(hpd) Der Schriftsteller Jonathan Safran Foer legt eine Mischung aus autobiographischen Betrachtungen und journalistischer Recherche vor, wobei er die Praxis der Massentierhaltung beschreibt und kommentiert. Durch die Schilderung eindrucksvoller Beispiele macht er auf die negativen Folgen der Herstellung von „Industriefleisch“ für Mensch und Tier aufmerksam.
„Unsere Nahrung besteht aus Leiden. Wenn man uns anbietet“, so der US-amerikanische Schriftsteller Jonathan Safran Foer, „uns einen Film darüber zu zeigen, woher unser Fleisch kommt, wissen wir, dass es ein Horrorfilm sein wird. Wir wissen vielleicht mehr, als wir zugeben, und schieben das in den hintersten Winkel unseres Bewusstseins – wir wollen damit nicht zu tun haben“ (S. 166). An dieser Einstellung will Safran Foer etwas mit seinem Buch „Tier essen“ ändern. Es enthält sowohl autobiographische Berichte wie journalistische Rechercheergebnisse. Die Geburt seines Sohnes, so der Autor, habe ihn dazu motiviert, über die Frage des richtigen Essens nachzudenken. Dabei erinnert Safran Foer sich an sein eigenes Schwanken zwischen einer fleischbezogenen und einer vegetarischen Ernährung. Gleichzeitig reflektiert der Schriftsteller über seine Wahrnehmung des Familienhundes George, was ihn wiederum fragen lässt: Dürfen wir Tiere töten, um sie zu essen? Wie leben und sterben die Tiere, die wir später essen? Und: Was bedeutet konkret Massentierhaltung?
Umstände der Massentierhaltung
Eine Antwort auf die letztgenannte Frage lieferten Safran Foer Recherchen vor Ort ebenso wie Studien zum Thema. Herausgekommen ist mit dem Buch „Tiere essen“ dabei einerseits ein Bericht über die Massentierhaltung, andererseits ein Plädoyer für den Vegetarismus. Zwischen beidem besteht für den Autor ein direkter Zusammenhang. Seine Schilderungen von den Schlachthöfen sind gerade durch den Verzicht auf anklagende Kommentierungen und ihren kalten Realismus besonders erschreckend: Rinder würden heute schon mit zwölf bis vierzehn Monaten Lebensalter geschlachtet. Dabei geschehe folgendes: „Der ‚Knocker’ hält dem Rind ein großes pneumatisches Bolzensschussgerät zwischen die Augen. Der Stahlbolzen schießt in den Schädel und zieht sich dann ins Schussgerät zurück, das Tier wird normalerweise bewusstlos oder ist tot. Manchmal jedoch ist das Rind nur benommen, es bleibt entweder gleich bei Bewusstsein oder wacht später beim Zerlegen wieder auf“ (S. 263). Man kann so etwas kaum unberührt lesen. Nur: So etwas steht für alltägliche Realität.
Safran Foer macht die Umstände der Massentierhaltung aber noch in anderer Weise deutlich. So findet man auf einer Doppelseite des Buches ein schwarzumrandetes Rechteck und dazu die Erläuterung: „In einer typischen Legebatterie hat jedes Huhn 0,043 Quadratmeter zur Verfügung – so viel wie dieses Rechteck“ (S. 97). An anderer Stelle werden Seiten mit dem Kleindruck der Worte „Einfluss/Sprachlosigkeit“ gefüllt und darunter steht folgender Satz: „Für die Ernährung des durchschnittlichen Amerikaners sterben insgesamt 21 000 Tiere – ein Tier für jeden Buchstaben auf den letzten fünf Seiten“ (S. 143). Eine vegetarische Ernährung ist aber auch im Interesse des Menschen selbst: „Der Verzehr von Industriefleisch kann nicht nur zu lebensmittelinduzierten und übertragbaren Krankheiten führen, sondern beeinflusst die menschliche Gesundheit auch auf andere Weise: Am offensichtlichsten ist der inzwischen anerkannte Zusammenhang zwischen Fleischkonsum und den wichtigsten Todesursachen (erstens Herzinfarkt, zweitens Krebs, drittens Schlaganfall)“ (S. 167).
Safran Foer macht außerdem auf die gesellschaftliche und ökologische Dimension das Thema aufmerksam, etwa wenn auf den Zusammenhang von Klimawandel und Massentierhaltung verwiesen wird. Zahlreiche Studien belegen denn auch: „Die landwirtschaftliche Nutztierhaltung trägt 40 Prozent mehr zur globalen Erwärmung bei als der gesamte Transportverkehr weltweit; sie ist die Ursache Nummer eins für den Klimawandel“ (S. 55). Demnach kommt der Frage, was wir auf unserem Teller haben, große Bedeutung zu – und zwar nicht nur bezüglich des Verhältnisses zu den Tieren, sondern auch zur Welt. Darauf macht Safran Foer ohne das eifernde Gehabe mancher Tierrechtler aufmerksam. An manchen Stellen hätte er auf seine autobiographischen Betrachtungen eher verzichten können. Gleichwohl mag man dies dem Autor, der eben bislang durch Romane und nicht durch Sachbücher bekannt geworden ist, verzeihen. Seine Prominenz befördert vielleicht ein wichtiges Anliegen - im objektiven Interesse von Mensch und Tier.
Armin Pfahl-Traughber
Jonathan Safran Foer, Tiere essen. Aus dem amerikanischen Englisch von Isabel Bogdan, Ingo Herzke, Brigitte Jakobeit, Köln 2010 (Kiepenheuer & Witsch-Verlag), 400 S., 19,95 €