BERLIN. (hpd) Es gibt neue Nachrichten zur Militärseelsorge.
Die Bundesregierung hat sich dazu schon Ende Juli geäußert. Nun ist die Antwort auf die Kleine Anfrage der Abgeordneten Bodo Ramelow, Petra Pau, Dr. Hakki Keskin, Hüseyin-Kenan Aydin und der Fraktion DIE LINKE als Drucksache 16/6167 veröffentlicht worden. Sie trägt den irreführenden Titel „Religiöser Pluralismus in der Bundeswehr“, PDF im Anhang.
Die Fragesteller wollten in Erfahrung bringen, wie weit der „Prozess der Anpassung in der Bundeswehr gediehen ist, welche Erfahrungen bisher gemacht wurden und welche politischen Leitlinien der Fortentwicklung im BMVg verfolgt werden“. Das Anpassungsproblem formulieren die Fragenden so: „Seit der Wiedervereinigung ist eine erhebliche Anzahl von nicht religiös gebundenen Soldatinnen und Soldaten gerade aus den östlichen Bundesländern in der Bundeswehr aktiv. Gleichzeitig hat die Bindekraft der beiden Kirchen in der Gesamtbevölkerung Deutschlands nachgelassen. Zusätzlich streben religiös anderweitig gebundene deutsche Staatsbürger in die Bundeswehr und tragen zu einem neuen, weit vielfältigeren Bild bei.“
Die Antwort der Bundesregierung zeichnet sich – wird die Antwort auf ihren Kern gebracht – durch Nichtbefassung mit Religionslosigkeit aus. Aber wenigstens wird verbal festgehalten (S.3), dass es ein „weltanschauliches Bekenntnis“ gibt. Die Bundesregierung antwortet auf die Frage nach den Konfessionsfreien, dass sich die für diese Sachen Zuständigen in der Bundeswehr mit „Seelsorge und Religionsausübung“ beschäftigen und dass ihnen dafür ein Handbuch „Weltreligionen“ in die Hand gegeben wird.
Die Praxis der Militärseelsorge wird von der Bundesregierung gelobt, ihre Notwendigkeit nicht bezweifelt, ihre Reduzierung gar nicht erwogen und ein Anpassungsbedarf nicht gesehen – obwohl sie selbst feststellt, dass sie keine Ahnung hat, wie die wahren Glaubensverhältnisse in der Bundeswehr aussehen. Es wird von Experten geschätzt, dass heute bis zu 40 % der Soldatinnen und Soldaten konfessionsfrei sind.
An der Richtlinie über die Erkennungsmarken der Soldatinnen und Soldaten wird die Ignoranz gegenüber einer möglichen Religionslosigkeit, gerade im Todesfall, besonders deutlich. „E“ und „K“ werden für evangelisch bzw. katholisch eingraviert. Das geschieht quasi automatisch. Auf Wunsch des Betroffenen kann „O“ für orthodox, „ISL“ für islamisch oder „JD“ für jüdisch eingetragen werden (wenigstens kein „J“). Weltanschauungen sind nicht vorgesehen. Bei Bestattungen werde dem Glaubensbekenntnis Rechnung getragen – kein Wort über öffentliche Feiern, auf denen gewöhnlich christliche Funktionäre reden, weil dies kulturell angeblich so üblich ist.
Nicht infrage gestellt wird, dass in der Bundeswehr alle Soldatinnen und Soldaten grundsätzlich verpflichtet sind, am Lebenskundlichen Unterricht teilzunehmen. Dieser Unterricht wird ausnahmslos von Militärpfarrern der beiden christlichen Großkirchen erteilt. Auch Soldaten, die anderen Kirchen angehören oder glaubensfrei leben, müssen entweder am katholischen oder am evangelischen Pflichtunterricht teilnehmen. Festzuhalten bleibt – obwohl in der Antwort gar nicht erwähnt – dass es für diesen Unterricht keine gesetzliche Grundlage gibt, sondern nur eine bundeswehrinterne „Zentrale Dienstvorschrift“ (66/2 vom November 1959). Diese Regelung wurde im Februar 2006 vom zuständigen Minister Franz-Josef Jung ausdrücklich bekräftigt.
Die Haltung zur Militärseelsorge ist in den säkularen Verbänden nicht einheitlich. Der IBKA z.B. lehnt die „so genannte ’Militärseelsorge’ ab, da sie der öffentlichen Akzeptanz und der Legitimation von Kriegen ebenso dient, wie der ‚moralischen’ Aufrüstung des militärischen Personals.“ Er sieht in der Privilegierung der Kirchen einen „Verstoß gegen den Grundsatz der Trennung von Staat und Kirche“ Dies bedeutet für ihn „eine Diskriminierung und Verletzung der Gleichheit konfessionell nicht Gebundener. Eine Gleichstellung anderer weltanschaulicher Organisationen durch die Gewährung der gleichen ungerechtfertigten Privilegien hebt diesen Verstoß nicht auf und ist genauso abzulehnen wie das bisher praktizierte ’Militärseelsorge’-System.“
Der Humanistische Verband Deutschlands sieht dies im Grundsatz ähnlich, fordert aber die Gleichbehandlung des Verbandes mit den Religionsgemeinschaften auch in der Bundeswehr. Versuche des HVD-Bundesvorstandes, Gespräche über dieses Thema zu führen, fanden beim früheren Wehrbeauftragten Verständnis und vor allem beim Bundeswehrverband großes Interesse. Die letzte Bundesregierung verweigerte sich jedem Gespräch, wie bisher auch die Große Koalition. Zu diesem Vorgang und zur jetzt vorliegenden Antwort erklärte heute Dr. Horst Groschopp, Bundesvorsitzender des HVD:
„Der HVD ist der Auffassung, dass der Lebenskundliche Unterricht nichtchristliche und glaubensfreie Soldatinnen und Soldaten benachteiligt. Aus gleichem Grund befürworten wir eine Humanistische Beratung in der Bundeswehr, um auch hier die Benachteiligung zu beenden.
Die bisherige Regelung verstößt gegen die verfassungsmäßigen Grundsätze des religiös-weltanschaulichen neutralen Staates des Grundgesetzes. Der HVD fordert die sofortige Aufhebung dieser Bestimmung. Er fordert zudem eine gesetzliche Regelung, die Pflichtunterricht für Bundeswehrsoldatinnen und -Soldaten nur durch staatliche Lehrkräfte, die nicht im kirchlichen Pflichtverhältnis stehen, festlegt.
Sollte für Kirchenangehörige ein religiös verantwortlicher Unterricht beibehalten werden, ist für religionsfreie Bundeswehrangehörige ein Lebenskunde-Unterricht ohne religiöse Bindung einzuführen, wie er etwa vom HVD an Schulen in einigen Ländern angeboten wird.
Da die Bundeswehr für Soldatinnen und Soldaten, die zu ethischen, familiären oder religiösen Fragen Beratungsbedarf haben, von ihr eingestellte und finanzierte, aber ausschließlich den großen christlichen Kirchen verpflichtete 'Militärpfarrer' zur Verfügung stellt, und da sie für vergleichbare Fragen für glaubensfreie oder andersgläubige Soldatinnen und Soldaten in der Bundeswehr keinen Partner anbietet, fordert der HVD religionsfreie humanistische Berater in der Bundeswehr einzusetzen – nach Holländischem Vorbild."
GG