Genial, tiefgründig und amüsant...

(hpd).... - Die Schrecken des Paradieses. „Für die Illusion eines Lebens nach dem Tod zahlt man stets mit dem Leben.“ Esther Vilar malt mit schonungsloser, atemberaubender Konsequenz aus, wie lebenswert das ewige Leben wäre.

Da nach ihrer Einschätzung ca. 95 Prozent der Menschheit an ein Leben nach dem Tode, an ein ewiges Leben, glauben, lohnt es sich durchaus, dieser Frage einmal nachzugehen. Verwunderlich eher, dass dazu nicht bereits massenweise Literatur existiert.
Grundlage von Vilars Argumentation ist die Todesangst jedes Menschen, die so selbstverständlich ist, dass sie kaum je thematisiert wird. Allerdings führt diese Todesangst uns Menschen in diverse „Überlebensversicherungskonzerne“, die ihren Anhängern diesseitig viel Zeitaufwand und Energie abfordern, um jenseitig mit „möglichst umfassenden Komfortgarantien anzutreten“. Nicht nur das: Die Überlebensfachleute verlangen, dass wir mit allem zahlen, was wir besitzen, „mit unserer Individualität, unserer Freiheit, unserer Freude am Leben“, und dafür sollen wir gelegentlich auch andere töten, die nicht Mitglied unseres speziellen Überlebenskonzerns sind. Unsere Lebenswelt ist also, meint Vilar, ein „gigantisches Narrenhaus“, in dem wir in ständiger, berechtigter Sorge vor religiös bedingten Lebensverkürzungen unser Dasein fristen.
Und wofür? Für die unbescheidenste aller Annahmen, diese phänomenale Selbstüberschätzung, man sei zu wertvoll, um zu vergehen!
Nach dem plastischen Problemaufriss geht Esther Vilar an die Untersuchung der angebotenen Lösung, welche verspricht, die Angst vor dem Tode zu nehmen: Das Ewige Leben, das Paradies.
Dieses Paradies ist anthropozentrisch, denn es soll ja vorstellbar sein und unseren hausbackenen Wünschen entsprechen. Denn wir erträumen uns ja mehr oder weniger das, was wir schon auf Erden ersehnten. „Alles wie daheim, nur eben viel, viel schöner.“
Gott existiert dort, klar – gehen wir doch konsequenterweise für dieses Gedankenspiel davon aus, dass eine Prämisse, die nicht wahr sein kann, der Überprüfung halber doch wahr ist. Beiläufig zerpflückt Vilar auf ihrem Weg durch das Paradies die eine und die andere religiöse Anmaßung („Obwohl das Verb glauben eine Umschreibung für nicht wissen ist, tut man stets so, als wisse man alles“).
Und so präsentiert uns Esther Vilar eine überraschende Wendung nach der anderen. Gott ist lieb, allwissend und allmächtig, denn ein ohnmächtiger, uninformierter, cholerischer Gott wäre ja ein Wesen wie man selber. Das Jüngste Gericht verläuft grundanders, als man landläufig denkt. Gerechtigkeit bezieht sich auf Geschlecht, Alter, Aussehen, Besitz, Gesundheit. Die Engel sind tugendhaft und gut, Sex hat man, mit wem man will, Eifersucht gibt es nicht – im Paradies, als Engel, ist man endlich frei! Es gibt nichts mehr, wofür sich zu kämpfen lohnte. Das Paradies ist perfekt.
Nachdem die Frage der Tierhaltung, der Wohnungseinrichtung und des Sexualverhaltens der Engel geklärt ist – und immer wieder gelingt Vilar eine vorausschauende Replik auf mögliche Einwände –, stellt sich logischerweise heraus, dass die paradiesische Küche vegetarisch sein muss.
Nun kann der Engel endlich reisen, ewiges lebenslang lernen, Sport treiben, Medien konsumieren und gestalten, Kunst machen, Religionen huldigen – für all diese Zeitvertreibe hat man (un-)endlich einige Jahre oder Jahrmillionen Zeit, ewig eben.
Warum diese Zeitvertreibe auf Dauer nicht funktionieren können, was alles im Paradies fehlt und weshalb der Fromme irgendwann „seinen Herrgott auf Knien bäte, (das Paradies) wieder abzuschaffen“, ist ein derart intellektuelles und die Lachmuskeln anregendes Vergnügen, das man es sich auf jeden Fall gönnen sollte!
Doch damit nicht genug: Esther Vilar zeigt uns einen Weg, wie wir uns ein Paradies auf dieser Welt schaffen können, ein Paradies, welches bislang zu einem guten Teil an jenen scheitert, „die an ein Paradies im Himmel glauben und alles tun, um eines Tages dort zu leben.“ Sie untersucht verschiedene philosophische Richtungen – Epikureismus, Buddhismus und Stoizismus – in Bezug auf ihre Brauchbarkeit als Sterbensangsttherapie und entwickelt schließlich einen eigenen Vorschlag, wie wir unser Leben so gut als möglich gestalten können.
Ein ethisch denkender Mensch darf sich keinesfalls einer Religion unterwerfen, die mit ewigem Höllenfeuer droht, wie Michael Schmidt-Salomon bereits in seinem Roman Stollbergs Inferno ausmalte. Deshalb, so formuliert er in seinem Nachwort, stellt Vilars Entwurf eines besseren und einmaligen Lebens für ihn eine „Liebeserklärung an das Leben“ dar.

Fiona Lorenz

 
Esther Vilar: Die Schrecken des Paradieses. Wie lebenswert wäre das ewige Leben? Mit einem Nachwort von Michael Schmidt-Salomon. 139 Seiten. Alibri März 2009.
 
Das Buch ist auch im denkladen erhältlich.