(hpd) Der Kommunikationswissenschaftler Maximilian Elias Imhoff legt in seiner Studie erstmals eine empirische Untersuchung zu den einschlägigen Einstellungen in diesem politischen Lager vor und macht ebendort um die 17 Prozent von Personen mit einem verdichteten antisemitischen Weltbild aus.
Der Autor arbeitet dabei aber mit einem Antisemitismus-Verständnis, das weniger an der Feindschaft gegen Juden als Juden, sondern mehr an pauschaler und übertriebener Kritik an der Politik des Staates Israel orientiert ist.
Antisemitische Einstellungen trifft man im politischen Spektrum meist „rechts“ an. Gibt es aber auch eine Judenfeindschaft von „links“? Über diese Frage wird seit Jahren in der breiteren Öffentlichkeit wie in den entsprechenden Wissenschaftsdisziplinen kontrovers diskutiert. Empirische Untersuchungen konstatierten meist ein eindeutiges „links-rechts“-Gefälle, d. h. je stärker eine politische Position nach rechts gerichtet ist, desto höher müssen ebendort die antisemitischen Einstellungen beziffert werden. Gleichzeitig findet man in der Kommentierung zur Rolle des Staates Israel im Nahost-Konflikt nicht selten bis in feindliche Grundpositionen hineingehende Einstellungen in der „Linken“. Wie es nun aber um die Existenz und Quantität einer solchen Judenfeindschaft steht, will der Kommunikationswissenschaftler Maximilian Elias Imhoff in seiner Arbeit „Antisemitismus in der Linken. Ergebnisse einer quantitativen Befragung“ aufzeigen. Deren Zentrum bildet die Auswertung einer Datenerhebung in Form von 218 komplett ausgefüllten Fragebögen.
Zunächst geht es aber im theoretischen Teil um Ausführungen zur Definition von „radikale Linke“, dem Antisemitismus und dem Antizionismus, handelt es sich dabei doch um die zentralen Arbeitsbegriffe der Studie. In diesem Kontext entwickelt Imhoff auch Hypothesen über die Besonderheiten des Antisemitismus in dem untersuchten politischen Lager. Danach stellt er die Methode der Erhebung insbesondere bezogen auf die Operationalisierung des Antisemitismus, also die Messung entsprechender Einstellungen in Form eines Score vor. Hierbei betont der Autor: „Eine quantitative Befragung unter Linksradikalen zum Antisemitismus ist ein Stück weit Pionierarbeit, denn Antisemitismus wurde ... noch nicht derart untersucht. Der Vorteil ist, dass eine auf Linke zugeschnittene Befragung im Gegensatz zu allgemeinen Befragungen zum Antisemitismus in der Gesamtbevölkerung, sich voll auf die linken Besonderheiten einlassen kann“ (S. 15f.). Und schließlich folgt eine Präsentation der Ergebnisse auch und gerade hinsichtlich einer Überprüfung der Hypothesen.
Imhoff formuliert dazu bilanzierend: „Die Faktorenanalyse hat gezeigt, dass alle erhobenen Items eng miteinander zusammenhängen. Es gibt keine bestimmten Facetten linker Israel- und Judenabneigung. ... 21 % der Linken der Stichprobe besitzen Abgrenzungsprobleme nicht nur zu einzelnen antisemitischen Ressentiments, sondern zu der Verdichtung dieser Ressentiments zum Antisemitismus. Bei weiteren 17 % verdichten sich diese Ressentiments durch hohe Zustimmung zu den einzelnen Items tatsächlich zu einem Antisemitismus“ (S. 139). Es sei deutlich „geworden, dass die Israelkritik pro-palästinensischer Linker häufig nach altbekannten antisemitischen Mustern funktioniert oder zumindest von ihnen nicht abzugrenzen ist.“ Und weiter heißt es: „Je einseitiger die Solidarität der palästinensischen Seite gilt, desto deutlich antisemitischer die Denkweise. Mitgefühl für die Palästinenser und Hass gegen die Israelis - weil die Perzeption Israels emotional-kognitiv aufgekocht ist - sind demnach häufig sehr eng miteinander verbunden“ (S. 140).
Bislang gab es noch keine empirische Untersuchung, die sich dezidiert mit dem Antisemitismus bei den „Linken“ beschäftigte. Insofern stellt die Entwicklung einer entsprechenden Skala eine Pionierleistung dar. Gleichwohl kann diese keine kritiklose Akzeptanz finden, führen deren Inhalte doch zu einer Verzerrung des Resultats. Zwar beschäftigt sich Imhoff mit dem Antisemitismus, dessen Kern als Feindschaft gegen Juden als Juden spielt aber für die Nutzung der Einstellungsstatements keine prägende Rolle. Hier kommen vielmehr Negativbilder und Ressentiments gegen den Staat Israel zum Einsatz. Ob damit auch immer eindeutig eine antisemitische Auffassung gemessen werden kann, darf in nicht wenigen Fällen mit guten Gründen bezweifelt werden. Einseitige, falsche oder schiefe Kritik an Israel muss nicht per se durch Judenfeindschaft erklärt werden. Warum hier nicht auch ein dogmatischer „Antiimperialismus“ ein ideologisches Motiv sein kann, hätte zumindest einmal vergleichend in die Analyse einbezogen werden müssen.
Armin Pfahl-Traughber
Maximilian Elias Imhoff, Antisemitismus in der Linken. Ergebnisse einer quantitativen Befragung, Frankfurt/M. 2011 (Peter Lang-Verlag), 161 S., 27,80 €