Streit um kleine Nackedeis

DUISBURG. (hpd) Unbekleidet spielende Kinder führten im November 2008 zu heftigen Anfeindungen zwischen der Elternschaft und der pädagogischen Belegschaft eines Kindergartens im Duisburger Stadtbezirk Walsum.

 

Ein Bericht von Rainer Maria Liesenfeld

Der Streit um kleine Nackedeis offenbart gesellschaftspolitische Grabenkämpfe, bei dem sich Erziehungs- und Migrationsprobleme mischen. Aufgrund der Eskalation des Streits stellte das Jugendamt Duisburg die Kindergartenleiterin vom Dienst frei. Die komplette Belegschaft wurde versetzt. Der Leiter des Duisburger Jugendamtes, Thomas Krützberg, ließ den Kindergarten für den Monat Dezember schließen, um die Wogen zu glätten.

 

Nach einem Artikel des WAZ-Redakteurs Gerhard Klinkhardt vom 21.11.2008, bezugnehmend auf Informationen des Jugendamts, sei nach den Ferien eine kleine Gruppe Kinder dadurch aufgefallen, dass sie wiederholt nackt über die Flure des Kindergartens sprang. Nach einer Quelle waren es fünf bis sechs Kinder, allesamt aus muslimischen Haushalten. Nach einer anderen Quelle handelte es sich nur um drei Kinder, dabei allesamt aus deutschen Elternhaushalten, ohne Migrationshintergrund.

Die kleinen Nackten fielen einer Mutter beim Abholen ihres Kindes unangenehm auf, so dass es mit der Kindergartenleitung zur Diskussion kam. Die Kindergartenleitung richtete daraufhin mit den Mitarbeitern, nach pädagogischer Besprechung und unter Rücksprache mit den Eltern der „nackten Kinder", einen gesonderten Raum ein. In diesem Raum wurde den Kindern das Nacktsein erlaubt. Die Information der nicht betroffenen Eltern unterblieb.

Daraufhin schaukelte sich eine ideologische Diskussion in der Elternschaft auf. Im Kern lehnte eine breite Mehrheit der Elternschaft den eingerichteten „Nacktraum" ab und forderte die Entlassung des Kindergartenpersonals und der Kindergarten-Leiterin.

"Schamgefühl anderer Kinder verletzt"

Die nackten Kinder, so Jugendamtsleiter Krützberg gegenüber der WAZ, hätten das Schamgefühl anderer Kinder verletzt. Man habe eben nur mit den Eltern der Kinder gesprochen, die nackt herumlaufen wollten. Richtig wäre es aber gewesen, die gesamte Elternschaft zu unterrichten. Ugur Altinsoy, einer der türkischen Väter, wird in einem Artikel auf der Webseite von „Milli Görüs" zitiert: „So etwas hätten wir sowieso nicht akzeptiert."

Mutmaßlich kam es durch die Raumabtrennung auch zur Trennung vormals gemeinsam spielender Kindergruppen. Der Zugang zu diesem Raum scheint den Kindern der konservativen Eltern verwehrt worden zu sein. Das wiederum schien Kindern wie Eltern des konservativen Umfelds nicht geheuer. Namentlich in Erscheinung trat der türkeistämmige Vater Oktay Aksakal. Er benannte die getroffene Regelung als „Pornographie" und machte sich zu einem Sprecher der konservativen Elternschaft.

Von mehreren konservativen Gruppen medial aufgegriffen

Dass es auch Herr Aksakal war, der die muslimische Lobby-Organisation „Milli Görüs" als eine Argumenthelferin verständigte, scheint wahrscheinlich. Auf der Internet-Seite von Milli Görüs
war am 23.11.2008 ein bezugnehmender Artikel mit der Headline zu finden: „Schamloses Projekt eines Duisburger Kindergartens". In diesem Artikel ist die Rede davon, die Kinder seien nackt in einen Raum gesperrt worden.

Milli Görüs ist eine umstrittene Organisation. Wegen betont anti-kemalistischer Äußerungen zum Wiederaufbau eines osmanisch-muslimischen Gottesstaates steht die Organisation unter Beobachtung des Verfassungsschutzes. Ungeachtet dessen lädt Bundesinnenminister Dr. Wolfgang Schäuble (CDU) den „Islamrat" zu den sogenannten Islamkonferenzen, die der Integration zugewanderter Muslime in die deutsche Gesellschaft dienen sollen. Innerhalb des Islamrates gilt Milli Görüs als tonangebend. Gründer von "Milli Görüs" ist der anti-kemalistische Poliker Necmettin Erbakan, seinerseits politischer Ziehvater des amtierenden, als islamistisch geltenden Ministerpräsidenten der Türkei, Recep Tayyip Erdogan.

Einwände, es handele sich bei den Elternprotesten wahrscheinlich um muslimisch-religiös bedingte Ablehnungen der menschlichen Nacktheit, werden in den Internet-Diskussionsforen der WAZ als „rechtsradikale Hetze gegen Ausländer" zurückgewiesen. Ebenso wurde offenbar auf die Redaktion der WAZ hingewirkt, ein Bild auszutauschen, das mit Kopftuch gekleidete Mütter auf dem Weg zum Kindergarteneingang zeigt. Anstatt dessen wurde das gleiche Motiv des Kindergartens verwendet, nun jedoch mit einer offenbar per Bildbearbeitung eingefügten dunkelblonden Frau. Wiederum kurze Zeit später zeigte das Foto zum Artikel nur noch den Kindergarten.

"Übergriff": Dreijähriger berührt Vierjährige an der Brust

Die „deutschen Eltern", so die Aussagerichtung der Forenäußerungen, stimmten überein mit der Auffassung der Eltern mit Migrationshintergrund. Am 25.11.2008 erschien auf der nach eigenem Selbstverständnis orthodox-katholischen Internet-Seite „kreuz.net - katholische Nachrichten" ein Artikel mit der Headline „Kindliche Sexualität - was es nicht alles gibt". RP-online verwendet in einem Artikel das Wort (sexueller) „Übergriff". Ein dreijähriger Junge soll dabei ein vierjähriges Mädchen „an der Brust berührt" haben.

Auf der konservativ-islamkritischen Internetseite „Politically incorrect" findet sich Ende November 2008 die Headline „Nakedei-Affäre: Türke fordert, Behörde spurt". PI-News hat selber ein „pro-amerikanisches" und „pro-israelisches" Eigenverständnis im Sinne der Politik des scheidenden US-Präsidenten George W. Bush. Auf der Seite finden sich neben deutschen Nationalkonservativen auch rechtskonservative und fundamentalchristliche Stimmen. Bindeklammer der Internet-Veröffentlichung ist die Ablehnung eines wachsenden Islam-Einflusses in Europa. In diesem Sinne wird auch das „Multi-Kulti-Konzept" der vormaligen Bundesregierung aus Sozialdemokraten und „Grünen" abgelehnt.

Bewegungskindergarten mit hohem Migrantenanteil

Nachgefragt wird der Kindergarten Josefstraße in Duisburg-Walsum zu über 90 Prozent von Eltern türkisch-muslimischer Herkunft. Der Kindergarten gilt als ein „Bewegungskindergarten". Diese Kindergartenform entstand 2005 als vorbeugendes Konzept gegen die Folgen des zunehmenden Bewegungsmangels bei Kindern und Jugendlichen. Auf die Nutzung und Entwicklung von Haptik, Feinmotorik, Sensorik soll in Bewegungskindergärten großer Wert gelegt werden.

Der Tonangeber des Elternprotests, Oktay Aksakal, war telefonisch nicht auffindbar. Bei der Pressestelle der Stadt Duisburg wollte man über Aksakals Beweggründe „lieber schweigen" und sich „sein Teil denken". Die freigestellte Leiterin des Kindergartens rang am Telefon mit der Fassung. Sie habe nach pädagogischen Maßstäben einem natürlichen, unwichtigen oder unerwünschtem Verhalten durch ein möglichst großes Maß an Nichtbeachtung keine psychologische Verstärkung gegeben.

"Fataler Signalcharakter" in Sachen Frühpädagogik

Die Mehrheit der Elternschaft wollte jedoch weder Kindergartenleiterin noch Kindergartenbelegschaft weiterhin im Amt akzeptieren. Durch die unterbliebene Information gegenüber den thematisch nicht betroffenen Eltern sei das Vertrauensverhältnis zunichte gemacht worden. Die Belegschaft, so heißt es in weiteren Medienberichten, habe zuletzt freiwillig um Versetzung gebeten. Einige Eltern erstatteten Strafanzeige gegen die Belegschaft wegen mutmaßlicher Verletzung der Fürsorge- und Aufsichtspflichten. Kinderpsychologische Fachstimmen wie diejenige von Dieter Greese, dem Vorsitzenden des Kinderschutzbundes Nordrhein-Westfalen, scheinen die konservative Mehrheit der Eltern nicht überzeugt zu haben. Denn kurz vor der vorläufigen Schließung des Kindergartens kamen von 120 Kindern nur noch 40 in die Einrichtung.

Vor dem Hintergrund der in Duisburg-Marxloh eröffneten Großmoschee zeichnen sich Konflikte zwischen unterschiedlichen Traditionen und Werte-Verständnissen ab. Von Beobachtern des Geschehens wird ein politischer Grundsatzkonflikt in der bisherigen Integrationspolitik benannt. Einige Stimmen sprechen von einem fatalen Signalcharakter für das öffentliche Erziehungswesen. Es deute sich eine Rückentwicklung der Pädagogik und Frühpädagogik in die deutschen 1950-er Jahre an. Anja Huntgeburth, Sprecherin der Stadt Duisburg, wird in einem Artikel von rp-online jedoch zitiert, die Erzieherinnen hätten „zu 68-er-mäßig" gedacht. Widersprüchlich bleiben vorerst die Informationen über den eigentlichen Charakter des eingerichteten „Nacktraumes". Einmal ist von Jugendamtsseite von einem bewussten pädagogischen „Projekt" die Rede. Dann wiederum verflüchtigt sich der "Projektcharakter" in einer Mutmaßung der Massenmedien.