und Migration, bekamen weniger Aufmerksamkeit. Zu wenig, fanden die rechten Liberalen (LDD) und natürlich die Neofaschisten von Vlaams Belang. Die Ursache sehen sie selbst in der Tatsache, dass sie, obwohl es sozio-ökonomische Faktoren sind, „immer dämonisiert in den rassistischen Winkel gedrückt werden." Trotzdem hofften sie, dass die Wähler es als wichtiges Wahlkriterien berücksichtigen würden. Vergebens: Vlaams Belang setzt seinen Abgesang fort und verliert katastrophal (in ihrer Hochburg Antwerpen verliert sie fast die Hälfte ihrer Wähler) und die rechten Demokraten erreichen nicht das notwendige Quorum, um ins Parlament zu kommen. Die Flamen stimmen offensichtlich für mehr Autonomie, nicht aber für rassistische Parteien, wenn es andere Parteien gibt, welche ihre nationalen Interessen zu vertreten scheinen.

Die kommunitären Probleme standen im Mittelpunkt

Das zweite vorherrschende Problem war in der Tat, obwohl Vorbote einer Diskussion die in vielen anderen europäischen Ländern reift, spezifisch belgisch: die Reform der drei- bzw. vierteiligen regionalen, belgischen Staatsstrukturen, die so genannten kommunitären Probleme. Das war der eigentliche Mittelpunkt der Wahlschlacht. Die bisherigen konstitutionellen Spielregeln haben in der Tat dazu geführt, dass Wallonen und Flamen sich immer gegenseitig blockieren können, wenn es um die vielen notwendigen, aber komplizierten gesamtstaatlichen Strukturreformen geht. Viele Flamen wollen daher - aus einer wirtschaftlichen, sozialen und demografischen stärkeren Position heraus - diese Spielregeln lockern, bzw. verlangen, wie die Anhänger der separatistischen Parteien N-VA und Vlaams Belang, sogar vorsichtig und teilweise oder sofort radikal die Aufhebung der belgischen Solidargemeinschaft. Mit dem deutlichen flämischen Wahlergebnis gaben sie diese Denkrichtung eine eindeutige Ermächtigung zum Vollgasstart.

Natürlich setzen die bisherigen staatstragenden Parteien (Christdemokraten, Sozialisten und Liberalen) vorerst noch auf die bisherige belgische Spezialität der Kompromisse. Sogar die leicht separatistische N-VA scheint bereits Gespräche mit den Wallonen zu führen, allerdings nicht mit den Parteileitern, sondern nur informell mit der Parteibasis. Was da gespielt wird, ist unklar. Geht es um das Finden einer gemeinsamen Linie zur Rettung Belgiens in neuer Gestalt oder um die heimliche Vorbereitung der Spaltung? Oder ist es doch wie immer nur das alte Geschacher um Privilegien und Posten bei unklaren politischen Konstellationen?

Schwierige föderale Regierungsbildung

Auf das Letztere scheint ein Geplätschere von allerlei möglichen und unmöglichen geheimen Koalitionsgesprächen, –abmachungen bzw. –ausschlüssen zu weisen. Die SP-A wird dabei verdächtigt, auf Kosten der Liberalen und den Grünen, eine Koalition mit den konservativen flämischen Separatisten der N-VA und den Christdemokraten anzustreben. Etwas was die Sozialisten allerdings auch den Liberalen vorwerfen, weil die drei Parteien etwa gleiche Standpunkte vertreten im Bereich der Steuern, der Sozialversicherung, der Banken, etc.

Besonders die Liberalen haben allen Grund bei diesem Poker nervös zu sein. Sie holten keine guten Ergebnisse in ganz Belgien. Nachdem sie die föderale Regierung sprengten, wurden sie von Vielen als "unzuverlässiger Partner" betrachtet. Nach drei Jahren SP.A Opposition ist diese Partei nun begierig, erneut regieren zu dürfen. Das nichtkonfessionelle Lila (Regierungskoalition von liberalem Blau und sozialistischem Rot) scheint aber so bald nicht zurückzukommen. Nach der konservativen und teilweise populistischen Kehrtwendung des liberalen Leitungskopfes gibt es noch wenig Gemeinsames mit den Sozialisten. Die Christdemokraten haben da noch immer mehr Chancen, auf jedem Fall für die flämische Regierung.

Insgesamt scheint der tradierte Links-Rechts Konflikt ebenso wie der unterschwellige Bund der Konfessionslosen zwischen Sozialisten und Liberalen nicht mehr prägend für den zukünftigen Koalitionspoker zu sein. Sie sind eindeutig durch die Kontroverse zwischen flämischen und wallonischen Interessen ersetzt.

Der Schlüssel liegt in Flandern und bei der N-VA

Der Schlüssel für die Lösung des belgischen Problems liegt daher in Flandern und wohl in der Hand der N-VA und dies in Gespräch mit den wallonischen Sozialisten. Also ein Kompromiss zwischen regionalen und sozialen Fragen. Viel wichtiger als der scheinbare Links-rechts-Gegensatz oder die Rolle der katholischen Kirche ist auf dem Hintergrund des Problems der Staatsstrukturen und der Bildung einer föderalen Regierung, die Frage: Was denkt die N-VA als großer Gewinner der flämischen Wahlen? Was bedeutet es, wenn N-VA die Partei bereits Gespräche mit der PS führte, dem Gewinner auf wallonischer Seite? Oder wenn ihr Chef mit Nachdruck darauf hinweist, dass 70 % der Flamen nicht für seine Partei gestimmt haben und er den Wallonen gegenüber die Hand ausstreckt.

Fakt ist trotzdem, dass der Ton zwischen Flandern und Wallonien schärfer werden wird. Die frühere parteiinterne Moderation zwischen Flamen und Wallonen ist völlig verschwunden. Erstens, weil es schon länger keine gesamtbelgische Parteien mehr gibt und die alten Kumpelbeziehungen verschwunden sind. Zweitens, weil jetzt die Vertretung von harten regionalen Interessen Karriere bestimmend ist. Sämtliche flämische Parteien werden gezwungen sein, gegenüber der wallonischen Seite einen Block zu bilden, um ohne viel Rücksicht im Parlament die Staatsstrukturen zu verändern.

Die Lösung aller anderen Fragen liegt im Schatten der Frage, wie und wie schnell der belgische Staat reformiert werden kann. Darüber liegen die Ansichten im Norden und Süden weit auseinander und blockieren noch immer alles. Gibt es noch eine Chance für die Existenz eines erneuerten Belgiens, oder ist es vorüber? Und wer wird dabei die entscheidende Rolle spielen? Antworten darauf sind bereits am Abend dieser Wahlen schwer möglich.

R. Mondelaers