Staatlich geförderte Volksverdummung: Stichprobe in Sachsen
MEISSEN. (hpd) Wer sich via Internet über die Bildungsangebote deutscher Volkshochschulen informiert, findet dort im Gesundheitsbereich meist eine Vielzahl von Vorträgen und Lehrgängen, in denen Heilpraktiker ihre wissenschaftlich fragwürdigen Rezepte und Therapien unters Volk bringen. Eine Stichprobe im Freistaat Sachsen zeigte, dass gegenwärtig etwa jede zweite Volkshochschule mindestens ein solches "Bildungsangebot" bereitstellt. Recherchiert wurde dabei nach so genannten alternativen Heilmethoden (z.B. Homöopathie). In der Zusammenschau ergibt sich für die sächsischen Volkshochschulen (Übersicht) ein sehr buntes Bild, wobei die Homöopathie besonders häufig in den Programmen zu finden ist:
- Homöopathie (für Kinder, für Frauen, bei Erkältungskrankheiten, für Haustiere etc.)
- Fasten, Entgiften, Entschlacken, Entsäuern
- Schüßler-Salze: Biochemie nach Dr. Schüßler
- Bach-Blütentherapie
- Indianische Volksmedizin: Schamanismus
- Energetisches Feng Shui / Wasseradern
- Chakren
- Hypnose, Mentalfeldtherapie
- Eigenblutbehandlung, Aderlass und Schröpfen
- Chantaridenpflaster und Baunscheidtherapie
- Die Heilkraft der Düfte: Aroma-Therapie
- Magnetfeld- oder BEMER-Therapie
- Reiki - die universelle Energie / Handauflegen
- Die Heilkraft des Wassers: Wasserkristallfotografie, Wasserenergetisierung
- Prana-Heilkunde: die Wissenschaft (!) und Kunst des berührungslosen Energieheilens
- Steinheilkunde
Angesichts dieses bunten Treibens der Hand-, Geist-, Stein- und Verdünnungsheiler, der Entschlackungskünstler und Möbelrücker verwundert es schon, wenn man auf den Seiten des Sächsischen Volkshochschulverbandes in einer Pressemitteilung lesen kann, dass die sächsischen VHS im November 2006 mit "Bestnoten" ausgezeichnet wurden. Die dort zitierte Studie des Leipziger Marktforschungsinsituts brachte immerhin ans Tageslicht, dass alle Sachsen die Volkshochschulen kennen (97%), und 89% der Bevölkerung diese gut und sehr gut fänden, weil sie für Alle offen (80%), seriös (76%) und so vielseitig (72%) seien. Besonders groß ist laut der Studie das Interesse der sächsischen Bevölkerung an der Gesundheitsbildung (85%), womit - im Zusammenhang mit der vom Volk geschätzten Vielfalt (Reiki, Chakren, Mentalfeldtherapie, siehe oben) - auch geklärt wäre, warum so viele Wunderheiler den Zutritt zu den Schulen suchen.
Die Angst und Verunsicherung der Bevölkerung in Bezug auf ihre Gesundheit lässt sich eben vortrefflich nutzen, um Schüßler-Salze in Wunden zu streuen und mit Düften Sinne zu vernebeln. Viele Heilpraktiker leben davon, dass sie ihre pseudowissenschaftlichen Lehren gegen Bezahlung auf dem Markt darbieten. Die Abgrenzung zur evidenzbasierten Medizin, die nach wissenschaftlichen Grundsätzen entwickelt und gelehrt wird, erfolgt dabei durch deren Abwertung als "Schulmedizin" (zum Begriff: Wikipedia). Doch gehört, um Menschen in ihren gesundheitlichen Nöten angemessen und kompetent helfen zu können, nicht vielleicht doch eine vieljährige wissenschaftliche Ausbildung dazu? Sollte die Wirkung von Präperaten, die nach x-facher Verdünnung praktisch kein Molekül der Ursprungssubstanz mehr aufweisen, nicht zumindest nachgewiesen werden?
Die betreffenden Volkshochschulen in Sachsen wurden per E-Mail angeschrieben und zu ihren Kursangeboten kritisch befragt:
1. Welche wissenschaftlichen Grundlagen liegen diesen Lehrangeboten zugrunde?
2. Welcher medizinische Wirksamkeitsnachweis wurde erbracht, um solche "Therapien" Patienten, die an Krankheiten leiden, bedenkenlos empfehlen zu können?
3. Durchlaufen die VHS-Lehrangebote einer Qualitätskontrolle? Wenn ja, was sind die Kriterien, denen Ihre Lehrangebote entsprechen müssen?
4. Welchen Bildungswert haben VHS-Kurse und Vorträge, deren Inhalte und zugrundeliegende Theorien einer wissenschaftlichen Überprüfung nicht standhalten?
Der Sächsische Volkshochschulverband sowie seine Qualitätspartner (u.a. das Kultusministerium), welche ebenfalls über das Rechercheergebnis informiert wurden, haben bisher genauso wenig wie die einzelnen Volkshochschulen im Bundesland mit einer Antwort reagiert. Aber vielleicht sollte man den VHS zur Beantwortung der Fragen auch noch etwas Zeit geben, um den Forschungsstand medizinischer Fakultäten etwa zur "Prana-Heilkunde" (die in Chemnitz immerhin als Wissenschaft angepriesen wird: Programm) zumindest überblicken zu können.
Dabei sollte jedem auch nur halbwegs gebildeten Menschen klar sein, dass Lehrangebote wie Handauflegen oder Heilung durch Steine eher zur Volksverdummung, denn zur Volksbildung beitragen. Auch zur häufig in den Programmen auftauchenden Homöopathie wurde noch kein Wirksamkeitsnachweis erbracht, der signifikant über den Placeboeffekt hinausgeht und es gestatten würde, ein staatlich gefördertes Bildungsangebot auszuweisen (zu den Schwächen der homöopathischen Forschung: Lancet 1997, Annals.org 2003, Skeptiker 2005). Das selbe gilt für die auf dem Glauben an ein Qi (China) bzw. an dubiose Erdstrahlen (Europa) beruhende Lehre des Feng Shui, der allemal ein ästhetischer Wert beigemessen werden kann, nachdem man - den Anweisungen eines Wünschelrutengängers folgend - seine Wohnung umgeräumt hat (skeptische Gedanken der GWUP zu Feng Shui und Erdstrahlen, siehe auch DasErste.de 2004). Kurios ist, dass die Geschäftsstelle in Chemnitz für ihre "qualitätvolle Arbeit" in diesem Jahr ein Qualitätszertifikat erhalten hat (Pressemitteilung vom 17.07.2007), in ihrem Programm aber die absurdesten Angebote von allen aufführt: das berührungslose Energieheilen (Prana), das Heilen mit Berührung (Reiki: Handauflegen) und das Steinheilen.
Die sächsischen Volkshochschulen wurden im Jahr 2006 mit 3,8 Mio. EUR Landesmitteln und 5,3 Mio. EUR aus kommunalen Haushalten gefördert (VHS Sachsen).