Neue Nazis jenseits der NPD

(hpd) Die Journalisten Toralf Staud und Johannes Radke legen einen Reportageband zu aktuellen Entwicklungen im Rechtsextremismus vor. Dabei arbeiten sie anschaulich neue Gefahrenpotentiale heraus, welche sie vor allem in der Gewaltneigung der „Autonomen Nationalisten“ sehen.

Die Rechtsextremisten in Deutschland sind zwar in ihrer Ideologie an der Vergangenheit orientiert, gleichwohl orientieren sie sich in Agitationstechnik, Handlungsstil und Organisationsform durchaus an der Gegenwart. Darauf verweisen die Journalisten Johannes Radke, der als freier Journalist für den „Tagesspiegel“ und „Zeit Online“ arbeitet, und Toralf Staud, der durch sein Buch „Moderne Nazis“ (2005) bekannt geworden ist. In ihrem gemeinsamen Werk „Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts“ konstatieren sie: „Der rechte Rand hat sich seit den Neunzigerjahren tiefgreifend gewandelt: er hat sich zugleich radikalisiert und verbürgerlicht“ (S. 8).

Diesen Entwicklungsprozess wollen die beiden Autoren in sieben Kapiteln zu unterschiedlichen Aspekten dieses politischen Lagers nachzeichnen. Das geschieht in Form von journalistischen Reportagen zu einzelnen Phänomen, welche auch unabhängig voneinander als eigenständige Texte für sich gelesen werden können.

Zunächst machen Radke/Staud am Beispiel von Dortmund deutlich, dass die alltagskulturelle Präsenz von Neonazis kein ostdeutsches Phänomen ist. Die Ruhrmetropole steht bei ihnen als Beispiel dafür, „was passiert, wenn gut organisierte Neonazi-Kader eine Stadt zu erobern versuchen“ (S. 17). Dem folgt ein historischer Rückblick, meinen die Autoren doch den aktuellen Rechtsextremismus nur im Lichte der Entwicklung der Szene in den 1990er Jahren in Ostdeutschland verständlich machen zu können. Danach behandeln sie die „Autonomen Nationalisten“ als Form von „Patchwork-Nazis“, mache doch die Nachahmung von Habitus und Kleidung linksextremistischer Autonomer unter Beibehaltung der Ideologie deutlich, „wie sehr sich der Rechtsextremismus im letzten Jahrzehnt gewandelt hat“ (S. 76). Ähnliches wollen sie dann anhand der NPD und ihrer eher misslungenen Versuche zur Modernisierung aufzeigen. Gleichwohl gelang es der Partei in bestimmten Regionen Ostdeutschlands wie etwa in Vorpommern, alltagskulturell einen Machtfaktor darzustellen.

Als lagerinterner Konkurrent im Westen gelten die regionalen Ableger der „Pro Deutschland“-Partei, welche mit fremden- und islamfeindlicher Propaganda auf sich aufmerksam machten. Auch wenn es an entscheidenden Wahlerfolgen mangele, vergifte diese damit das gesellschaftliche Klima. Danach gehen die Autoren ausführlicher auf die Entwicklung des Rechtsterrorismus, die in den Serienmorden des „Nationalsozialistischen Untergrundes“ gipfelte, ein. Indessen halten sie deren Agieren für Gefahren der Vergangenheit. Für die Gegenwart müsse vielmehr auf die geplante Gewaltorientierung der „Autonomen Nationalisten“ verwiesen werden: „Was diese jungen, radikalen Aktivisten so gefährlich macht, sind ihre fehlenden Skrupel Gewalt gegenüber“ (S. 222). Wenn man zukünftig Rechtsterrorismus verhindern wolle, sollte man diese Szene besonders intensiv beobachten. Und schließlich endet das Buch noch mit einem informativen Interview mit einem Aussteiger aus der Szene und zehn Tipps der Autoren zum Umgang mit Rechtsextremisten.

Der Band zeichnet sich durch eine gute Lesbarkeit aus und macht anschaulich die Wandlung der rechtsextremistischen Szene deutlich. Dabei schreiben die Autoren mit großer Sachkenntnis und ohne billige Polemik. Immer wieder formulieren sie auch analytisch interessante Aussagen, wozu etwa die Gefahrenprognose in Richtung der „Autonomen Nationalisten“ zählt. Nur in wenigen Fällen findet man Fehleinschätzungen: So agierten die beiden neonazistischen Polizistenmörder Michael Berger und Kay Diesner keineswegs nach dem „Lone Wolf“-Modell (vgl. S. 205). Vielmehr wollten sie sich jeweils der Verhaftung entziehen. „Hans Westmar“ (vgl. S. 207) ist auch keine reale Person, sondern eine Figur aus einem NS-Propagandafilm, die Neonazis als Pseudonym diente. Doch solche kleineren Mängel sollten nicht zur Ignoranz der unverkennbaren Vorzüge des Buches führen, hebt es sich doch von den journalistischen Darstellungen zum Thema wohltuend positiv ab. Auch in analytischer Hinsicht erhält man immer wieder reflexionswürdige Anregungen.

Armin Pfahl-Traughber

Toralf Staud/Johannes Radke, Neue Nazis. Jenseits der NPD: Populisten, Autonome Nationalisten und der Terror von rechts, Köln 2012 (Kiepenheuer & Witsch), 272 S., 9,99 €.