Bewusstsein und Ich

SCHNEY. (fa/hpd) Implikationen neuer Erkenntnisse über Gehirn und Geist für Gesellschaft und Mensch, so der anspruchsvolle Titel der diesjährigen Tagung der FREIEN AKADEMIE e.V., vom 21. bis 24. Mai in der Franken-Akademie auf Schloss Schney. Dabei ging es um neurowissenschaftliche Erkenntnisse in philosophischer Reflexion.

Der Inhalt, weitgehend praxisnah, war geschickt zusammengestellt von der wissenschaftlichen Tagungsleiterin Dipl.-Psych. Renate Bauer, Ludwigshafen, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats und Landessprecherin der Pfälzer Freireligiösen.

Mit dem Beitrag Entwicklung und Störungen des menschlichen Bewusstseins aus neurowissenschaftlicher Sicht eröffnete der Psychologe Prof. Dr. Hans Markowitsch, Bielefeld, die Tagung. Er machte die Fähigkeit „ich“ sagen zu können, zum Ausgangspunkt für das Entstehen des Bewusstseins, ohne dabei das Phänomen Ich näher zu behandeln. Dagegen stellte er für das Bewusstsein im engeren Sinne fest, dass es einerseits von der Hirnentwicklung und andererseits von den Emotionen abhängig ist. Danach ging er ausgiebig auf die Charakterveränderungen durch Stirnhirnbeschädigungen ein sowie auf die ethischen Probleme bei der Modifizierung von Persönlichkeit durch Gehirnschirugie. Schließlich konnte er nachweisen, dass nicht nur die frühkindlichen Eindrücke das Bewusstsein prägen, sondern darüber hinaus auch alle weiteren Erfahrungen unser Gehirn verändern.

Danach befasste sich der Philosoph Prof. Dr. Thomas Zoglauer, Cottbus, mit der Frage Sind Freiheit und moralische Autonomie eine Illusion? Mit dem Hinweis, dass moralische Entscheidungen, - im Unterschied zu ethischen (Anmerkung des Rezensenten), - emotional, nicht kognitiv bestimmt sind, thematisierte er den neuronalen Determinismus. Unter dieser Prämisse ging er der Frage nach, ob der menschliche Wille autonom oder determiniert sei, um dann die Willensfreiheit als wünschenswertes ethisches Prinzip zu postulieren.

Der Traum als Weg zum Bewusstsein, lautete der darauf folgende Beitrag des Psychologen und praktizierenden Kognitiven Verhaltenstherapeuten, Prof. Dr. Peter Glanzmann, Mainz. Ausgangspunkt waren die drei Fragen: Was ist das Bewusstsein? Was sind Träume? Wie erhalten wir über Träume Zugang zu unserem Bewusstsein? Das Bewusstsein sieht Glanzmann identisch mit Menschsein und es wird gebildet von Emotionen, Kognitionen sowie Verhalten. Gleichzeitig sieht er es als einen dynamischen Prozess. Bei den Träumen geht es um Wunscherfüllungen, vorwiegend erotischer Art, aber auch Machtbessenheit spielt eine Rolle. Bezogen auf Sigmund Freud, bemerkte er, dass der Beischlaf im Traum zum Marathonlauf wird. Das Phänomen Ich wird überzeugend als nicht lokalisierbar dargestellt und ist stetigem Wandel unterworfen. Dabei wird keinen Zweifel daran gelassen, dass es sich niemals um eine „freischwebende geistige Entität“ handeln kann, sondern der Geist den Körper als Trägerschicht benötigt.

Spannend dann der sehr gut strukturierte Vortrag von Priv.-Doz. Dr. Reinhard Margreiter, Berlin, Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats, Annäherungen an das Phänomen der Mystik. Der Begriff Mystik leitet sich ab von myein = die Augen schließen und bezeichnet eine besondere Bewusstseinserfahrung. Der Referent begann zunächst mit einer Aufarbeitung der Gesamtthematik in 10 Schritten: 1. All-Einheit und Ich-Entgrenzung; 2. Identität von Sein und Nichts; 3. Transkategorialität; 4. Das Moment von Liebe und Ekstase; 5. Metanoia (Verwandlung); 6. Gelassenheit; 7. Augenblicklichkeit und Unverfügbarkeit des Erlebens; 8. Zwei Erlebnisformen, eine spontane und eine, sich in drei Schritten vollziehende, die näher zu beschreiben sind: askesis = ein inneres Leerwerden, photismos = Erleuchtung (Erkennen der Möglichkeit einer Alternative), henosis = die geheimnisvolle – gedanklich paradoxe aber auch emotional aufgeladene – Vereinigung von Ich und Nicht-Ich; 9. Das Kommunikations- und Mitteilungsproblem (aufzulösen mit religiösen Metaphern und der nonverbalen Sprache der Kunst); 10. Intendierte Symbollosigkeit. Es handelt sich dabei um die – wie Meister Eckhart formuliert – Negation von Bild und Weise. Hierauf aufbauend kommt es zu dem Beweis, dass der Bereich der Mystik sich nicht auf Religion allein beschränkt, sondern sich auf die Kunst erweitert. Dafür stehen besonders die Maler Paul Klee und Wassily Kandinsky, die Dichter Paul Celan und Peter Handke sowie der Dichterphilosoph Friedrich Nietzsche, aber auch Ernst Cassirer, um nur die wichtigsten anzuführen. Margreiter gelang damit in bestechender Weise, den auf Robert Musil zurückgehenden Begriff einer „Taghellen Mystik“ begreifbar zu machen.

Sehr konkret und besonders aktuell dann, Prof. Dr. Walter Ötsch, Linz, - ebenfalls Mitglied des Wissenschaftlichen Beirats, - zu dem Thema Das Bewusstsein des Homo Oeconomicus. Hier ging es hauptsächlich um den Verlust des moralischen Bewusstseins als Ergebnis einer pervertierten Wirtschaftsauffassung, welche sich aus der Theorie der Neoklassig und dem darauf folgenden „Thatcherismus“ entwickelte. Die so genannte Selbststeuerung der Wirtschaft, als etwas Positives zu betrachten, hat sich als eine Utopie herausgestellt, denn im Endergebnis dient sie gegenwärtig wahrscheinlich nur ethisch indifferenten Hasardeuren ihre egoistische Ziele zu verfolgen. Ötsch bedauert, dass die Linke, - und besonders die Sozialdemokratie, - dieser Entwicklung scheinbar ohnmächtig gegenübersteht, unfähig Alternativen zu entwickeln, wie sie notwendig wären um die derzeitige Krise zu bewältigen.

Den Abschluss bildeten die Thesen von Prof. Dr. Franz Josef Wetz, Schwäbisch Gmünd Kränkende Wissenschaft - Der lange Abschied großer Selbstbilder. Diese Thesen wurden im Akademieforum reflektiert und weitgehend zurückgewiesen. Die Erkenntnisse der Wissenschaft, so der Tenor, sind nur für diejenigen kränkend, deren Bewusstsein durch falsche Illusionen, - meist Folgeschäden durch Religion und Metaphysik, - belastet ist. Für einen freien Geist sind sie eher beruhigend und befreiend und führen keineswegs zur Kränkung – viel eher zu Gelassenheit. Die These, dass Wissenschaft keine Sinnerwartungen erfüllen kann, fand dagegen ungeteilte Zustimmung.

Die Beiträge werden in einem Tagungsband zusammengefasst und veröffentlicht.

Erich Satter