BERLIN. (hpd) Am vergangenen Mittwoch hatte in Berlin ein für Berlin neues Debatten-Forum Premiere: IQ²-Die Debatte. Im Rahmen des Internationalen Literaturfestivals fand erstmalig statt: Ein Thema mit vier Debatten-Teilnehmern, von denen zwei Pro und zwei Contra sprechen. Jede(r) hatte in einer ersten Runde jeweils neun Minuten Zeit. Die Zuhörer bildeten die Jury.
Wegen mangelnder Absprachen zwischen den Organisatoren und dem Haus der Berliner Festspiele verzögerte sich der Einlass um etwa eine dreiviertel Stunde. Vor Einlass wurde man dann befragt, ob man der These „Die katholische Kirche ist ein Segen“ zustimme, sie ablehne oder unentschlossen sei. Zusätzlich erhielt man einen perforierten Zettel mit einem Plus und einem Minus – die Wahlzettel der zweiten Runde.
Zu Beginn sprach der Gründer von IQ², John Gordon, ein paar einleitende Worte (auf Englisch), in denen er seine Freude über die neue „Zweigstelle“ in Berlin ausdrückte.
Anschließend verkündete Barbara Scherle in ihrer Funktion als Moderatorin des Abends das Ergebnis der ersten Umfrage: 35 (22,2%) hatten FÜR die These gestimmt, dass die katholische Kirche ein Segen sei, 89 (56,3%) DAGEGEN und 34 (21,5%) blieben UNENTSCHLOSSEN (zusammen 158).
Die folgende Diskussion wurde von Prof. Peter Schallenberg (Katholischer Priester) und Gabriele Kuby (Publizistin, Übersetzerin) auf der Pro-Seite, sowie Dr. Michael Schmidt-Salomon (Philosoph) und Prof. A.C. Grayling (Philosoph) auf der Contra-Seite bestritten, bei der jeder neun Minuten Redezeit hatte. (Sophia Kuby - Sprecherin der „Generation Benedikt“ - war kurzfristig krank geworden und hatte sich deshalb von ihrer Mutter vertreten lassen.)
Michael Schmidt-Salomon war der erste Redner. „Die katholische Kirche“, fing er an, „war für viele Menschen ein Segen.“ Er zählte ein paar faschistische Regime auf, mit denen der Vatikan gemeinsame Geschäfte gemacht hatte, fügte hinzu, dass Hitlers Ermächtigungsgesetz nur mit Hilfe der katholischen Zentrumspartei durchgesetzt werden konnte und sprach die Rattenlinie an, bei denen Nazis nach dem Zweiten Weltkrieg über den Vatikan nach Südamerika geschleust wurden.
Weiter nannte er die Mafia, die erwiesenermaßen in die Geschäfte der Vatikan-Bank verwickelt war, und schlug einen weiten Bogen in die Geschichte, wobei er die Hexen-, Ketzer- und Heidenverfolgung ansprach. Auch sprach er die Judenverfolgung in ihrer zugeschriebenen Position als „Gottesmörder“ an und verwies auf die bis heute andauernden Höllendrohungen durch die Kirche.
Weitere Punkte waren der Missbrauch von Heimkindern und das Verbot der Nutzung von Kondomen, was besonders in Afrika menschenverachtende Folgen habe. Auch verwies er auf die häufige Diskriminierung von Nichtchristen, die in Krankenhäusern nicht arbeiten dürften, obwohl diese zu 100% öffentlich finanziert würden und auf die Caritas-Legende, der nachweislich falschen Behauptung, die Kirchen täten mit dem eingenommen Geld aus der Kirchensteuer doch so viel Gutes. Weiter nahm er Anstoß an der Eucharistie, also dem – gerade nicht symbolisch gemeinten – Verspeisen des Gottessohnes, an der Ausbildung von Exorzisten im großen Stil und dem Schwören des Antimodernisteneides.
Als nächstes war Peter Schallenberg an der Reihe. Eingangs gab er zu, dass Gott nicht auf der rein rationalen Ebene erfassbar und es somit schwierig sei, über dieses Thema zu diskutieren. Als Konter auf die Verbindung von Faschisten und der Kirche verwies er auf den kommunistischen Atheismus und erinnerte an die Präambel des Deutschen Grundgesetzes, in der Gott genannt werde. Die Aufklärung verstand er als Produkt von griechischer Philosophie UND dem Christentum. Sich nur auf die schlechten Seiten zu beziehen sah er als zu einseitig. Außerdem gäbe erst Gott dem Menschen die innere Würde. Zum Schluss zitierte er Mutter Theresa, die auf die Frage, warum sie anderen Menschen half, gesagt hatte: „Weil ich Menschen erlebt habe, die niemals angelächelt wurden.“
A. C. Grayling, der als Dritter auftrat, kritisierte vor allem die religiöse Indoktrination von Kindern, die er als „brain washing“ bezeichnete. Heraus hob er dabei die Anerziehung von kreationistischem Denken. Weiter sprach er vom finsteren Mittelalter nach der Antike und erinnerte an die Verfolgung von Häretikern, Juden und an die Inquisition.
Gabriele Kuby beendete die Runde. Sie warf Schmidt-Salomon und Grayling Einäugigkeit vor und verstieg sich zu der Aussage, dass beide dem Totalitarismus Vorschub leisteten und rügte in diesem Zusammenhang die „atheistischen Blutsysteme“. Die Kirche sei der „Weg der Umkehr“, den zu gehen niemand gezwungen werde. Für einige Lacher sorgten ihre Entzückung für Glocken und die Aussage, man solle sich Rom einmal ohne Kirchtürme vorstellen. Den Rest ihrer Redezeit nutzte sie in einer Redeform, die von einer Predigt kaum zu unterscheiden war. Die Kirche habe eine „geistige Fülle“, Gott sei Mensch geworden, liebe uns und habe für uns gelitten. Außerdem sorge die Beichte für Brüderlichkeit.
Nach der Runde konnte das Publikum Fragen stellen, welche leider oft unstrukturiert und nicht ganz verständlich waren.
Danach wurde die zweite Abstimmung vorgenommen. Durch die Reihen wurden Boxen gegeben, in die man eine Hälfte seines perforierten Wahlzettels warf. Das Ergebnis lautete: 37 (22 %) FÜR die These, 119 (70,8 %) GEGEN die These und 12 (7,1 %) blieben UNENTSCHLOSSEN. (zusammen 168, da einige später gekommen waren.) Die Unentschlossenen vor der ersten Runde hatten sich recht eindeutig gegen die These entschieden, dass die katholische Kirche ein Segen sei.
Die zweiminütigen Schlussplädoyers fanden in umgekehrter Reihenfolge statt. Für Gabriele Kuby sei die Kirche „ein Ort, der lehrt zu lieben“ und sie sprach von einem Gnadenfluss.
A.C. Grayling fand, dass in der Diskussion zu häufig die Religion allgemein und nicht die Kirche als solche verteidigt worden sein und amüsierte sich über das hilflose Argument von der Architektur, das Frau Kuby genannt hatte.
Schmidt-Salomon wiederholte seine vorher schon vorgetragen Punkte wie den sexuellen Missbrauch und die Verbindungen des Vatikans zur Mafia und erweiterte sie um die Sexualpolitik, die kirchlichen Privilegien, die Unterdrückung von Selbstbestimmungsrechten und plädierte für „Nachdenken statt nachbeten, Offenheit statt Offenbarung, Heidenspaß statt Höllenqual.“
Philippe Lorenz