BONN/BERLIN. (hpd/dbk) Die Katholische Bischofskonferenz hat vor einer Woche eine lange Liste mit 37 Fragen und Antworten zur Kirchenfinanzierung veröffentlicht. Da dies auch als Beitrag zur gegenwärtigen Diskussion über die staatliche Finanzierung der Kirchen anzusehen ist, hat Carsten Frerk, der Autor des „Violettbuch Kirchenfinanzen“, diese Antworten durchgesehen und kommentiert.
Als technische Erläuterung: Die Fragen der Bischofskonferenz sind durchnummeriert worden, um sich besser im langen Text orientieren zu können. Nach jeder Frage folgt dann zuerst die Antwort der Bischofskonferenz (in normaler Schrift) und dann (in kursiver Schrift) die Kommentierung / Antwort von Carsten Frerk.
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Kirchenfinanzierung: Fragen und Antworten
Was ist die Kirchensteuer? Was versteht man unter Staatsleistungen? Wie finanziert sich die Kirche? Was leisten Caritas und Ehrenamt? Viele Fragen werden zur Kirchenfinanzierung gestellt. Wir geben Antworten auf häufig gestellte Fragen.
(1) Was versteht man unter der Trennung von Staat und Kirche? Was versteht man unter dem Selbstbestimmungsrecht der Kirche?
Staat und Kirche sind in Deutschland voneinander getrennt. Keiner hat in Bezug auf die jeweils eigene Zielsetzung ein Bestimmungsrecht über den anderen. Die Kirche hat ein Selbstbestimmungsrecht und kann ihre eigenen Angelegenheiten selbst regeln. Das ist Ausdruck auch der Religionsfreiheit, die das Grundgesetz garantiert.
- Die institutionelle Trennung von Staat und Kirche ist verfassungsgemäß. Das wichtigste Element einer Demokratie ist die Gleichheit Aller. Abweichungen davon müssen geregelt sein. Insofern hat die Kirche zwar ein durch das Grundgesetz geschütztes Recht, ihre eigenen Angelegenheiten ohne Mitwirkung der bürgerlichen Gemeinden zu „ordnen“ und zu „verwalten“, also ein „Selbstverwaltungsrecht“, aber kein „Selbstbestimmungsrecht“.
Der Staat ist religiös neutral und darf keine Religion wegen ihres Glaubens bevorzugen. Dennoch sind Kirche und Staat aufeinander bezogen.
- Wenn der erste Satz korrekt ist, stimmt der zweite nicht, was auch nicht durch das sprachliche „dennoch“ übersprungen wird. Und wenn „Kirche“ als organisierte Religion und Staat aufeinander bezogen seien, welche Kirche ist mit dem Staat „aufeinander bezogen“ und welche nicht? Oder alle gleichzeitig? Oder alle nicht?
Der Staat ist auf Werteeinstellungen und Grundhaltungen seiner Bürger angewiesen. Diese entstehen nicht von selbst und der Staat hat nur begrenzt auf sie Einfluss. Deshalb gehört es zu seinem Interesse, diejenigen Akteure zu stärken, die Überzeugungen und Wertebindungen vermitteln. Dazu gehören ganz besonders die Religionsgemeinschaften und Kirchen.
- Es ist ein gesellschaftliches und politisches Problem, dass die Kirchen „ganz besonders“ dieser Meinung sind. Für einen politischen Lobbyismus ist es allerdings verständlich, derart zu argumentieren und implizit andere Auffassungen damit zu diskreditieren.
- „Wertebindungen“ finden primär in der Familie statt, im Freundeskreis, in Freizeitgruppen, in der Schule. Die Kirchen spielen 60 Jahre nach Verabschiedung des Grundgesetzes als Wertesetzende Instanzen nur noch eine marginale Rolle.
Im Übrigen sind Staat und Kirche gut beraten, dort aktiv zusammenzuarbeiten, wo dies für beide Seiten sinnvoll ist, weil es um gemeinsame Ziele zugunsten der Menschen geht.
- Staat und „Kirche“ haben unterschiedliche Zielsetzungen (Interessenausgleich/Kompromiss versus Missionierung/Wahrheitsanspruch) und entsprechend auch keine „gemeinsamen Ziele“. Insofern gibt es keinen Bereich, in dem es „für beide Seiten sinnvoll“ wäre, zusammenzuarbeiten.
- In dieser kirchlich behaupteten „Gemeinsamkeit von Staat und Kirche“ drückt sich die vordemokratische Auffassung des 19. Jahrhunderts aus, als die Identität von Staat und kirchengemeindlichen Interessen in der Einheit von „Thron und Altar“ noch gegeben war.
- Jede Organisation kann den Staat unterstützen und mit ihm ‚zusammenarbeiten’. Freiwillige Feuerwehren, DLRG, Verbraucherschützer, Tierschützer, Umweltschützer, Menschenrechtsgruppen... da dürfen sich die Kirchen gerne einreihen. Eine Sonderstellung der Kirchen lässt sich hiermit nicht begründen.
(2) Welches Rechtsverhältnis besteht zwischen Kirche und Staat?
Das Grundgesetz gewährleistet die „Freiheit des Glaubens“ und die „ungestörte Religionsausübung“ (Art. 4, Abs. 1 und 2 Grundgesetz). Die Kirche ist vom Staat frei, der kirchliche und der staatliche Bereich sind in der Wurzel voneinander geschieden.
- Wo bleiben denn jetzt die „Gemeinsamkeiten“ und das „Aufeinanderbezogensein“?
- Nicht nur ist die „Kirche vom Staat frei“, sondern auch der Staat von der Kirche. Art. 4 GG definiert keine einseitige Freiheit.
Der Staat aber muss es den Gläubigen auch aktiv möglich machen, ihren Glauben im öffentlichen Leben zur Geltung zu bringen.
- Entsprechend des oben zitierten Art. 4, Abs. 2 GG heißt es: „Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet“. Nicht mehr, aber auch nicht weniger.
- Der Staat darf hinsichtlich der Religionsausübung nicht „aktiv“ werden.
- Dass religiöse Auffassungen im Rahmen der Meinungsfreiheit jedes Bürgers (Art. 5 Abs.1 GG) in Wort, Schrift und Bild frei geäußert und verbreitet werden können, ist ein Grundrecht. Dass „der Staat“ den Glauben religiös organisierter Bürger im „öffentlichen Leben zur Geltung zu bringen habe“ ist ein Wunsch- oder Anspruchsdenken ohne jede verfassungsrechtliche Grundlage.
Er darf sich gegenüber der Kirche nicht indifferent oder gar ablehnend verhalten, wobei er an die Grundsätze von Toleranz und Gleichbehandlung gebunden ist.
- Der Staat hat sich gegenüber allen Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften gleich-gültig zu verhalten. „Niemand darf wegen (...) seiner religiösen oder politischen Anschauungen benachteiligt oder bevorzugt werden.“ (Art. 3 Abs. 3 Grundgesetz)
- Warum wird hier nur im Singular „Kirche“ argumentiert? Entweder „Kirchen“ oder, da es auch nicht ‚verkirchlichte’ Weltanschauungs- und Religionsgemeinschaften gibt, ein anderer Plural.
Beispiele, wie der Staat für die Religionsgemeinschaften entsprechende Vorkehrungen schafft, sind:
- die Stellung der Kirchen als „Körperschaften des öffentlichen Rechts“, wodurch den Kirchen konkrete Organisationsmöglichkeiten gegeben werden (z. B. das Steuerrecht).
- Der Status einer „Körperschaft des öffentlichen Rechts“ ist keine Vorbedingung für Religionsfreiheit.
- In Deutschland gibt es keine „staatlich anerkannten“ Religionsgemeinschaften und die Mehrzahl der Religionsgesellschaften hat keinen Körperschaftsstatus.
- Das Selbstbestimmungsrecht der Kirchen in „ihren eigenen“ Angelegenheiten, z. B. in Form eines kirchenspezifischen Arbeitsrechts.
- Die Religionsgesellschaften haben (nur) ein garantiertes Selbstverwaltungsrecht. Dass die Kirchen ein „Selbstbestimmungsrecht“ hätten, und darüber auch selbst bestimmen könnten, was zu „ihren eigenen Angelegenheiten“ hört, ist eine praktizierte, aber dennoch im Widerspruch zu mehreren Verfassungsgrundsätzen stehende Ausweitung dieses Selbstverwaltungsrechts.
- Die Gleichheitsgrundsätze, die positive wie die negative Religionsfreiheit u.a.m. setzen den Religionsgesellschaften und Weltanschauungsgemeinschaften sehr enge Grenzen innerhalb derer sie einen „Tendenzschutz“ formulieren dürfen – nur für ihr Personal der Leitung und der Verkündigung.
- Das jetzige kirchenspezifische Arbeitsrecht ist ein Verstoß gegen den Gleichheitsgrundsatz (Art. 3 GG) sowie gegen das Recht auf gewerkschaftliche Organisation (Art. 9 Abs. 3 GG)
- Neben diesen „eigenen“ gibt es eine Reihe „gemeinsamer Angelegenheiten“, z. B. die Militärseelsorge und den Religionsunterricht, der nach Art. 7, Abs. 3 Grundgesetz „ordentliches Unterrichtsfach“ ist.
- Ausschließlich der Religionsunterricht und die Überlassung der bürgerlichen Steuerlisten zur Kirchensteuerberechnung sind nach dem Grundgesetz „gemeinsame Angelegenheiten“. Die Militärseelsorge (ebenso wie die Anstaltsseelsorge, die im Text nicht genannte Polizeiseelsorge etc.) ist nur „zuzulassen“ und nicht zu finanzieren.
- In diesen Zusammenhang der Religionsfreiheit gehört auch der grundgesetzlich verbürgte Schutz des Sonntags als „Tag der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung“ (Art. 139 Weimarer Reichsverfassung in Verbindung mit Art. 140 Grundgesetz).
- Der vorhandene Schutz des Sonntags, aber vielfach durchlöcherte „Tag der Arbeitsruhe“ (Pastoren, Polizisten, Krankenschwestern und Pfleger, Mitarbeiter des öffentlich-rechtlichen und des privaten Rundfunks, Zeitungsdrucker, Bäcker, Tankwarte, Beschäftigte des ÖPNV etc. etc.), ermöglicht es den Kirchenmitgliedern ungestört zur Kirche zu gehen.
- Auf welche Weise ein Bürger seine „seelische Erhebung“ realisiert - sei es durch Kirchgang, Spazierengehen, Ausschlafen und im Bett bleiben, ins Fußballstadion gehen, blasphemische Verse dichten u. v. a. m. – ist seine Privatsache und geht weder den Staat noch die Religionsgesellschaften etwas an.
- Dass nur die Christen „ihren“ Ruhetag garantiert bekommen haben, hat sicher etwas mit den damaligen Mehrheitsverhältnissen zu tun, aber nicht mit Religionsfreiheit. Anderenfalls müsste man ja annehmen, die Religionsfreiheit der Juden und Muslime sei beeinträchtigt, weil ihre Feiertage nicht in gleicher Weise geschützt sind.