BERLIN. (hpd) Über die Frage "Wer ist dieser Doctor Who?" kichern immer wieder die Fans der gleichnamigen Serie. Und das sind im Grunde alle, die diese Serie gesehen haben. Denn bist du erst einmal im "WHOniversum" gefangen, willst du nicht mehr zurück.
Doch zurück zur Frage. Sie müsste richtigerweise heißen: "Wer ist dieser Doktor?" oder eben "Doctor Who?". Und damit sind wir genau im Grundthema dieser ältesten Fernsehserie der Filmgeschichte. Seit den sechziger Jahren, genauer seit exakt fünfzig Jahren, stolpert, rennt und kämpft der "Doktor" durch Raum und Zeit und rettet mehr als einmal die Welt vor irdischen und außerirdischen Gefahren. Immer an seiner Seite: Eine Begleiterin – nicht nur Zeugin und "Sidekick" des Doktors, sondern immer in tiefer Verbindung und Verbundenheit mit dem Helden.
Der "ideale Mensch"
"Verrückte Serie!", sagen die einen, "Verrückte Serie!", sagen die anderen. Und beide Seiten haben Recht. Nichts ist normal in dieser Welt. Und trotzdem erscheint die Welt des Doktors als die unsere. Nicht nur, weil wir mehr und mehr ein Teil von ihr werden, sondern auch, weil uns der Doktor so viel mehr als Mensch erscheint, ja, sogar als Erlöser, Erretter oder gar Schöpfer und Beweger. Im Grunde ist der Doktor auch seine eigene Kreatur: sein Körper regeneriert in Situationen größter Not – ein Trick der BBC, um den Wechsel des Hauptdarstellers zu rechtfertigen. Der Doktor ist so sehr der "ideale Mensch", den wir uns wünschen und ersehnen. Traumhaft. Märchenhaft.
Worum geht es? Die Antwort wird wohl kaum verwundern: Es geht um den Doktor, dessen Namen in mittlerweile über 800 Episoden nicht ein einziges Mal genannt wird. Verschiedenste Gerüchte schwirren um das Geheimnis seines Namens – und so ist es ebenfalls nicht verwunderlich, dass sich gerade die letzte Episode "The Name of the Doctor" diesem Mysterium annähert. Der Doktor ist der anscheinend einzig verbliebene "Timelord", einer der mächtigsten und ältesten Spezies des Universums, die sich im letzten "Ewigen Krieg" mit den Daleks, einer durch und durch bösartigen und zerstörerischen Lebensart, fast vollständig auslöschten.
Die BBC-Serie ist ein perfektes Abenteuer durch Raum und Zeit. Durch den Wegfall aller dramaturgischen Grenzen ist es den Machern nämlich möglich, quasi jegliches Genre zu bedienen. So kann man bei "Doctor Who" an sich nicht von einer reinen "Science Fiction"-Serie reden. Sie ist Krimi, Komödie, Tragödie, Abenteuer, Horror, Romanze, Historiendrama und Reiseroman in einem. Im Gegenzug zur amerikanischen Reihe "Star Trek" verzichtet die englische Produktion auf den technologisierten Fokus; so erscheint das Transportmittel des Doktors, die TARDIS, in Form einer für die 1960er Jahre typischen Polizei-Notrufzelle. Diese hat natürlich alles, was eine Raum-Zeit-Maschine benötigt und ist – wen wundert’s? – innen weitaus größer als außen und bildet wiederum in sich eine eigene fantastische Welt.
Die TARDIS – Raum-Zeit-Maschine des Doktors: Von Innen größer als von Außen.
Auf seinen Reisen begegnet der Doktor Freund und Feind, Außerirdischen und höchst irdischen Persönlichkeiten. Immer an seiner Seite: seine Begleiterin, die er scheinbar zufällig für seine Reisen auswählt. Zumeist geht es um nichts Geringeres als die Rettung der Welt, der Zeit oder des Universums. So kämpft der Doktor gegen solche Unholde wie die Daleks, die Cybermen oder die "Weinenden Engel", eine enorm gruselige und gemeine Spezies.
Moral und Wertekanon des Doktors
Klingt bisher spannend und üblich für eine passable Abenteuerserie. Aber was ist das Besondere an dieser Produktion? Es ist der Doktor! Er lässt uns teilhaben an seiner Motivation, an seiner Analyse über Wert und Unwert der Existenz. Der Doktor ist moralische Instanz und zugleich mitten im Geschehen, oft hin und her gerissen zwischen Richtig und Falsch, Gut und Böse. Denn der Doktor ist der größte Fan der Menschheit. Und ihr größter Kritiker. So ist es dem Doktor stets wert, der Erde und ihren Bewohnern beizustehen. Doch erkennt er immer wieder, wie grausam und dumm der Mensch in seiner Gesamtheit ist und wird ebenso oft enttäuscht.
Du bist einzigartig im Universum
Die Serie "Doctor Who" strotzt voller mystischer Wesen, Gottheiten und mythischen Geschichten. Ähnlich wie Star Trek jedoch durchleuchtet und enttarnt der Doktor jegliche irrationalen Legenden und Effekte, nimmt den Protagonisten die Angst vor dem Unbekannten und fordert die vermeintliche Übermacht kollektiver Religiosität heraus, indem er die Stärke des Individuums, die Kraft der Vernunft in den Ring wirft. Dieses Moment wird immer wieder auf höchst dramatische und dramaturgisch brillante Weise thematisiert, so auch in der Folge "The Rings of Akhaten", in der sich der Doktor und seine Begleiterin Clara einem mutmaßlichen Gott entgegenstellen und den Wert des Individuums mit all seinen Errungenschaften, Erinnerungen und Prägungen in die Waagschale werfen. Rührend und trotzdem so kraftvoll wie die Szene erscheint, spiegelt sie genau den humanistischen Wertekanon des Doktors und somit auch den seiner Macher wider:
Humanistic Doctor - Two wonderful scenes from Religioten und Co. on Vimeo.
Die Leichtigkeit und Unbedarftheit des Doktors, aber auch die wunderbare Welt, ihre Bedeutung und ihren Wert, die uns der Doktor aufzeigt, fangen den Zuschauer ein und lassen ihn nicht mehr los. Der Doktor wird zur Identifikationsfigur und zur Essenz menschlicher Güte, menschlichen Handelns und individueller Emanzipation. Empathie, Schmerz, Liebe, Achtung, Güte – dies alles sind Attribute des Doktors, die von den Serienmachern hervorragend und spannend in Szene gesetzt werden.
Nicht nur aber auch wegen des Doktors bin ich "WHOmanist".
Sascha Zirnstein
Mehr Informationen zur Serie unter wikipedia und im Doctor Who-Wiki
Dieser Artikel ist der Auftakt zu einer neuen Serie auf hpd.de. An Freitagen werden verschiedene Autoren ihre Lieblingsserien oder -filme vorstellen, die nicht unbedingt aktuell sein müssen, aber aus humanistischer Perspektive) interessant sein sollten.