BERLIN. (hpd) Zufrieden kann der Organisationskreis auf den 6. World Skeptics Congress, der am Wochenende in Berlin stattfand, zurückblicken. Die Vorträge waren spannend, die Veranstaltung gut besucht, das Medienecho enorm.
Die Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften (GWUP) hatte die Konferenz vorbildlich organisiert, die Stimmung unter den Teilnehmern war entsprechend hervorragend. Im Foyer konnten sie Zauberkünstlern wie James Randi oder Wolfgang Hund begegnen, die sich gegenseitig ihre neuesten Tricks zeigten.
Wolfgang Hund zaubertIm Sitzungssaal spielte der Begriff des „Risikos“ eine große Rolle. Die Frage, wie damit umzugehen sei, wurde in den einschlägigen Vorträgen keineswegs einheitlich beantwortet. Der Statistikprofessor Walter Krämer stellte in den Vordergrund, dass wir Risiken häufig völlig falsch einschätzen. Wenn wir direkt Einfluss auf ein Geschehen nehmen können, sehen wir Gefahren als geringer an, wenn wir diese Möglichkeit nicht haben, hegen wir größere Befürchtungen. Deshalb erscheint uns eine Autofahrt weniger bedenklich als ein Flug – obwohl das statistisch falsch ist, denn die Wahrscheinlichkeit, bei einem Autounfall ums Leben zu kommen, übersteigt die, bei einem Flugzeugabsturz den Tod zu finden. Auch in der Natur liegende Risiken werden eher unterschätzt, ebenso Situationen, in die wir uns freiwillig begeben. Dagegen sind Annahmen über Langzeitfolgen aus statistischer Sicht oft übertrieben.
Medieneinfluss und politische Forderungen
Den Medien warf Krämer vor, durch ihre Berichterstattung diese Trends zu verstärken. So gebe es jährlich unzählige Berichte über Attacken von Haien auf Menschen, obwohl dabei nur wenige Personen ums Leben kämen. Über Hautkrebs hingegen erschienen verhältnismäßig wenige Artikel, obwohl Zehntausende betroffen seien. Beim Auftauchen neuartiger Krankheiten (BSE, SARS usw.) wiederum befassten sich die Medien für einen kurzen Zeitraum sehr intensiv mit den Fällen, vor allem aber mit Spekulationen über die Folgen – obwohl unter diesem Gesichtspunkt Herz-Kreislauf-Erkrankungen viel mehr Aufmerksamkeit verdienen.
Walter Krämer beim Vortrag
Insbesondere die Angst der Menschen vor chemischen Substanzen und die zahlreichen ökologisch motivierten Verbotsforderungen sah Krämer als problematisch an. Anhand einiger Beispiele versuchte er zu zeigen, dass auch mit guter Absicht durchgesetzte Verbote „Nebenwirkungen“ zeitigen können, die das ursprüngliche Risiko überwiegen. In der Diskussion erntete er dafür einige Zustimmung (z.B. zur Pestizidkonzentration in Obst, die ganz überwiegend von „natürlichen Pestiziden“ und nicht von Spritzmitteln herrührt), aber auch deutlichen Widerspruch (etwa zu den Folgen von Asbestsanierung oder dem DDT-Verbot).
Pseudoskeptikereien
Einen anderen Ansatz verfolgte der schwedische Philosoph und Begründer der dortigen Skeptikervereinigung Sven Ove Hansson. Anhand der sogenannten Klima-Skeptiker, der Kreationisten und der Gegner der Relativitätstheorie demonstrierte er, worin sich wissenschaftlicher und antiwissenschaftlicher Skeptizismus unterscheiden. Eine andere Gruppe von Pseudoskeptikern handelt aus simplen ökonomischen Interessen. So gebe es toxikologische Gutachten über die Folgen des Rauchens oder die Wirkung bestimmter chemischer Substanzen, die von den entsprechenden Industrien finanziert worden seien und so weit neben den Ergebnissen unabhängiger Studien liegen, dass sich der Verdacht unsauberer Arbeit geradezu aufdränge.
Für politische Entscheidungen (z.B. das Verbot eines bestimmten Stoffes) stellte Hansson ein Modell vor. Die Daten einzelner Untersuchungen finden danach Eingang in das „Corpus“ des derzeit als gesichert geltenden Wissens. Aus diesem leitet die Politik ihre Entscheidungen ab. Die „Zugangsbedingungen“ folgen wissenschaftlichen Standards. Das ist sinnvoll, kann aber Probleme aufwerfen. So ist es denkbar, dass eine Studie über eine Substanz in Babyfläschchen, die mit einer nur geringen Signifikanz darauf hindeutet, dass gesundheitliche Beeinträchtigungen möglich sind, zunächst keine Berücksichtigung im „Corpus“ findet. Es wäre dann Aufgabe der Politik, das Risiko abzuwägen und entweder weitere Studien, die das Ergebnis bestätigen oder widerlegen, abzuwarten oder auf der Grundlage der eigentlich unzureichenden Daten den Stoff zu verbieten, um eine immerhin mögliche Gefahr abzuwenden.
Ob dieser Schritt vollzogen werde, so Hansson, sei eine politische Entscheidung. Wissenschaftler und Skeptiker, ja selbst diese untereinander, dürften hier kaum zu einer einheitlichen Einschätzung kommen. Denn hier kommen Grundeinstellungen zum Tragen, die nun mal auch unter Skeptikern nicht uniform sind. Über das „sichere Wissen“ hingegen, über Fragen der Korrektheit einer Studie, müsse sich Einigkeit erzielen lassen.
Shoppen als Echo der Steinzeit
Dass auch Wissenschaft vor Blödsinn nicht gefeit ist, führte Rebecca Watson am Beispiel der Evolutionären Psychologie vor. Die feministische Skeptikerin, die das Skepchick Network leitet, stellte einige britische Studien vor, die heutiges Verhalten von Frauen auf steinzeitliche Lebensverhältnisse zurückführten. Allerdings werden dabei eher Rollenklischees reproduziert als unsere gegenwärtigen Verhaltensweisen erklärt. Denn wir wissen ziemlich wenig darüber, wie Steinzeitmenschen im Detail gelebt haben. Welche Belege gibt es denn dafür, dass alle Frauen im Lager blieben oder sammelten, während die Männer jagten? Aber selbst wenn dies als gegeben vorausgesetzt werden könnte – kann daraus geschlossen werden, dass sie deshalb lieber einkaufen gehen als Männer? Für Rebecca Watson sind solche kurzschlüssigen Ableitungen nichts anderes als ein weiterer Versuch, Frauen auf althergekommene Rollen festzuschreiben – eine Beleidigung unter dem Deckmantel der Wissenschaft.
Religionskritische Aspekte
Wie immer war auf dem World Skeptic Congress mehr Religionskritik zu finden als auf den alljährlichen GWUP-Konferenzen. Ob das daran liegt, dass in Deutschland die paranormalen Phänomene fest in der „Zuständigkeit“ der esoterischen Szene sind, während in Afrika, Indien oder den USA der Angriff auf die Wissenschaft gerade auch aus den Reihen der etablierten Religionen erfolgt? Nein, meint Martin Mahner, der das Zentrum für Wissenschaft und kritisches Denken der GWUP leitet. In Deutschland bestehe in diesen Dingen eine „Arbeitsteilung“: Die GWUP beschränkt sich auf das empirisch Prüfbare, für die Religionskritik sind die atheistischen Organisationen zuständig. Viele der weltweiten Skeptikervereinigungen verbinden hingegen wissenschaftliche Skepsis und Humanismus in ihrem Ansatz. Das spiegele sich dann auch in den Themen und Debatten auf den Weltskeptikerkonferenzen.
Tafeln zu Nigeria von Leo Igwe
Ein Beispiel dafür waren die Schautafeln, die Leo Igwe aus Nigeria aufgebaut hat. Sie thematisieren den Aberglauben in Nigeria, der dazu führt, dass Kinder als „Hexen“ verfolgt werden ebenso wie evangelikale Wunderheiler oder die islamistische Terrorgruppierung Boko Haram. Auch in den Sessions, die sich mit Kreationismus auseinandersetzten, wurde deutlich, wie intensiv christliche und islamische Strömungen gegen ein wissenschaftliches Weltbild arbeiten.
Wer sich über die zahlreichen weiteren Vorträge und Programmpunkte, die keine Erwähnung finden konnten, informieren will, kann einen Blick in den GWUP-Blog werfen.
Gunnar Schedel
James Randi im Gespräch mit Amardeo Sarma