100 Jahre Pfusch

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Islamisches Zentrum in Wien-Floridsdorf, 2005 / Foto: wikimedia commons (Michael Kranewitter)

WIEN. (hpd) Das offizielle Österreich und zahlreiche religiöse Einrichtungen feiern den hundertsten Beschlusstag des Islamgesetzes. Gerade heute sei das Gesetz ein wichtiger Bestandteil der Integration, so der Tenor. Ein kritischer Blick zeigt, dass es wenig zu feiern gibt.

Seit einem Jahrhundert gilt der Islam als anerkannte Religionsgemeinschaft in Österreich. Das mag für jene erfreulich sein, die davon ausgehen, dass Religionsfreiheit staatlich reglementiert werden muss. Das scheint beim offiziellen Österreich der Fall zu sein. Natürlich ist es auch für die erfreulich, denen das Gesetz eine erhöhte Bedeutung zumisst. Das sind die Funktionärinnen und Funktionäre der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich (IGGiÖ). Und irgendwie bestätigt das auch die in der Zwischenposition. Das sind Theologinnen und Theologen jeglicher Couleur.

Die meisten Muslime mögen sich mitfreuen und sich einreden lassen, das Gesetz habe für ihren Alltag irgendeine Bedeutung. Das gilt auch für die Muslime, die ihre Religion praktizieren. Bei einem säkularen Beobachter mag der Eifer des offiziellen Österreich und der Religionsvertreter zu Befremden führen. Es ist ein Zeichen, dass hierzulande Religionsfreiheit vor allem als Recht einer Religionsgemeinschaft verstanden wird und nie als Recht des Einzelnen, eine Religion auszuüben oder auch nicht. Das ist keine Besonderheit des Islamgesetzes. Nur sind die Feiern ein Anlass, sich das wieder einmal ins Gedächtnis zu rufen.

Am Islamgesetz wird die Absurdität des Gedankens, man müsse Religionsgemeinschaften staatlich anerkennen, besonders deutlich. Bei näherer Betrachtung ist es ein anachronistisches Gesetz, dem eine Gerichtsentscheidung nach der anderen irgendeine reale Bedeutung einhaucht und das Ergebnisse zeitigt, die nicht nur für viele Säkulare ernüchternd sind. Auch Muslime, die nicht dem sunnitischen Mainstream angehören, fühlen sich durch das Gesetz gegängelt. Aber die werden dieser Tage nicht gehört.

Politische Realität der untergehenden Donaumonarchie

Das Gesetz spiegelt die Realität des Jahres 1912 wieder. Damals hatte Österreich Bosnien annektiert, das einen hohen muslimischen Bevölkerungsanteil hatte und hat. Das damalige „Grundgesetz über die allgemeinen Rechte der Staatsbürger“ hin und her, Religionsfreiheit war in der Donau-Monarchie rechtlich nur unzureichend abgesichert. Den Anhängern des hanefitischen – und nur des hanefitischen – Ritus wurde die Religionsfreiheit zuerkannt. Man hoffte, die Bosnjaken mit der Anerkennung darüber hinwegzutrösten, dass sie nicht mehr Untertanen des Osmanischen Reichs waren sondern „Seiner apostolischen Majestät“ Franz Joseph I.

Eine politische Entscheidung. Menschenrechte spielten keine Rolle. Im November 1918 wurden diese Überlegungen überflüssig. Das Islamgesetz verlor an Bedeutung. Muslime gab es so gut wie keine in Österreich. Vermutlich vergaß man bis in die 70er Jahre, dass das Islamgesetz überhaupt existierte. Von einer hundertjährigen Geschichte der Anerkennung, gar der Toleranz, zu sprechen, ist offensichtliche Geschichtslüge.

Seit den 80-ern Gerichtsprozesse ohne Ende

Seit das Islamgesetz wiederentdeckt wurde, beschäftigt es die Höchstgerichte. 1987 erzwangen die Vorläufer der heutigen IGGiÖ ihre Anerkennung als Religionsgemeinschaft vor dem Verfassungsgerichtshof. Das Kultusamt hatte sie mit der Begründung verweigert, nur der hanefitische Ritus sei anerkennt. Der VfGH entschied, das verstoße gegen die Religionsfreiheit und erklärte die Einschränkung für verfassungswidrig. Auf die Idee, das Gesetz insgesamt zu kippen, kam er bezeichnenderweise nicht. Immerhin wurde offensichtlich, dass sich die Situation von 1987 wenig mit den politischen Überlegungen des Jahres 1912 gemein hatten. Das Verfahren hatte in Summe 16 (!) Jahre gedauert.

Seitdem spielt sich die IGGiÖ von der Politik unwidersprochen als alleinige Vertretung der Muslime auf. Sie regelt, wer konfessionellen Religionsunterricht erteilen darf, ist für die Ausbildung muslimischer Religionslehrer zuständig, fühlt sich als Aufsichtsbehörde für alle „frommen Stiftungen“ und definiert, wer sich als Muslim verstehen darf und wer nicht. Was dazu führte, dass ein Muslim vor einigen Jahren vor dem Verfassungsgerichtshof das Recht zu erstreiten versuchte, offiziell als Muslim registriert zu werden. Die IGGiÖ hatte ihm kommentarlos die Aufnahme verweigert und sogar seinen Mitgliedsbeitrag zurücküberwiesen. Ein zweiter Muslim klagte Mitbestimmungsrechte gegen die Verfassung der IGGiÖ ein. Erfolglos.

Kein Alleinvertretungsanspruch mehr

Den Alleinvertretungsanspruch für alle Muslime darf die IGGiÖ mittlerweile auch nicht mehr wahrnehmen. Die Aleviten wurden mittlerweile als religiöse Bekenntnisgemeinschaft zugelassen. Auch das bezeichnenderweise erst nach einer Klage, die vor den Verfassungsgerichtshof führte. Auch die Initiative Liberale Muslime bestreitet den Alleinvertretungsanspruch der IGGiÖ. Die Shiiten halten merkwürdigerweise nach außen hin still, obwohl die Verfassung der IGGiÖ nicht einmal mehr so tut, als würden sie berücksichtigt. Dort steht:
Artikel 15
(1) Gremien und Organe der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich sind:
A: Für die Religionsgemeinde:
1. die Gemeindeversammlung
2. der Gemeindeausschuss
3. der erste Imam
4. die islamischen SeelsorgerInnen

B: Für die Islamische Glaubensgemeinschaft in Österreich:
1. der Schurarat
2. der Oberste Rat (OR)
3. der Beirat
4. der Mufti der IGGiÖ
5. der Imame-Rat
6. das Schiedsgericht
7. die Rechnungsprüfer

Das befriedigt sunnitische Bedürfnisse und nur diese. Für Shiiten hat der Begriff Imam eine mythische Bedeutung, lebende Imame gibt es in der Shia nicht. Außerdem kommt bei ihnen im Allgemeinen dem Klerus eine andere Bedeutung als für Sunniten.

Wer ist Muslim und warum?

Auch auf der alltäglichen Ebene entsteht Chaos, sobald das Islamgesetz umgesetzt wird. Es weiß zum Beispiel niemand, wie viele Muslime es in Österreich gibt. Die IGGiÖ mag einschlägige Bestimmungen in ihrer Verfassung festgelegt haben, wer als Mitglied des Islam zu zählen ist. Nur die sind widersprüchlich. Einerseits sollen alle eingetragenen Muslime bei der IGGiÖ Mitglied sein. Andererseits sind es nur die, die bei einer der neun „Islamischen Religionsgemeinden“ registriert sind. Die haben nichts mit den muslimischen Gemeinden zu tun, in denen religiöse Muslime ihre Religion ausüben sondern sind administrative Untereinheiten der IGGiÖ. Wer jetzt der „zuständige Imam“ sein soll, vor dem ein Erwachsener seine Zugehörigkeit zum Islam bekunden kann oder bei dem Eltern ihrer Kinder registrieren lassen können, bleibt aus der Konstellation heraus unklar. Der in der örtlichen Moschee? Oder nur der bei einer der IRGs? Shiiten können bei den Formulierungen gar nicht als Muslime gezählt werden. Ihre Imame sind seit Jahrhunderten mausetot.