Sterbehilfe auf dem Parkplatz

BERLIN. (hpd) Das Problem der Sterbehilfe befindet sich im wahrsten Sinne des Wortes auf einem

Parkplatz – aber auf welchem? Wohin geht die Fahrt? Geht sie dahin, dass Menschen elementare Grundrechte haben und die Entscheidungsgewalt über das eigene Leben dazu gehört? Gegen dieses Prinzip sammeln sich derweil konservative Gegner einer gesetzlichen Regelung der Sterbehilfe. Eine Schweizer Parkplatzgeschichte gibt ihnen Stoff.

Schweizer Tragödie und deutsche Politik

Anlass für die aktuellen Gefühlswallungen in Sachen Sterbehilfe waren tragische Ereignisse in der Schweiz.
Weil sie sterbenskrank waren, leistete die Schweizer Organisation „Dignitas“ zwei Deutschen auf einem Parkplatz bei Zürich in einem Auto Sterbehilfe. Einen entsprechenden Fernsehbericht bestätigte später ein Sprecher der Staatsanwaltschaft. Die Nachrichtenagentur sda schickte die Meldung in die Welt.
Anstatt nun die beiden armen Männer, die diesen unwiderruflichen Schritt gingen, dafür zu bedauern, dass sie beschwerlich in die Schweiz reisen müssen, weil sie ihr krankes Leben nicht mehr ertragen wollen und sich für ein Ende in Würde in Deutschland kein Arzt und kein Platz für sie findet; anstatt zu fragen, was denn dazu geführt hat, dass man demjenigen, der ihnen Hilfe verspricht, jeden würdigen Ort verwehrt und ihn auf Parkplätze treibt – schaukelt sich eine Welle der Empörung hoch, auf deren Kamm Unions-Bundestagsfraktionsvize Wolfgang Bosbach – ansonsten für eher marktwirtschaftliche Optionen auch im Gesundheitswesen bekannt – auf ein rasches Verbot „geschäftsmäßiger“ Sterbehilfe in Deutschland dringt. Aus der Not, für den eigenen Tod exilieren zu müssen und auf fremde Hilfe fern der Heimat angewiesen zu sein, wird mittels hanebüchener Rabulistik nicht nur ein „Geschäft“, sondern ein Vorwurf, der letztlich jedem Mediziner gemacht werden kann, der Sterbende beim Sterben begleitet.
Das aktuelle Ereignis liefert den willkommenen Anlass, daran zu erinnern, dass die CDU-regierten Länder Hessen, Thüringen und Saarland bereits vor einem Jahr einen entsprechenden Gesetzentwurf in den Bundesrat eingebracht haben.

Vernebelungen

Um den nach ihm benannten Gesetzentwurf in der Patientenverfügungsfrage voranzubringen, muss Wolfgang Bosbach seine Truppe hart zusammenhalten. Sie scheint mal wieder aufzuweichen angesichts der zunehmenden und nicht leiser werdenden Bevölkerungswünsche nach mehr Autonomie am Lebensende. Immer mehr wollen ihr Menschenrecht auf ein Sterben in Selbstbestimmung juristisch verankern. Sie wollen das eigene Votum gesichert sehen, gerade wenn es ans Sterben geht. Man will darauf irgendwie Einfluss haben, so lange es möglich ist.
Und weil Herr Bosbach weiß, dass die Kritik an seinem Gesetzentwurf stichhaltig ist, besonders was die „Reichweitenbeschränkung“ der Patientenverfügung betrifft, nutzt er jede sich bietende Gelegenheit, um im Bunde mit Gleichgesinnten all jene zu verunsichern in ihrem Wunsch und Willen nach Autonomie, die auf ihrer Entscheidungsgewalt beharren. Er möchte an paternalistischen Lebensmaximen retten, was noch zu retten ist. Aber unsere Kultur drängt immer mehr dahin, dass Menschen humanistisch denken, d.h. zuvörderst unabhängig von Thron und Altar.

Auch der Berliner Kardinal Georg Sterzinsky darf in dem Reigen nicht fehlen. Er setzt sich für ein Verbot der Sterbehilfe-Organisation „Dignitas“ ein. „Wenn es rechtlich möglich ist, sollte man einen solchen Verein verbieten“, sagte er in einem am Freitag veröffentlichten Beitrag für den RBB-Hörfunk. Die Organisation versuche, durch gesellschaftlichen Druck ihre Ziele zu erreichen. So sollten Sterbenskranke sich dafür verantwortlich fühlen, anderen nicht zur Last zu fallen und nicht unnötig zu leiden.
Wie Bosbach und Sterzinsky will der SPD Rechtsexperte Dieter Wiefelspütz ebenfalls „Dignitas“ mit allen Mitteln „das Handwerk legen“.
Nur der FDP-Vertreter Michael Kauch (FDP) hat sich sofort gegen eine solche Verbotsinitiative ausgesprochen.

Empörung wider Empörung

Der erzürnte Unionspolitiker Bosbach empfing für seine Empörung empörte Antworten. Im „focus“-Internetforum finden sich Kommentare in Hülle und Fülle. Der Tenor ist nicht überraschend: Hätten wir zuhause die Möglichkeit, müsste niemand unter würdelosen Umständen in die Schweiz fahren.
Eine Daniela schreibt am 09.11.2007, 15:20 Uhr: „Würdelos ... ist nur, dass der Sterbewillige in die Schweiz ausweichen muss, um den Tod zu bekommen. Seltsam, dass es immer wieder heisst, zwei Drittel der Deutschen seien angeblich gegen Sterbehilfe. Wann immer ein Artikel zu diesem Thema erscheint, sehen die Kommentare komplett anders aus. Wir sollen eben unmündig sein und bleiben.“ Renald schreibt am 09.11.2007, 10:30 Uhr: „Der unmündige Bürger ... Wer einmal die Qualen eines Todkranken miterlebt hat, wird sicherlich anders denken, als die Politiker. Die Entscheidung zum Suicid oder der Sterbehilfe sollte ... jedem selbst überlassen bleiben.“
Jos meint am 10.11.2007, 10:31 Uhr: „War ja klar, sobald es darum geht dem Menschen elementare Grundrechte, wie die Entscheidungsgewalt über das eigene Leben, abzusprechen, befindet sich die Kirche in der ersten Reihe. Warum wird eigentlich diese totalitäre und menschenrechtsfeindliche Organisation nicht endlich verboten?“

Neue Nachdenklichkeit

Nun setzt Nachdenken ein. Bundesjustizministerin Brigitte Zypries hat die jüngste Sterbehilfenachricht aus der Schweiz in der „Bild am Sonntag“ als „tief verstörend“ bezeichnet und gefragt: „Der Tod als Gegenstand eines simplen Geschäfts. Ist das die Zukunft?“ Sie antwortete mit einem klaren „Nein“. – Stimmt, wer will das schon! Doch ist die Sache nicht so einfach. Rein rechtlich bewegt sich die Sterbehilfeorganisation, deren deutscher Zweig immer mehr auf Selbständigkeit drängt und nicht verantwortlich gemacht werden kann für das, was in der Schweiz geschieht, in keiner Grauzone. Es gibt in Deutschland kein Gesetz, das die Beihilfe zur Selbsttötung unter Strafe stellt – im Gegenteil, seit Friedrich „dem Großen“. Die Grauzone besteht höchstens mittels der Ersatzkonstruktion der unterlassenen Hilfeleistung.

Aber selbst dies ist – meinen viele Juristen – eben eine Ersatzkonstruktion, die unter Umständen vor den Gerichten nicht stand hält. Wenn sich jemand in freier Entscheidung eine todbringende Substanz verabreicht, „dann dürfen Sie als Normalmensch danebensitzen, bis er stirbt“, sagt der Münchner Medizinrechtler Wolfgang Putz.
Aber darf dies auch ein Arzt? Was spricht dafür, Ärztinnen und Ärzten in diesen Situationen weniger Rechte zuzugestehen als „Normalmenschen“, zumal sie gerade in solchen Fällen helfend tätig sein sollten, da die Kranken meist voll sind mit allerlei chemischen Substanzen und das Mittel und die Dosierung Wissenschaften für sich sind.
Deshalb will die deutsche Schwesterorganisation von „Dignitas“ einen juristischen Präzedenzfall
schaffen. Dessen Initiator, der Arzt Uwe Arnold, hat in einem Interview für „diesseits“
erklärt, dass es „unethisch [ist], sich nicht mit dem Sterbewunsch zu beschäftigen.“ Er fordert seit langem, dass es neben Geburts- auch Sterbehelfer geben müsse.

Fazit

Die hoch gekochte „Dignitas-Empörung“ dürfte bald wieder abkühlen. Der Wind gegen die „Profi-Sterbehilfe“ legt sich. Denn was alle sehen, ist – jedenfalls außerhalb der Hospize und der wenigen palliativen Einrichtungen – das Gegenteil von Professionalität: die Laien-Sterbehilfe, häufig als Akte reiner Verzweiflung. Die will niemand mehr. Wenn überall professionell gearbeitet wird, was ja nicht mit „gewinn-“ oder gar „profitorientiert“ zu verwechseln ist, wieso soll gerade auf dem Sterbebett der Laie den Vorzug vor dem Profi – dem Arzt – erhalten?
Wenn würdige Suizidbegleitung in Deutschland möglich wird, braucht niemand mehr in die Schweiz zu fahren. Das ist die wichtigste Lehre aus dieser fürwahr unethischen Parkplatzgeschichte. Das erfordert aber Kriterien dafür, was eine professionell – ärztlich – begleitete Suizidhilfe ist, was sie erlaubt und was sie verbietet, wer assistieren darf und wer nicht, welche Mittel und Wege sie nehmen darf und welche nicht.
Darauf hat der Humanistische Verband bereits 2003 in seinen Eckpunkten „Autonomie am Lebenshilfe“ hingewiesen.

Im Vordergrund steht aber – und davon will die Empörungswelle ablenken – gar nicht die Frage nach Suizidhilfe und schon gar nicht nach aktiver Sterbehilfe. Letztlich geht es um eine humanitäre Hinwendung zum Sterbensprozess mit praktischen und juristischen Folgen. Hier ist die ärztliche Selbstverpflichtung, zugunsten des Patientenwohls zu arbeiten, wie sie von Medizinern des Herzzentrums Lahr/Baden („Lahrer Kodex“) gemeinsam mit Kollegen anderer Einrichtungen und nichtmedizinischen Experten erarbeitet wurde, wichtiger als die Beförderung von Empörungskultur.
Mehr Gelassenheit ist angesagt und Vertrauen in die Wünsche aufgeklärter und selbstbewusster Menschen. Die sind in der Mehrheit. Das mag blauäugig klingen, aber das ist so.

Horst Groschopp