Lob der Feigheit

(hpd) Feigheit gilt als moralisch negativ, Mut als moralisch positiv besetzt. Dieser Auffassung will der Wiener Wissenschaftstheoretiker Franz M. Wuketits

in seinem - bezeichnenderweise mit „Lob der Feigheit" betitelten - neuen Buch eine andere und gegenteilige Position entgegen setzen.

 

Er argumentiert darin aus der Perspektive der Evolutionstheorie und Soziobiologie, wonach der Einzelne und sein (genetisches) Überleben von zentraler Bedeutung sind. Demgemäss formuliert Wuketits als Motto: „Es wird Zeit, die Feigheit zu loben, weil sie sich, bei näherer Betrachtung, als eine elementare Lebenskraft erweist. Wir haben zu viele tote Helden, aber zu wenig lebende Feiglinge" (S. 7). Feigheit sei immer dann geboten, wenn dadurch Menschenleben beschützt werden könnten. Entgegen den Auffassungen vieler Moralisten, gegen die der Autor sich immer wieder wendet, entspreche Feigheit häufig einer viel realistischeren Einschätzung von Gefahren als Tapferkeit.

Dies will er in den sechs Hauptkapiteln von „Lob der Feigheit" veranschaulichen: Zunächst geht es um das Elend der Mutigen und die problematischen Folgen ihres Agierens und um eine kurze Skizze zu Darwins nicht auf die besonders Tapferen bezogenen Formel vom „Überleben des Tauglichsten". Dem folgen Ausführungen zum Tarnen und Täuschen im Verhalten der Tierwelt und dem Nutzen der Feigheit für das Überleben in der Menschenwelt. Abschließend stehen ein Plädoyer für eine Moral der Feigheit und für den moralischen Individualismus im Zentrum des Interesses. Wuketits meint, Feigheit werde dort zur Tugend, wo sie das eigene Leben schütze und das Leben anderer vor Katastrophen bewahre: „Üben wir uns ... in Feigheit, erheben wir sie zur Tugend, und wir alle werden wahrscheinlich ein längeres und glücklicheres Leben führen können. Lassen wir uns nicht blenden von all den modernen Gurus, die uns eintrichtern wollen, stark müsse man sein, mutig und risikofreudig; überlassen wir all die Propagandisten der ‚neuen Ökonomie' sich selbst und werden wir auf unsere jeweils individuelle Art und Weise glücklich und zufrieden" (S. 157).

Erneut legt der Autor ein überaus informatives und gut verständliches Werk vor, worin Erkenntnisse der Evolutionstheorie und Soziobiologie für die Ausrichtung und das Verständnis menschlichen Handelns aufgearbeitet werden. An einigen Stellen, vor allem in den mittleren Kapiteln, weicht Wuketits etwas von seiner eigentlichen Thematik ab, kommt aber gegen Ende seines Buches wieder auf die inhaltliche Schwerpunktsetzung zurück. In seiner Argumentation betont er immer wieder, dass die Natur in der Frage „Feigheit" und „Mut" neutral sei und die inhaltlichen Bewertungen lediglich Ausdruck menschlicher Moralvorstellungen seien. Wuketits zeigt dabei auch, dass das Verständnis der beiden Werte je nach Situation ganz unterschiedlich eingeschätzt werden kann und hier eine differenziertere Einschätzung hinsichtlich der konkreten Rahmenbedingungen nötig ist. Dazu liefert er auch interessante Deutungen historischer Beispiele wie etwa der Aktivitäten Oskar Schindlers bei der Rettung zahlreicher Juden im Zweiten Weltkrieg.

Mitunter nimmt Wuketits aber eine etwas zu einseitige Einstellung beim Lob der Feigheit und dem Tadel für Tapferkeit ein. Bei einer realistischen Einschätzung der Lage, kann auch mit guten Gründen mutiges Verhalten eingefordert werden. Darüber hinaus geht es auch nicht immer nur um Situationen mit existentiellen Gefährdungen, sondern mitunter nur um verbale Bekundungen der Zivilcourage. Zwar überschreibt Wuketits auch einen Abschnitt seines Buches mit „Zivilcourage", geht dort aber leider auf die damit verbundene Problematik nicht näher ein. Dafür stellt er gegen Ende seines Buchs das „Lob der Feigheit" überzeugend in den Kontext einer Kritik am Kollektivismus und Verteidigung des Individualismus. In der Tat immunisiert eine individualistische Auffassung davor, sich nach Aufforderung interessierter Personengruppen einem angeblich „höheren Ziel" zu opfern. Eine solche Einstellung würde aber nicht zwingend für „Feigheit" stehen. Vielleicht sollte überhaupt die Angemessenheit solcher Begriffe kritischer hinterfragt werden. Wuketits bietet dazu wichtige Anregungen.

Armin Pfahl-Traughber

Franz M. Wuketits, Lob der Feigheit, Stuttgart 2008 (S. Hirzel-Verlag), 186 S., 22,00 €