Im Interview: Max Kruse.
Von Patricia Block.
Wer in den 60er- und 70er-Jahren in der Bundesrepublik aufgewachsen ist,
kennt das Urmel ganz sicher, ein kleines freches Urviech, das Professor Tibatong aus einem tiefgefrorenen Ei ausbrüten lässt. Nebenbei beweist er damit noch eine wissenschaftliche (Evolutions-)Theorie, für die er öffentlich verlacht wird. Kinder in der DDR kannten das Urmel nur, wenn sie die Filme der Augsburger Puppenkiste im Fernsehen empfangen konnten. Urmel-Vater Max Kruse, Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung, wird am 18. November 85 Jahre alt. Diesseits-Redakteurin Patricia Block sprach mit dem „Geburtstagskind“.
Diesseits: Lieber Herr Kruse, Sie werden jetzt 85 und werden immer noch auf Ihr Elternhaus angesprochen, schließlich sind Sie der Sohn der weltberühmten Puppenschöpferin Käthe Kruse und des Bildhauers Max Kruse. Ist das ein wenig lästig?
Kruse: Kaum. Im Gegensatz zu vielen anderen Kindern berühmter Eltern habe ich darunter nie gelitten. Meinen Vater habe ich so gut wie nie gesehen, er war 30 Jahre älter als meine Mutter und schon 68, als ich geboren wurde. Er lebte und arbeitete in Berlin und auf Hiddensee, meine Mutter baute ihre Firma in Bad Kösen auf.
Es war auch für die damalige Zeit ungewöhnlich, dass Ehepartner so getrennt ihrer Passion nachgehen. Nur hatte meine Mutter das ursprünglich ja gar nicht in ihrer Lebensplanung. Dass sie plötzlich Puppen herstellte, war doch ein Zufall. Und für meinen Vater war es wohl auch ein schmerzliches Erlebnis, finanziell war er zwar die Sorge für die Familie los, aber andererseits war er früher der berühmte Künstler gewesen und ein paar Jahre später sah man in ihm nur noch den Mann von Käthe Kruse.
Im Katalog der Kruse-Puppen findet man einen Max. Muss man Sie sich so als Kind vorstellen?
Nein, nein das hat nichts mit mir zu tun.
Aber haben Sie denn mit den Puppen Ihrer Mutter gespielt?
Auch da muss ich sie enttäuschen. Ich hatte wohl eine Puppe, aber sie spielte für mich keine Rolle. Es gab einfach zu viele Puppen bei uns, vor allem in den Werkstätten. Sie waren für mich zu selbstverständlich, nichts was ich mir wünschen musste.
In ihrer Biografie liest man, dass Ihre Mutter schon in Ihrer Kindheit beschlossen hatte, Sie sollten Dichter werden. Hat sie so entschieden Ihren Lebensweg vorausbestimmt?
Meine Mutter hat natürlich nicht „beschlossen“, dass ich „Dichter“ werden sollte, wer könnte so etwas schon, aber sie hat sicher entsprechende Ansätze in mir entdeckt, hat sich darüber gefreut, da ihr die Literatur sehr viel bedeutet hat, und sie hat mich gefördert, hat mir viel vorgelesen und mir jede Menge Bücher geschenkt. Es war also mehr ein Wunsch. Lebenspraktisch wie sie war, hat sie ja dann auch auf einem Studium bestanden. Dass dieses durch die Kriegsereignisse abgebrochen werden musste, steht auf einem anderen Blatt. Sie hätte mich gern als „Dr.“ gesehen, nicht unbedingt als Arzt, aber doch als Akademiker. Dass ich einmal in einem Museum arbeiten könnte, hatte sie wohl auch gedacht, denn ich hatte früh eine Neigung zum Sammeln und zum Ordnen.
Sie schreiben in Ihren Erinnerungen von der Odenwaldschule. Hat sie diese Schule geprägt?
Ich war nur im Kindergarten dort, und viel später einmal ‚auf Probe’ wenige Monate. Einige meiner Geschwister waren aber langjährige OSO Schüler, von daher spielte diese Schule immer eine große Rolle in unserer Familie. Ich war als Kind sehr kränklich und daher fast meine gesamte Kindheit vom regulären Schulbesuch befreit, hatte erst ab dem 15. Lebensjahr kurzfristig drei Hauslehrer. Davor war ich anderthalb Jahre lang ich in einem Kinderheim in den Schweizer Bergen, später noch einmal im Allgäu. Da in Bad Kösen und Naumburg, wo unsere Familie lebte, keine höhere Schule gab, waren Heime und Internate für meine viel verreiste Mutter wohl das gegebene, ihre Kinder gut unterzubringen. Und das Konzept der Odenwaldschule – freiheitlich, musisch, kreativ - passte zu uns. Meine Eltern hatten ja sehr spät geheiratet, sie waren eher unbürgerlich, wollten zunächst gar nicht heiraten. Sie sympathisierten mit den Bewegungen, die nach dem ersten Weltkrieg für eine „freie Liebe“ eintraten. Diese Gruppe von Intellektuellen wollte weltoffener, freiheitlicher leben und denken. Ein ähnlicher Geist herrschte auch in der OSO, wo es damals bereits farbige Schüler gab, durchaus nicht üblich. Und Religion spielte auch keine Rolle in unserer Familie. Alle Geschwister hatten eine eigene Meinung, aber keiner war gläubig im kirchlichen Sinn.
Sie bezeichneten sich einmal als einen in der Wolle gefärbten Agnostiker. Was genau heißt das?
In wenigen Worten: Ich glaube nicht an den christlichen Gott, der diese Welt erschaffen hat und sich um jeden von uns liebevoll kümmert. Aber das letzte Geheimnis des Universums werden wir Menschen wohl auch niemals lösen.
Nun zur Literatur. Wie kamen Sie auf die Idee, die Geschichte vom Urmel zu schreiben? Steckte da auch der Wunsch dahinter, Kindern etwas über die Entstehung der Welt mitzuteilen, eine vorweggenommene Antwort auf heutige Behauptungen des „Intelligent Design“?
Ach nein, das Urmel entstand nach einem Gespräch mit dem Dramaturgen und Regisseur der Augsburger Puppenkiste, der ein nettes Tier oder eine liebenswürdige Fantasiefigur für seinen nächsten Film wünschte. Und da ich gerade eine Tiefkühltruhe gekauft hatte – das war 1968 noch selten – kam ich auf die Idee mit dem gefrorenen Saurierei, das in unserer Zeit ausgebrütet wird.
Auch Kinderliteratur ist dem kurzlebigen Zeitgeist unterworfen. Wie erklären sie sich den Erfolg des Urmels, seit 1969 wurde es wieder und wieder verlegt, in viele Sprachen übersetzt, in diesem Jahr für’s Kino verfilmt, jetzt gerade gibt es eine neue Hörbuchfassung mit Dirk Bach...
...die ich übrigens sehr gut finde, er liest wunderbar...
...wie erklären Sie sich also den großen Erfolg?
Das ist wohl wie der Sechser im Lotto. Ich kann es auch nicht erklären. Es gibt immer wieder mal ein paar Bücher, die zu einer bestimmten Zeit, unter bestimmten Umständen gerade den richtigen Ton treffen. Ich vermute, dass das Urmel und damit auch meine anderen Bücher gar nicht so bekannt geworden wären, wenn das Fernsehen sie nicht verfilmt hätte.
Versuchen Sie, Ihre Weltanschauung im Kinderbuch unterzubringen?
Nein, meine Kinderliteratur ist nicht atheistisch. Nur ist sie auch nicht fromm. Ich bin der Meinung, dass man in die Familie keinen Unfrieden tragen sollte. Die Geborgenheit der Kindheit sollte man bewahren, weil Kinder sich noch nicht mit ihren Eltern wirklich auseinandersetzen können. Ab der Pubertät kann und sollte man diese Fragen ansprechen.
Das tun Sie in Ihrer Entwicklungsgeschichte des Abendlandes, „Im weiten Land der Zeit“.
Ja, sie ist schon eher religionskritisch. Allerdings ohne atheistischen Fundamentalismus. Sie erscheint jetzt auch als Hörbuch bei Randomhouse, in einer Kurzfassung, beschäftigt sich dafür aber konzentrierter als die Bücher mit den religiösen Fragen, stellt Menschen vor, die sich mit dem Glauben auseinandersetzten und frei zu denken wagten. Im letzten Satz spreche ich meine Überzeugung – bezogen auf unsere Kenntnis vom Weltall - aus: „Wir wissen heute unendlich viel mehr als alle früheren Astronomen - aber je mehr wir entdecken, desto größer werden die Rätsel. Es wird immer schwerer für uns Menschen, uns in einer Welt heimisch zu fühlen, aus der die Götter entschwinden, und doch wird das Leben ohne den Glauben an eine Lenkung von oben eine der großen Aufgaben der Zukunft sein, die wir lösen müssen, wenn wir überleben wollen.“
Das Thema beschäftigt Sie sehr?
Jetzt schon, obwohl ich nie ein religiöser Mensch war. Ich bin erst mit zwölf auf Wunsch meine Mutter getauft worden und schon mit 30 wieder aus der Kirche ausgetreten. Religion spielte für uns kaum eine Rolle, niemand in meinem Umkreis war streng gläubig. Für mich hätten die Verhältnisse so bleiben können. Nur, in den letzten Jahren, verstärkt nach dem 11.9. ist der religiöse Glaube wieder virulent und intolerant geworden. Das hat mich aufgeschreckt. Ich werde wohl über dieses Thema auch noch etwas schreiben, aber kein Kinderbuch.
Sie sind Beirat der Giordano-Bruno-Stiftung. Was hat Sie dazu bewogen, sich dort anzuschließen, wofür setzen Sie sich ein?
Warum ich mich dort anschloss, ergibt sich eigentlich aus dem, was ich gerade gesagt habe. Nun fühle ich mich wohl in einer Gemeinschaft kluger Leute, die ähnlich denken wie ich.
Aber was genau hoffen Sie dort bewirken zu können?
Das wird sich ergeben, ich bin ja nicht mehr so jung. Ich hoffe, noch zwei Bücher schreiben zu können, und vielleicht hilft mein Beispiel anderen Menschen, jeden Alters, sich ebenso zu engagieren. Oder warten Sie – warum ich mit der Giordano-Bruno-Stiftung Kontakt aufgenommen habe, dazu vielleicht doch noch folgendes. Wie ich Ihnen ja schon sagte, bin ich in einer absolut toleranten Umwelt aufgewachsen. Schon als Kind habe ich die verschiedensten „Gläubigen“ kennen gelernt, man kann fast sagen, von jeder Weltreligion. Der Vater meiner ersten Frau war Jude – allerdings nicht orthodox. Heute bin ich mit einer Chinesin verheiratet, und in China hat man noch nie an einen „Schöpfergott“ geglaubt. Noch einmal: Die Situation hätte von mir aus so bleiben können, wie sie über lange Zeit hinweg gewesen war. Wir lebten doch endlich relativ friedlich mit- und nebeneinander. Aber das hat sich ja nun gewaltig geändert. Nachdem der religiöse Fundamentalismus zunehmend aggressiver wurde, sogar in den USA, dem „freiesten Land der Erde“, nachdem gerade dort die biblische Schöpfungsgeschichte in den Schulen gelehrt werden soll, Darwins Evolutionstheorie dagegen bekämpft wird, ein Präsident mit der Bibel in der Hand den Einsatzbefehl für Flugzeugträger gibt, und... und... und... vom Terrorismus will ich gar nicht reden, der hat auch andere Ursachen, nur darauf hinweisen, dass seine fürchterlichste Waffe, der Selbstmordattentäter, ein „Kind des Glaubens“ ist – denn ohne den Glauben an Gott und sein Paradies sprengt sich niemand selbst in die Luft! - finde ich es höchste Zeit, den Glauben auf den Prüfstand zu stellen und „Halt!“ zu rufen. Ich will weder, dass das „christliche“ Europa wieder in eine Art Mittelalter, in die Zeit vor der Aufklärung zurückfällt, noch dass Europa islamisch wird, noch dass es jemals einen Gottesstaat auf europäischem Boden gibt. Ich bin für eine strikte Trennung von Kirche und Staat und daher auch gegen einen „Gottesbezug“ in der europäischen Verfassung.
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Ist der Glaube, die von Beweisen unabhängige Gewissheit, nicht vielleicht die gefährlichste aller menschlichen Fähigkeiten (...)? Denn der Glaube mordet nicht nur, er liefert auch noch die Rechtfertigungen für das Morden und verleiht ihm eine höhere Weihe. Und wenn der Glaube die gefährlichste Eigenschaft ist, so ist der Zweifel die segensreichste, denn der Zweifel tötet nie, er unterdrückt nie, er zündet keine Scheiterhaufen an, er lässt leben, lässt gewähren und duldet.
(Zitat aus Kruse, Max: Die behütete Zeit, Stuttgart, 1993
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