Im Labyrinth der Willensfreiheit

 

Mensch als MarionetteDie Macht der Willens-Unfreiheit

Michael Schmidt-Salomon betont in seinem neuen Buch Jenseits von Gut und Böse, wie ungemein wichtig es wäre, wenn wir endlich aufhören würden, an die Willensfreiheit zu glauben. Es gibt allerdings gute, empirische Gründe, das ernsthaft zu bezweifeln. Die Akzeptanz der Willensunfreiheit – richtig verstanden und als solche – hätte praktisch keine Auswirkungen auf die Gesellschaft, insofern sie, und diese Gefahr ist leider sehr groß, nicht falsch vermittelt wird. Es gibt also fast nichts zu gewinnen und sehr viel zu verlieren. Unter der Überschrift Willensfreiheit erzielen die gegnerischen Teams außerdem Punkte, die nichts mit dem eigentlichen Spiel zu tun haben. Es ist so, als würden zwei Mannschaften bei der Weltmeisterschaft im Tischtennis lieber Völkerball spielen.

Die Nichtexistenz Gottes, sowie die Nichtexistenz eines metaphysischen Bösen – auch Themen des Buches –, haben dagegen reale Auswirkungen auf die Welt. Akzeptierten die Menschen diese und die Gründe dafür, dann gelangten sie irgendwann selbst zu der Schlussfolgerung, dass ein nicht-kausaler freier Wille ebensowenig existieren kann.

 

In- versus Kompatibilismus

Der begeisterte Freier-Wille-Bestreiter Thomas Clark vom Center for Naturalism glaubt noch mehr als Michael Schmidt-Salomon an die Bedeutung der Willensunfreiheit. Er wird allenfalls noch von Alex Rosenberg dabei übertroffen, der einfach alles über die menschliche Psyche bestreitet, was man irgendwie bestreiten kann (oder auch nicht). Rosenberg zufolge funktioniert unser Gehirn (wir) keineswegs "auf Grundlage von Glaubensannahmen, Bedürfnissen, Gedanken und Hoffnungen, Ängsten und Erwartungen". Er glaubt außerdem, dass die Ergebnisse historischer Wissenschaften lediglich Konstrukte unseres Gehirns sind und nichts aussagen über die objektive Realität. Laut Clark und Schmidt-Salomon (die so etwas nicht glauben) würde die Willensunfreiheit zumindest unser Selbstbild und unser Bild von anderen Menschen, unser Bild von überhaupt allem, grundlegend verändern. Rache und Schuld wären sinnlos, Vergebung erste Wahl, das Strafrecht müsste reformiert werden und wir bräuchten uns nicht mehr über menschliche Schwächen und Verbrechen aufzuregen, weil sie im Prinzip dasselbe sind wie Naturkatastrophen.

Diese inkompatibilistischen Interpretationen der Willensunfreiheit habe ich in einem früheren Artikel mit der Behauptung verglichen, wir wären alle von Dämonen besessen, die uns wie Marionetten tanzen lassen. Leider entstand daraus das Missverständnis, ich würde an irgendeine Art von nicht-kausalem freien Willen glauben. Keineswegs. Ich bezweifle lediglich, dass die Willens-Unfreiheit die Konsequenzen hätte, welche die Inkompatibilisten für sie behaupten.

Gemeinsame Grundlage der diskussionswürdigen Positionen zur Frage nach der Willensfreiheit ist der Determinismus.

Determinismus: Laut dem kausalen oder physikalischen Determinismus funktioniert die Welt auf Grundlage von Ursachen und ihren Folgen. Alles, was geschehen ist, musste exakt so geschehen, wie es geschehen ist. Die Wahrheit des Determinismus ist eine empirische Frage, die man noch nicht beantworten kann. In der Wissenschaft wird als Ergänzung zum Determinismus der echte Zufall vertreten (im Gegensatz zum scheinbaren Zufall im deterministischen Chaos).

Ich selbst bin kein Determinist mehr, sondern meine, dass in bestimmten Phänomenen der Quantenwelt ein echter Zufall anzutreffen ist, allerdings glaube ich auch, dass unsere Gehirne deterministisch funktionieren und dass diese Quantenphänomene sie nicht entscheidend betreffen. Das denke ich, weil unsere Gehirne zu heiß sind und die Nervenleitbahnen zu groß, als dass ein echter Zufall hier Wirkung zeigen könnte. Zudem gibt es keine empirischen Belege für die Wirkung des Zufalls in unseren Gehirnen. Das ist die Position des Physikers Victor Stenger, die ich überzeugend finde und sie übernehme.

Zufälliger Wille (Sonderfall): Ein Wille, der auf einem echten (nicht-deterministischen) Zufall beruht. Im Extremfall würde eine Roulettekugel – insofern sie sich akausal verhält wie ein Photon in bestimmten Experimenten – über unser Leben entscheiden und über alles, was wir tun. Ob wir beim Laufen einen Fuß vor den anderen setzen oder ob wir uns stattdessen im Kreis drehen und dann umfallen, wäre alleine vom Zufall abhängig. Wir könnten ebenso das eine tun, wie das andere. Diese Haltung wird von Philosophen vertreten, die glauben, dass die oben genannten Quantenphänomene auf relevante Weise unser Gehirn betreffen.

Der Philosoph Robert Kane vertritt zum Beispiel die Position, dass der echte Zufall unser Verhalten beeinflusst, was aber trotzdem keine sinnlosen und irrationalen Handlungen zur Folge habe (z.B. im Kreis drehen und umfallen). Ganz im Gegenteil: Ihm zufolge geben uns Quantenprozesse eine echte Freiheit, laut der wir eigene Entscheidungen treffen können, die weder determiniert, noch rein zufällig sind. Allerdings ergibt Kanes Position überhaupt keinen Sinn, da unklar bleibt, woher auf einmal diese echte Freiheit kommen soll. Aus zufälligen Quantenprozessen resultiert sie wohl kaum.

Und hier die (vereinfachten) Positionen, die klassischerweise zu der Frage nach der Willensfreiheit vertreten werden:

1. Kompatibilismus: Die These, dass Willensfreiheit und Determinismus vereinbar sind.

2. Inkompatibilismus: Es gibt keine Freiheit, weil der Determinismus wahr ist.

3. Libertarismus: Es gibt Freiheit, weil der Determinismus falsch ist.