Humanistische Union kritisiert geplante Reform der Telefonüberwachung und die Einführung der Vorratsdatenspeicherung
BERLIN. Heute berät der Bundestag in erster Lesung über den Regierungsentwurf für ein "Gesetz zur Neuregelung der Telekommunikationsüberwachung und anderer verdeckter Ermittlungsmaßnahmen", mit dem auch die umstrittene EU-Richtlinie zur Vorratsdatenspeicherung umgesetzt werden soll (BT-Drs. 16/5846). Aus diesem Anlass kritisiert die Bundesvorsitzende der Bürgerrechtsorganisation, Prof. Dr. Rosemarie Will, die Tendenz zunehmend heimlicher Ermittlungen der Polizei:
"Seit Jahren steigt etwa die Zahl abgehörter Telefonate in Deutschland an. Die richterliche Prüfung, ob dies unter den jeweiligen Umständen überhaupt notwendig und zulässig ist, lässt oft zu wünschen übrig." Gegen diese Fehlentwicklung müsse die zur Aufklärung von Straftaten notwendige Polizeiarbeit wieder an den Grundsätzen des erkennbaren und verhältnismäßigen Handels ausgerichtet werden. Das leiste der vorliegende Gesetzentwurf jedoch nicht. Will verweist darauf, dass der vorliegende Gesetzentwurf den selbstgestellten Ansprüchen der Bundesjustizministerin nicht genügt: "Bei der ersten Vorstellung ihres Gesetzentwurfs hatte Brigitte Zypries einen stärkeren Grundrechtsschutz für die von verdeckten Ermittlungen betroffenen Bürgerinnen und Bürger versprochen. Davon ist leider nicht viel übrig geblieben. Der mehrfach vom Bundesverfassungsgericht eingeforderte Schutz des Kernbereichs privater Lebensgestaltung wird weder bei der Telefonüberwachung, geschweige denn bei anderen heimlichen Ermittlungsmethoden gewährleistet."
Auch eine Reduzierung der seit Jahren wachsenden Zahl heimlicher Telefonüberwachungen ist nach dem vorliegenden Entwurf nicht zu erwarten. Der Gesetzentwurf weitet den Katalog an Straftaten, für deren Verfolgung Telefonate abgehört werden dürfen, erneut aus und streicht nur solche Straftaten, die in der Praxis ohnehin kaum vorkommen.
Heimliche Überwachung von Berufsgeheimnisträgern
Als ebenso löchrig erweist sich nach ihrer Einschätzung der angekündigte Schutz von Berufsgeheimnisträgern. In der Vergangenheit wurden der journalistische Quellenschutz oder das Anwaltsgeheimnis häufig mit Verweis auf eine mutmaßliche Verstrickung, durch Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen Journalisten oder Anwälte unterlaufen. Nun erwägt die Bundesregierung sogar, auf diese Hürde eines Anfangsverdachts zu verzichten und die (heimliche) Überwachung der Berufsgeheimnisträger auch ohne Einleitung eines Ermittlungsverfahrens gegen diese zuzulassen.
Mit dem Gesetzentwurf setzt die Bundesregierung außerdem die umstrittene EU-Richtlinie zur pauschalen Speicherung aller Verbindungsdaten um. Künftig soll für alle Nutzerinnen und Nutzer von Telefonen, Handys, Internetzugängen und E-Mail-Diensten sechs Monate lang gespeichert werden, wer, wann, wie, mit wem, wie lange und von wo aus kommuniziert hat. Will mahnt, dass mit dieser verdachtsunabhängigen Erfassung elektronischer Kommunikationen zentrale Prinzipien des Datenschutzes außer Kraft gesetzt werden. "Die Vorratsdatenspeicherung verstößt gegen den Grundsatz, das personenbezogene Daten möglichst sparsam, nur im erforderlichen Umfang und nur zweckgebunden gespeichert werden dürfen. Weder hat die Bundesregierung geprüft, inwiefern sich das Ziel einer effektiven Strafverfolgung mit weniger datenintensiven Mitteln erreichen ließe, noch hat sie die anstehende Entscheidung des Europäischen Gerichtshofes über die Rechtmäßigkeit der EU-Richtlinie abgewartet. Mit ihrem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf ist sie weit von einer grundrechtsschonenden Umsetzung der europäischen Vorgaben entfernt. Es werden noch mehr Daten bei noch mehr Dienstleistern erhoben, die für weitere Zwecke nutzbar sein sollen, als es die EU-Richtlinie vorsieht." Während die Brüsseler Richtlinie als Zweck der pauschalen Datenspeicherung lediglich die Verfolgung schwerer Straftaten ausgibt, will die Bundesregierung diese Daten auch für die Verfolgung einfacher, mittels Telekommunikationseinrichtungen begangener Straftaten nutzen. Daneben sollen auch die Geheimdienste auf die Kommunikationsdaten zugreifen dürfen. Schließlich plant die Bundesregierung, dass die - zumeist privaten - Anbieter so genannter Anonymisierungsdienste alle Verbindungsdaten ihrer Nutzerinnen und Nutzer speichern müssen. Programme zur anonymen Nutzung des Internets, die jeder auf seinem Rechner installieren kann, gelten nach der bisherigen Rechtsprechung aber als Mediendienste. Nutzerinnen und Nutzer solcher Programme sind nach der EU - Richtlinie nicht zur Speicherung der Verbindungsdaten verpflichtet, da deren Vorgaben nur für Internetzugangsdienste gelten.
Die Humanistische Union hat ihre Kritik an dem Vorhaben bereits Anfang 2007 in einer umfangreichen rechtspolitischen Stellungnahme veröffentlicht und wird das weitere Gesetzgebungsverfahren kritisch begleiten. Um ihre Kritik an der geplanten Vorratsdatenspeicherung zu untermauern, wird die Humanistische Union am 17. September 2007 in Kooperation mit zahlreichen Journalisten- und Medienverbänden in Berlin eine rechts- und medienpolitische Fachtagung anbieten.
Sven Lüders