(hpd) Zu den Protagonisten eines „neuen Atheismus", wie viele Medien inhaltlich schief formulieren, gehört neben Richard Dawkins und Christopher
Hitchens auch Sam Harris. Während der Evolutionsbiologie und der Publizist bereits zuvor bekannte Autoren waren, ist der 1967 geborene Harris bislang noch nicht weiter bekannt gewesen. Er absolvierte ein Philosophie-Studium an der Stanford University und promoviert gegenwärtig in Neurowissenschaften. 2004 erschien sein Buch „The End of Faith", das ihm ein Jahr später in den USA den PEN/Martha-Albrand-Preis für Sachbücher einbrachte. Es verkaufte sich dort mehr als 270.000mal und löste eine heftige Kontroverse aus. 2006 reagierte Harris auf die Kritik mit seinem zweiten Buch „Letter to a Christian Nation". Nun liegt unter dem Titel „Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft" eine deutsche Übersetzung seines Erstlings vor. Walter Braunmüller, Präsident des päpstlichen Komitees für Geschichtswissenschaften, bemerkte darüber: „Es wäre ein wahres Wunder gewesen, wenn die Hölle sich nicht gerührt hätte".
Glaube ist keine Privatsache
Welcher Inhalt löst eine solche Reaktion aus? Harris widmet sich in sieben Kapiteln den unterschiedlichsten grundsätzlichen, historischen und gegenwärtigen Erscheinungsformen von Religion, wobei der Schwerpunkt auf Christentum und Islam liegt. Zunächst beklagt der Autor, fundamentale Kritik am Glauben werde tabuisiert, fordere man doch viel zu häufig im Namen des Respekts von anderer oder eigener Religion Mäßigung oder Schweigen. Dem gegenüber formuliert Harris eine deutliche und scharfe Kritik, könne sich der Glaube doch nicht auf belegbare Fakten stützen und postuliere Ungereimtheiten und Widersprüche am laufenden Band. Gegenüber diesen dürfe man auch nicht tolerant sein, müssten sich doch religiöse ebenso wie alle anderen Aussagen einer kritischen Prüfung unterziehen. Glaube, so Harris, ist nämlich keine Privatsache, sondern spielt in der islamischen wie in der westlichen Welt eine bedeutende gesellschaftliche Rolle. Dies macht sein Buch mit Verweis auf die Legitimation der US-Außenpolitik in Statements von Politikern wie anhand der Motivation von Selbstmordattentäter im islamischen Kontext deutlich. Der Autor unterscheidet dabei bewusst nicht zwischen fundamentalistischen und gemäßigten Gläubigen, hätten doch letztere lediglich von den säkularen Liberalisierungstendenzen gelernt.
Kritische Reflexionen über den Gültigkeitsanspruch von Religion
Harris Buch ist trotz seines intellektuellen Anspruchs essayistisch und subjektiv gehalten. Für Letzteres stehen die häufigen Berichte über persönliche Erlebnisse, für Ersteres die mangelnde inhaltliche Struktur von Gesamtwerk und Kapiteln. Dafür präsentiert „Das Ende des Glaubens" im lockeren Plauderton kritische Reflexionen über den Gültigkeitsanspruch von Religion. Ein Beispiel: „Sagen Sie zu einem frommen Christen, dass seine Frau ihn betrüge oder dass man sich durch den Verzehr von gefrorenem Joghurt unsichtbar machen könne, und er wird vermutlich wie jeder andere Beweise dafür fordern und sich nur in dem Ausmaß überzeugen lassen, wie man ihm solche Beweise vorlegen kann. Sagen Sie ihm, das Buch, das er neben seinem Bett liegen hat, habe eine unsichtbare Gottheit geschrieben, die ihn mit dem ewigen Feuer bestrafen wird, falls er nicht jede ihrer unsäglichen Behauptungen über das Universum akzeptiert, und er scheint nicht den geringsten Beweis dafür einzufordern" (S. 15). Eine kritische Wirkung entfaltet auch der simple Vorschlag, in Reden des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush die Formulierung „Gott" durch „Zeus" zu ersetzten (vgl. S. 44f.). In der Tat lässt sich kaum einfacher die ganze Ideologielastigkeit und Inhaltsleere solcher Aussagen von Politikern aufzeigen.
Problempunkte
So anregend diese Ausführungen wirken, so wenig Neues liefern sie. In manchen Punkten überzieht Harris leider auch: Ob wirklich alle Verbrechen im Namen des Christentums folgerichtig und notgedrungen in diesem Glauben angelegt waren, lässt sich so pauschal sicherlich nicht postulieren (vgl. S. 107f.). Nicht jeder fromme Moslem will wirklich alle Ungläubigen zum Islam bekehren oder vernichten (vgl. S. 111). Und bezüglich der Massenverbrechen durch atheistische bzw. säkulare Regime schreibt Harris an der entscheidenden Problematik vorbei (S. 79f., 241f.). Zumindest missverständlich, wenn nicht kritikwürdig und ablehnenswert sind die Ausführungen zu Folter (vgl. S. 199-206) und Spiritualität (vgl. S. 213-231). Letztere dürften dadurch bedingt sein, dass der Autor sich laut Klappentext seit 20 Jahren in den mystischen Erfahrungswegen unterschiedlicher östlicher und westlicher spiritueller Traditionen schult. Harris hätte besser die letzten beiden Kapitel seines Buches weggelassen, gehören sie doch nicht zum eigentlichen Thema und können inhaltlich nicht wirklich überzeugen. Insofern mindern sie auch nicht die Überzeugungskraft der früheren Kapitel. Mehr Differenzierung, Stringenz und Struktur hätten aber auch diesen beachtens- und überlegenswerten Inhalten gut getan.
Armin Pfahl-Traughber
Sam Harris, Das Ende des Glaubens. Religion, Terror und das Licht der Vernunft. Aus dem amerikanischen Englisch übersetzt von Oliver Fehn. Winterthur, 2007 (Edition Spuren), 342 S., 22 €