(hpd) Ursula Nuber, Psychologin und stellvertretende Chefredakteurin von Psychologie Heute, hat einen nützlichen Ratgeber verfasst, mit dessen Hilfe man unerquickliche Aspekte der Kindheit hinter sich lassen und sein Leben auf diese Weise befreit gestalten kann, ohne sich weiterhin selbst im Wege zu stehen.
In zehn Kapiteln beschreibt Nuber die Prozesse der Problementstehung, der Erkenntnis und der Lösung. Jeder Mensch kann auf Grund von Kindheitserfahrungen Probleme entwickeln, auch jene, die nicht misshandelt oder missbraucht wurden. Soweit so pauschal, denn eine perfekte Kindheit gibt es nicht. Allerdings überzeugen Nubers Beispiele, denn tatsächlich kommt es darauf an, wie man später im Leben auch mit üblen Kindheitserfahrungen umzugehen lernt. Tendenziell neigt der Mensch dazu, besonders in Stresssituationen ungünstige Kindheitsmuster zu aktivieren und auszuagieren. Wie man sich durch diese Kindheitserfahrungen erlernte Muster, Selbstzuschreibungen, Glaubenssätze und – damit eng verbunden – den Lebensverlauf diktieren lässt und immer wieder die gleichen unangenehmen Erfahrungen macht, stets in die selben Löcher hineinfällt oder aber sein Heft selbst in die Hand nimmt, das Drehbuch umschreibt und sich Gutes gönnt, das wird in diesem Buch gut nachvollziehbar dargelegt.
Die eigene Lebensgeschichte umschreiben
Ursula Nuber zeigt, wie es gelingen kann, die eigene Lebensgeschichte umzuschreiben, indem man eben die erlernten Muster, Glaubenssätze und Selbstzuschreibungen identifiziert und sich angewöhnt, diese in Frage zu stellen. Sie zeigt, wie die Vergangenheit neu interpretiert werden kann als Geschichte der Stärke und nicht (bloß) des Opfertums. Sie zeigt, wie man lernen kann, sich selbst das zu geben, was man als Kind entbehrte. Der letzte, notwendige Schritt besteht laut Nuber schließlich darin, die Eltern als Menschen im Kontext sehen zu lernen und ihnen zu vergeben, um sich von ihrem Einfluss zu befreien.
Sie erzählt von einem Mann, dessen Mutter ihn von klein auf stets wissen ließ, dass er ja schüchtern sei und der diese Zuschreibung in sein Selbstkonzept übernahm. Irgendwann stellte er diese Zuschreibung in Frage und überwand seine Schüchternheit.
Die Beispiele, die Nuber anführt, kommen sowohl aus ihrer psychotherapeutischen Praxis und von Prominenten, von Menschen, die gescheitert sind, als auch von jenen, die es schafften, ihre zum Teil entsetzliche Kindheit abzuschütteln und ihr Leben selbst in die Hand zu nehmen. Sie bezieht aktuelle Ergebnisse der Hirnforschung ein und belegt, dass Kindheitstraumata zwar Spuren im Gehirn hinterlassen, die Hirnstruktur aber mittels positiver Erfahrungen verändert werden kann. Als hilfreich für diesen Prozess empfiehlt Nuber respektvolle und aufbauende Erfahrungen mit anderen Menschen oder aber Psychotherapie, während derer angenehme Lebenserfahrungen den alten Interpretationen gegenübergestellt werden und diese relativieren.
Veränderte Betrachtung verändert die Dinge
Der Ausblick, den Ursula Nuber bietet, verspricht: Der Abschied vom Opfertum und dem Hadern mit seinem Schicksal sowie der unveränderbaren Vergangenheit setzt Energien frei, die für Gegenwart und Zukunft nutzbar werden. Besonders passend erscheint hier ein Zitat von Wayne Dyer: „Wenn wir die Art und Weise verändern, wie wir die Dinge betrachten, werden sich die Dinge, die wir betrachten, verändern.“ (S. 166)
Das Buch bietet gelegentlich überraschende Wendungen, etwa indem der Einfluss ungünstiger Kindheitserlebnisse auf einen dramatischen Lebensverlauf anhand etlicher Beispiele konstatiert wird, nur um diese Zwangsläufigkeit anhand anderer Beispiele wieder aufzuheben. Es ist leicht, verständlich und nachvollziehbar zu lesen, wenn auch, wie häufig in Ratgebern, manche Aussagen wiederholt und wiederholt werden. Das Buch hebt sich angenehm ab von der reißerischen Selbstverwirklichungsliteratur, die da verheißt: Nach der Lektüre dieses Buches wirst du morgen früh als Glückspilz aufwachen! Sondern unaufgeregt weist Nuber auf den potenziell erforderlichen langen Atem und unangenehme, aber leider notwendige Schritte zum freieren Dasein hin.
Insgesamt ist das Buch ein förderlicher Leitfaden für jene Menschen, die sich bislang wenig mit kindheitsbedingten Ursachen ihrer Lebensprobleme befasst haben – und selbst für alte Psycho-Hasen mag es noch die eine oder andere Neuigkeit bergen.
Fiona Lorenz