Interview

Wie geht Frieden?

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Dr. Ralf Schöppner
Dr. Ralf Schöppner

Der Krieg ist ein Monster, das nicht nur Menschen verschlingt, sondern auch das gute Leben im Diesseits für viele auf längere Sicht unmöglich macht. Keine Überraschung also, dass sich Humanistinnen und Humanisten seit jeher für den Frieden einsetzten. Aber wie "geht" Frieden? Mit dieser Frage setzt sich ein neuer Sammelband der Humanistischen Akademie Deutschland auseinander. Der hpd hat mit dem Herausgeber und Mitautor Ralf Schöppner über Pazifismus, die Begründung militärischer Interventionen und die seelsorgerische Betreuung von Soldaten gesprochen.

hpd: "Wie geht Frieden?" – das ist ein hoher Anspruch. Wissen wir das denn, wenn wir den Band gelesen haben?

Ralf Schöppner: Die Fragestellung ist selbst schon eine Antwort: In humanistischer Perspektive stellen wir nicht die Frage nach einem "gerechten Krieg", die sich in der christlichen Tradition ja durchaus einiger Beliebtheit erfreut hat. Wir stellen die Frage nach den Bedingungen von Frieden. Eine Frage im Übrigen, die allzu selten gestellt wird. Ganz so, als ob man sich auch an Gewalt und Krieg gewöhnen könne, sofern sie nicht in der Nähe sind.

Die Texte des Bandes zeigen dagegen, dass sich Humanistinnen und Humanisten in Vergangenheit wie Gegenwart stets engagiert mit der Frage nach einem friedlichen Zusammenleben auseinandergesetzt haben bzw. es weiter tun. Und das obwohl es keine einfachen und schnellen Antworten gibt. Der Band gibt Antworten auf seine Titelfrage, durchaus auch unterschiedliche, erledigt aber selbstverständlich nicht die Frage.

Im Buch wird in einem der Aufsätze die Pazifistin und Humanistin Lilli Jannasch vorgestellt, die in der Spätphase des Kaiserreiches aktiv war. Gilt diese Gleichung Humanismus = Pazifismus auch heute noch?

Der Beitrag über Lilli Jannasch dürfte eher ein Hinweis darauf sein, dass die Gleichung auch damals so einfach eben nicht war. Lilli Jannasch musste sich ihre Kritik am deutschen Militarismus und Nationalismus hart erarbeiten.

Generell lässt sich die deutsche Freidenkerbewegung dieser Zeit kaum in der friedenspolitischen Position einer Ablehnung jeglicher Gewalt vereinheitlichen. Und überhaupt reduziert sich Humanismus historisch auch nicht auf diese Bewegung. Bei Cicero beispielsweise finden wir auch keinen prinzipienethischen Pazifismus, Selbstverteidigung und Nothilfe werden als mögliche legitime Gründe für Gewalt genannt. Das kann zu Abwägungs- und Gewissensnöten führen. Denen entkommen wir nicht, auch wenn die Verlockungen einer reinen Lehre sicherlich groß sind.

Wenn schon eine Gleichung, dann etwas sperriger: Humanismus = verantwortungsethischer Pazifismus.

Cover

Was wären denn Kriterien für eine humanitäre Intervention, die diesen Namen verdiente?

Zunächst einmal muss man höchst misstrauisch sein gegenüber dieser "schönen" Begrifflichkeit der "humanitären Intervention": Die zahlreichen militärischen Interventionen der letzten drei Jahrzehnte, die im Namen von Humanität und Menschenrechten unternommen worden sind, stehen völlig zu Recht mindestens im Verdacht, entweder vollständig oder zu einem erheblichen Teil ganz anderen – geopolitischen oder ökonomischen – Gründen geschuldet gewesen zu sein. So geht Frieden nicht: Daran lassen die entsprechenden Beiträge des vorliegenden Buches keinen Zweifel. Zugleich aber ist Humanismus eine verantwortungsethische Position: In begründeten Ausnahmefällen kann es politisch richtig sein, aus humanitären Gründen militärisch zu intervenieren.

Kriterien, die im Buch diskutiert werden sind: Ultima-Ratio-Prinzip, Primärmotiv Humanität, realistische Erfolgsaussichten auf Verbesserung der Situation der Betroffenen, Friedensperspektive, Effizienz der Mittel, völkerrechtliche Legitimität, UN-Beschluss (responsibility to protect). Wichtig ist dabei meines Erachtens: Es handelt sich auch dann noch um ein Übel, das hoffentlich kleinere. Denn es gibt ethisch keine humanistische Rechtfertigung für Krieg und Gewalt. Selbstgerechte Einsatzbegeisterung und Triumphgeheul sind fehl am Platz.

Ausgangspunkt des Bandes ist ja die Kontroverse über eine humanistische Betreuung von Soldaten, die seit den 1990er Jahren anhält. Wie lässt sich dieser Dissens unter den Humanisten kurz auf den Punkt bringen?

Das ist sicherlich nicht die drängendste Frage des organisierten Humanismus. Auch in Bezug auf laizistische Kooperationen mit dem Staat ist die Bundeswehr nicht gerade unser erster Ansprechpartner und dort möchte man auch lieber nichts mit uns zu tun haben. Im Kontext des Aufbaus eines humanistischen Seelsorgeangebotes für verschiedene Berufs- und Zielgruppen wäre allerdings auch ein solches für Soldatinnen und Soldaten zu integrieren. Das ist strittig und das ist richtig so. Der Soldatenberuf ist nun einmal ein sehr spezieller. Wir beurteilen die neuere deutsche Außenpolitik und die neuen Einsätze der Bundeswehr sehr kritisch.

Widerspricht aber eine solche politische Kritik einer humanistischen Befassung mit den individuellen Sorgen und Nöten von Soldaten? Übrigens teilen viele Soldaten diese Kritik. Und ist der Soldatenberuf wirklich pauschal zu verdammen, wie einige zu meinen scheinen?

Selbstverständlich ist der Auftritt einer humanistischen Soldatenbetreuerin aus Belgien, mit dem Dienstgrad eines Generals und mit Einsatzerfahrung in Krisengebieten, für uns ungewöhnlich und herausfordernd. Welche Formen also der Kooperation von humanistischen Organisationen und Bundeswehr wären mit einem humanistischen Friedensverständnis vereinbar, welche nicht? Im Buch werden diese und andere Konsense wie Dissense verdeutlicht.

Ist es tatsächlich denkbar, unter den Bedingungen des Krieges einen Humanismus zu praktizieren, der über die Forderungen der Genfer Konvention hinausgeht?

Die Genfer Konventionen beinhalten Regeln für den Kriegsfall. Es sollen Personen geschützt werden, die nicht oder nicht mehr an den Kriegshandlungen teilnehmen, Zivilisten, Kriegsgefangene, Verwundete. Es mag pervers erscheinen, den Krieg humanisieren zu wollen und doch ist es natürlich ein Unterschied, ob z.B. Zivilisten verschont werden oder nicht.

Humanistische Friedenspolitik aber – und das ist entscheidend – zielt primär nicht auf den Kriegs- oder Konfliktfall. Sie zielt auf die Bekämpfung von Kriegsursachen und die Vermeidung von Krieg. Es ist der prekäre Zustand der internationalen Ordnung wie auch vieler staatlicher Ordnungen, der zu Kriegen führt. Hier öffnet sich ein weites gesellschaftspolitisches Feld für Humanistinnen und Humanisten. Darüber ist einiges im Buch zu lesen.

Warum findet sich im Buch kein Beitrag, der sich mit alternativen Formen der Konfliktlösung befasst? Wäre das nicht das wichtigste humanistische Gegengewicht zur militärischen Option?

Die militärische Lösung in begründeten Ausnahmefällen ist in humanistischer Perspektive keine Option, sondern ein Elend. Wir sollten uns aber gar nicht so sehr auf die Diskussion von Fällen konzentrieren, wenn das sprichwörtliche Kind schon im Brunnen ist.

Das wichtigste humanistische Gegengewicht ist das Engagement für einen Frieden, der mehr ist als die Abwesenheit von Krieg und mehr auch als alternative Konfliktlösung. Damit befassen sich die meisten Beiträge des Bandes. Wie sehen stabile soziale Ordnungen aus, in denen Menschen gut und friedlich leben können?

Die aktuellen Flucht- und Migrationsbewegungen sind ein Beispiel dafür, dass die vergangenen Militäreinsätze eben nicht für solche Ordnungen sorgen konnten bzw. sie sogar zerstört haben. Eine wichtige Teilfrage ist dann die nach alternativen Konfliktlösungen. Der Glaube an eine Welt ohne Konflikte wäre naiv. Die Beiträge zur humanistischen Friedensethik in Vergangenheit und Gegenwart, zum Humanitarismus oder zur neueren deutschen Außenpolitik enthalten Vorschläge dazu. Aber eines ist auch klar: Eine umfassende, spezifisch humanistisch profilierte Friedensethik und -politik gilt es erst noch zu entwickeln.

Die Fragen stellte Martin Bauer für den hpd.

Ralf Schöppner (Hrsg.): Wie geht Frieden? Humanistische Friedensethik und humanitäre Praxis. Aschaffenburg 2017. Alibri Verlag, 197 Seiten, kartoniert, 16,00 Euro, ISBN 978-3-86569-191-0