(hpd) Der Berliner Historiker Wolfgang Wippermann will in seinem Buch „Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich“ Fragen nach Gemeinsamkeiten und Unterschieden der Diktaturen im NS- und SED-Staat kritisieren. Dabei arbeitet seine „Streitschrift“ gleichwohl mit einer Reihe von falschen Annahmen und Zuordnungen, welche nicht für die Seriosität dieser Publikation sprechen.
Kann man die DDR und das Dritte Reich miteinander vergleichen? Oder läuft eine solche Perspektive auf die Verharmlosung der NS-Diktatur und seiner Verbrechen hinaus? Dient eine solche Perspektive den politischen Interessen der Konservativen und Rechten? Diese Fragen bilden den „roten Faden“ für Wolfgang Wippermanns Buch zum Thema. In „Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich“ geht der Berliner Historiker von der weit verbreiteten Auffassung von den „beiden Diktaturen in Deutschland“ bzw. den „beiden totalitären Staaten“ aus. Wörtlich heißt es bei ihm: „Wird doch landauf, landab ständig von der ‚zweiten deutschen Diktatur’ gesprochen, wenn die DDR gemeint ist. Die DDR bzw. der ‚SED-Staat’ soll genauso totalitär wie der NS-Staat, Honecker wie Hitler, die Stasi wie die Gestapo, das berüchtigte DDR-Gefängnis Bautzen wie Auschwitz gewesen sein und so weiter und so fort“ (S. 8). Gegen diese Sicht auf die deutsche Geschichte will Wippermann mit seiner „Streitschrift“ (S. 122) argumentieren.
Sie gliedert sich in drei große Teile: Zunächst führt Wippermann die kritisierten Positionen auf die Extremismus- und Totalitarismustheorie zurück, welche er eher für Ausdruck von politischer Ideologie und unwissenschaftlicher Perspektive hält. Danach geht der Autor auf öffentliche Diskurse und Kontroversen anhand der Renaissance der Totalitarismustheorie, dem Bild von der „autalitären“ DDR und der Deutung der Stasi als „rote Gestapo“ ein. Und schließlich widmet er sich Institutionen und Personen am Beispiel der Enquetekommission zur Aufarbeitung der Geschichte der DDR-Diktatur, dem Forschungsverbund SED-Staat an der FU Berlin oder der Gauck- bzw. Birthler-Behörde. Als Fazit formuliert Wippermann bereits im Vorwort: „Die Vergleiche und Gleichsetzungen von DDR und Drittem Reich sind weder empirisch noch theoretisch hinreichend zu begründen. Es handelt sich vielmehr um Ideologien, die zunächst gegenwartspolitischen Zielen dienen, konkret der Verteufelung der PDS/Die Linke und der Verklärung ihrer parteipolitischen Gegner“ (S. 12).
Außerdem habe diese Sicht der Dinge eine folgenreiche vergangenheitspolitische Intension: „Nicht Drittes Reich und Holocaust sollen wie bisher im Mittelpunkt des kollektiven Gedächtnisses und Gedenkens stehen, die DDR bzw. ‚zweite deutsche Diktatur’ soll hier einen möglichst ähnlichen und gleichberechtigten Platz erhalten“ (S. 12). Die Dämonisierung des SED-Staates diene nicht zuletzt einer immer mehr um sich greifenden Täter-Opfer-Umkehrung. Und weiter heißt es: „Die DDR war unzweifelhaft deutsch und mit Sicherheit auch eine Diktatur – aber keine ‚zweite deutsche Diktatur’, die mit der faschistischen zu vergleichen oder gar gleichzusetzen ist. Anderslautende Bekundungen sind bisher nicht bewiesen worden. Weder durch einen empirischen Vergleich beider Regime noch durch eine Theorie, die das zu vergleichende auf den Begriff bringt, denn die in diesem Zusammenhang verwendeten, aber schon lange Zeit vorher entwickelten Begriffe und Theorien haben sich als unzureichend erwiesen“ (S. 116).
Wippermann stellte sein Buch als „Streitschrift“ vor. Ein solches Werk muss sich formbedingt nicht um Ausgewogenheit und Differenziertheit bemühen. Gleichwohl sollte auch eine „Streitschrift“ – insbesondere aus der Feder eines Wissenschaftlers – um die korrekte Präsentation des Kritisierten bemüht sein. So etwas kann in Wippermanns Buch nur selten ausgemacht werden. Ständig wirft er in der Darstellung die Begriffe „Gleichsetzung“ und „Vergleich“ inhaltlich durcheinander: Eine „Gleichsetzung“ behauptet eine Identität, ein „Vergleich“ fragt nach Gemeinsamkeiten und Ursachen. Bei dem letztgenannten Verfahren kommt man zu dem Ergebnis, dass eines von Beidem überwiegt. Wird das Kriterium „diktatorischer Staatstyp“ angelegt, so lautet das Ergebnis, dass DDR und Drittes Reich diesem Regimetyp zuzuordnen sind. Damit verbindet sich keinesfalls die Aussage, die Folgen beider Systeme seien gleichrangig. Selbstverständlich hat die DDR keine Massenmorde an Juden umgesetzt und keinen Weltkrieg hauptsächlich zu verantworten.
Eine Gleichsetzung von Folgen der beiden Diktaturen behauptet wohl weder in der Öffentlichkeit noch in der Wissenschaft niemand. Auch die einleitend zitierten Aussagen, wonach NS- und SED-Staat, Hitler und Honecker, Auschwitz und Bautzen, Gestapo und Stasi würden gleichgesetzt würden, bilden allenfalls einen „Strohmann“. Dabei handelt es sich um eine Manipulationstechnik, welche im Diskurs dem Kritisierten sachlich unangemessen eine absurde Position unterstellt, um ihn so einfacher „widerlegen“ zu können. Derartiger Techniken bedient sich Wippermann vor allem im ersten größeren Teil seines Buchs immer wieder. Mitunter behauptet er schlicht falsches: Für den totalitären Charakter von Nationalsozialismus und Stalinismus gibt es sehr wohl Belege (vgl. S. 47), so etwa selbst in dem von Wippermann in anderer Hinsicht mitunter zutreffend kritisierten Studie von Carl F. Friedrich. Wippermann spricht übrigens selbst von „beiden totalitären Regimen“ (S. 21) und widerlegt sich so mit der eigenen Wortwahl.
Mitunter ignoriert er gegenteilige Sachverhalte: So hat etwa der linke Politikwissenschaftler Ernst Fraenkel (vgl. S. 134) sehr wohl vergleichende Betrachtungen im Sinne der Extremismus- und Totalitarismustheorie angestellt. Neuere Ansätze in der Diktaturforschung nimmt Wippermann nicht zur Kenntnis, weder taucht die Forschungsübersicht von Detlef Schmiechen-Ackermann noch die Studie von Juan J. Linz zu Diktaturtypen in seinem Literaturverzeichnis auf. Und schließlich verkennt der Autor auch: Die Totalitarismustheorien verstehen sich überwiegend als idealtypische Modelle. Insofern werden ihre Annahmen auch nicht durch die Detailforschungen der Faschismus- oder Kommunismusforschung widerlegt. Und schließlich sei noch auf folgenden Aspekt verwiesen: Sicherlich wird der DDR-Drittes Reich-Vergleich auch politisch instrumentalisiert, gleichwohl widerlegt dies nicht den inhaltlichen Kern der damit verbundenen Aussagen. Und: Die Extremismus- und Totalitarismustheorie wird nicht nur von Konservativen und Rechten vertreten.
Armin Pfahl-Traughber
Wolfgang Wippermann, Dämonisierung durch Vergleich: DDR und Drittes Reich, Berlin 2009 (Rotbuch-Verlag), 160 S., 9,90 €