Warum Affen für die Liebe zahlen

„Aber man kann nicht alles haben, die Evolution ist kein Wunschkonzert.“

Auch Tierarten, die besonders angepasst und erfolgreich erscheinen, haben mit beträchtlichen Hindernissen zu kämpfen. Schlangen seien zwar ausgezeichnete Jäger, aber während sie ein sehr großes Essen runterschluckten und auch danach, seien sie unbeweglich und wehrlos. Das würden Hyänen nutzen, die dann die Schlange und das von ihr gefressene Tier im Doppelpack verspeisen. Verschlingen die Schlangen eine besonders große Beute, dehnen sich ihre inneren Organe aus und auch das Herz müsse sich wegen eines erhöhten Sauerstoffbedarfs weiten und enorme Arbeit leisten. Viele Schlangen würden nach der Mahlzeit daher einfach am Herzinfarkt sterben. Zwar erreiche der Wärmesinn der Schlangen eine für Menschen unvorstellbare Präzision, die mit einer Genauigkeit im zweistelligen Kommabreich brilliere. Trotzdem werden die Schlangen von Erdhörnchen ausgetrickst. Diese könnten erkennen, mit welcher Schlangenart sie es zu tun hätten und erzeugten durch das Schlagen mit ihrem Schwanz Wärme, sodass sie der Schlange größer und gefährlicher vorkämen. Bei Schlangen ohne Wärmewahrnehmung warnen die Erdhörnchen aber ihre Artgenossen. Selbstverständlich stehen Schlangen mit solchen Ambivalenzen nicht allein da: Der Winterschlaf beschere dem Ziesel fortgeschrittene Demenz und Amnesie, während er ihnen zugleich das Überleben erst ermögliche.

Nach Zurkenntnisnahme der zahlreichen „Fehlgriffe der Natur“ gewinnt die kreationistische Behauptung eines „intelligent design“ eine völlig neue Dimension der Absurdität.

„Die Evolution stellt nicht immer sinnvolle Dinge an“

Nicht nur Menschen, auch Tiere seien Gourmets. Nur des Geschmacks wegen nehmen Ratten unnötige Risiken und Strapazen auf sich. Hyänen an der Küste Namibias würden Robbenbabys nur töten, um deren Gehirne zu fressen. Schwertwale an der Monterey Bay würden Grauwalbabys töten und nur deren Zungen verspeisen. Davon hätten sie keine Vorteile. Sie pflegten einfach auch einen Hedonismus. Ähnlich verhalte es sich mit dem „Drogenkonsum“ von Affen.

Was bedeutet diese Perspektive für Menschen?

Der Begriff „Primaten“ bedeute „Herrentiere“, was Zittlau für eine Selbstüberschätzung erachtet, die suggeriere, dass der Mensch die „Spitze der Evolutionshierarchie“ bilde. Dem hält er entgegen, dass sich die Intelligenz der Spezies Mensch deshalb entwickeln musste, weil die Vorfahren der Menschen, als sie die Bäume verließen, allen vierbeinigen Räubern unterlegen waren. Wäre die Intelligenz nicht als Antwort auf diesen Nachteil entstanden, gäbe es keine Menschen. Ob sie ein sinnvolles Rüstzeug darstellt, lasse sich noch gar nicht beurteilen, da es sich bei ihr um ein evolutionsgeschichtlich junges Modell handele. Auch seien die Zerstörungen, die durch die Menschen verursacht werden, ein großes Risiko für die Erde insgesamt.

Im letzten Kapitel mutmaßt der Autor – er behauptet aber nicht – dass die Kultur als Kompensation von Pleiten und Pannen entstanden sein könnte. Dabei bezieht er sich auf Johann Gottfried Herder, der den Menschen für ein „Mängelwesen“ erklärte, das sich wegen der Härten der Natur eine „zweite Natur“ geschaffen habe. Von dieser Überlegung ausgehend meint Zittlau, dass die gesellschaftliche Entwicklung evolutionären Regeln nicht unterliege, wie er in „Warum Robben kein Blau sehen und Elche ins Altersheim gehen. Pleiten und Pannen im Bauplan der Natur“ erläuterte. Kulturelle Phänomene bezeichnete er dort als „bionegativ […]“ und prangerte die Übertragung von evolutionären Prinzipien auf menschliche Gesellschaften als Sozialdarwinismus an.

Die Akzentverschiebung auf Pleiten und Pannen empfindet der Autor als tröstlich, da sie es ermögliche, „die zahlreichen Fehler und Irrtümer als notwendige Etappen des Fortschritts [zu] interpretieren“. Dogmatisch will Zittlau nicht verstanden werden: alles gelte, bis es wiederlegt werde und der Blinddarm habe doch einen Sinn – auch wenn er zugleich ein Risiko darstellt…

Fazit

Besonders empfohlen werden kann das Buch allen, die an einer unterhaltsamen und spannenden Lektüre über die Unvollkommenheit von tierlichen und menschlichen Lebewesen ihre Freude hätten – die angeführten Beispiele bilden lediglich einen Bruchteil aller Schilderungen. Zum genussvollen Lesen ist weiter die Bereitschaft erforderlich, sich nicht von der Entthronung des Homo sapiens stören zu lassen sowie sich von der Annahme der Perfektion in der Natur zu verabschieden. Aber auch wer Zittlaus Überlegungen zur kulturellen Entwicklung nicht teilt, dürfte sich amüsieren und viel Neues erfahren, weil es dem Biologen hauptsächlich um biologische Phänomene und nicht um Kultur geht.


Katharina Eichler

Jörg Zittlau, Warum Affen für die Liebe zahlen. Noch mehr Pleiten und Pannen im Bauplan der Natur, Berlin 2009 (Ullstein Buchverlage GmbH), 199 S., 7,95 €