Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung

BERLIN. (HU) In dieser Woche soll im Deutschen Bundestag das "Gesetz zur Neuregelung

der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen..." (BT-Drs. 16/5846) verabschiedet werden

 

Dieser Gesetzentwurf sieht auch die Einführung der sog. Vorratsdatenspeicherung vor, mit der alle Anbieter von Telekommunikationsdienstleistungen verpflichtet werden, sämtliche Angaben über die Kommunikationsverbindungen ihrer Kunden (wer, wann, von wo aus, mit wem, wie und wie lange kommuniziert) für die Dauer von 6 Monaten zu speichern.

Die Humanistische Union hat am 17. September 2007 gemeinsam mit zahlreichen Medien- und Journalistenverbänden eine rechtspolitische Fachtagung zu diesem Gesetz abgehalten, auf der die europa- und verfassungsrechtlichen Einwände, die Bedeutung dieser Kommunikationsüberwachung für die Ermittlungspraxis und die Strafverfolgung, nicht zuletzt aber auch ihre Auswirkungen für die Arbeitsweise einer freien Presse behandelt wurden. Eine Zusammenfassung der Ergebnisse sowie die Referate der Tagung finden sich im Internet.

Zur aktuellen Diskussion um die Vorratsdatenspeicherung muss insbesondere auf folgende Probleme hingewiesen werden:

  • Vor einer Verabschiedung des Gesetzes sollte der Bundestag die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes über eine Klage Irlands gegen die europäische Richtlinie (2006/24/EG), auf die sich der deutsche Gesetzgeber bei dem Vorhaben beruft, abwarten. Alle Experten der Fachtagung waren sich darin einig, dass die Verabschiedung der Richtlinie im Rahmen der wirtschaftlichen Regulierung des EG-Binnenmarktes rechtswidrig war und deshalb damit zu rechnen ist, dass die Rechtsgrundlage für das jetzt geplante Gesetz bald für nichtig erklärt wird. Darüber hinaus bestehen erhebliche Zweifel, ob die verdachtslose Speicherung des Kommunikationsverhaltens von 450 Millionen Europäern mit Artikel 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention vereinbar ist.
  • Vor der Verabschiedung des Gesetzes sollten die Ergebnisse einer laufenden Untersuchung über die Anwendung von Kommunikations-Verbindungsdaten ausführlich ausgewertet werden. Mit dem Gesetzentwurf ist eine unbefristete Änderung der Regeln für den Zugriff auf die gespeicherten Kommunikationsdaten geplant (§ 100g Strafprozessordnung). Bei der Verabschiedung der befristeten Regelung im Jahre 2004 forderte das Parlament die Regierung seinerzeit auf, bis zum 30.6.2007 einen Evaluationsbericht vorzulegen. Diesen Bericht gibt es nicht. Wohl hat die Bundesregierung inzwischen einen Untersuchungsauftrag erteilt, der nach Auskunft des ausführen-den Instituts in wenigen Wochen abgeschlossen sein wird. Bisher sind jedoch keine Ergebnisse bekannt, wie umfangreich und mit welchem Erfolg Verbindungsdaten in der Vergangenheit für die Strafverfolgung genutzt wurden. Mit dem Gesetzentwurf zur Vorratsdatenspeicherung sollen gleichwohl die Zugriffsregeln für Verkehrsdaten für eine unbegrenzte Zeit beschlossen werden. Der Gesetzgeber entscheidet damit über eine Ermittlungsmethode, über deren Erfolg und deren (Missbrauchs-)Gefahren niemand verlässliche Aussagen treffen kann.
  • Bereits 2004 hat die Humanistische Union die Mitglieder des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages aufgefordert, dafür Sorge zu tragen, dass eine sorgfältige Evaluation der Nutzung von Kommunikationsdaten stattfindet. Wie viele letztlich unschuldige Menschen von einer Ausforschung ihrer Kommunikation betroffen waren, welche Bedeutung die Kommunikationsdaten für die Strafverfolgung wirklich haben, kann heute niemand sagen. Allein die veröffentlichten Zahlen einzelner Provider lassen jedoch erkennen, dass die Ausforschung der Verbindungsdaten die klassische Überwachung der Kommunikationsinhalte (z.B. das Abhören von Telefonaten) inzwischen weit überrundet: So gingen bei der Deutschen Telekom im vergangenen Jahr fast 100.000 Anfragen für die Verbindungsdaten von Internetnutzern ein.
  • Der Gesetzgeber ist bisher eine Antwort schuldig geblieben, wie er einem Missbrauch der massenhaft anfallenden Kommunikationsdaten vorbeugen will. Dass die Verbindungsdaten zunächst bei privaten Diensteanbietern gespeichert werden, kann nicht über die Bedrohung der vertraulichen Kommunikation hinwegtäuschen, die sich daraus ergibt, dass allein in Deutschland mehrere tausend Firmen alle Kommunikationsdaten ihrer Kunden speichern müssen. Die Gefahr, dass sich Dritte über Sicherheitslücken einen Zugriff auf diese wertvollen Daten verschaffen, wird mit der Verabschiedung des Gesetzes enorm ansteigen.

Sven Lüders