Sonntagsschutz kein subjektives Grundrecht für Religionsgemeinschaften
Die grundsätzliche Garantie des Sonntagsschutzes ist für den DFW kein Grundrecht, das ein Bürger oder eine Religionsgemeinschaft einklagen könne. Keine Religions- und Weltanschauungsgemeinschaft hat das Recht, ihr subjektives Verständnis von Sonn- und Feiertagsschutz durchzusetzen. Hinzu kommt, dass religiöse Veranstaltungen durch die Berliner Ladenöffnungszeiten gar nicht beeinträchtigt werden.
Der Vizepräsident des DFW, Horst Prem, erklärte dazu: „Das BVerfGE hat mit der Begründung der Entscheidung zum Ladenöffnungsgesetz in Berlin die individuellen Menschenrechte des Artikels 4(1) und (2) im Rahmen des Überwirkens der Schutzgarantie des Artikels 140 GG auch auf die Gültigkeit für Organisationen erweitert. Da der Artikel 139 der Weimarer Reichsverfassung (WRV) von 1919 als Artikel 140 ins GG eingegangen ist, seien die Kirchen durch das Ladenöffnungsgesetz in Berlin in ihren Grundrechten beeinträchtigt.
Die Rechtsauffassungen haben sich zwischenzeitlich weiterentwickelt in Richtung der individuellen Haftbarkeit für die Einhaltung der Menschenrechte, die sogar vor dem Internationalen Strafgerichtshof einklagbar ist.
Für die Einhaltung der Menschenrechte kann nur das Individuum haftbar gemacht werden. Deshalb führt eine Erweiterung der Menschenrechte über den individuellen Bereich hinaus auf Sekundärwerte von Organisationen zwangsläufig zu nicht vertretbaren Unschärfen hinsichtlich der Haftbarkeit. Das auf 25 Seiten begründete Übergreifen von Artikel 140 GG auf die individuellen Grundrechte des Artikels 4(1) und (2) im Rahmen der Entscheidung zum Ladenöffnungsgesetz in Berlin stellt damit eine klassische Verquickung von Kirche und Staat im grundrechtlichen Sinne her, die verfassungsrechtlich unzulässig ist.
Unzulässige Haftungserweiterung auf Sekundärwerte
Das GG von 1949 hat Anpassungsbedarf und das muss auch das BVerfGE berücksichtigen. Gerade im Zeitalter der islamistischen Bedrohung der Menschenrechte hält der DFW die Ausdehnung des Gültigkeitsbereiches der individuellen Menschenrechte auf Sekundärwerte von Organisationen für eine unzulässige Haftungserweiterung und damit Aushöhlung der Menschenrechte.“
Für den DFW-Präsidenten, Dr. Volker Mueller, ist besonders kritikwürdig, dass der Sonn- und Feiertagsschutz - exemplarisch für die Adventssonntage - mit einem christlichen Ursprung begründet wird, obwohl im Grundgesetz nur säkulare Gründe enthalten sind. „Das Gesetz des Berliner Abgeordnetenhauses wurde also auf Grund der Forderungen der beiden christlichen Kirchen teilweise außer Kraft gesetzt, obwohl kein Christ daran gehindert worden wäre, an den Adventssonntagen seine Religion auszuüben. Bei allem Respekt vor dem Bundesverfassungsgericht und vor der Religions- und Weltanschauungsfreiheit ist Widerstand gegen jede Art von Hegemonie des christlichen oder eines anderen Glaubens im öffentlichen Leben geboten. Es sei bedauerlich, dass christlich geprägte Verantwortungsträger bis hin zu hochrangigen Politikern und Verfassungsrichtern in Deutschland den Verfassungsvertrag der Europäischen Union im Hinblick auf die weltanschauliche Neutralität des Staates ignorieren oder unvollständig umsetzen.“
Aber das Bundesverfassungsgericht stellte u.a. – die kirchlichen Beschwerden teilweise klar ablehnend – fest, dass der Berliner Landesgesetzgeber sieht, „… dass er bei dem von ihm verfolgten Konzept einer flächendeckenden Freigabe der Ladenöffnung an Sonn- und Feiertagen … nur eine niedrige jährliche Höchstzahl derart freigabefähiger Sonn- und Feiertage ansetzen durfte, um dem Regel-Ausnahme-Gebot und der verfassungsrechtlich geforderten Sicherung eines Mindestniveaus des Sonn- und Feiertagsschutzes zu genügen. Diese Höchstzahl hat er auf der Grundlage der von ihm gewählten Schutzkonzeption, also insbesondere ohne allgemeine einzelfallbezogene Ausnahmebestimmung …, in nicht zu beanstandender Weise mit acht Sonn- oder Feiertagen angesetzt ….“ (Urteil BVerfGE, S. 54) Nur in der Regelung zur Öffnung der Verkaufstellen an allen vier Adventssonntagen wird eine Verfassungswidrigkeit erklärt.
Diese Auseinandersetzungen um das Berliner Ladenöffnungsgesetz sind ein wichtiges Zeichen für den unzureichenden Entwicklungsstand eines säkularen Staatsbewusstseins in Deutschland und für die Notwendigkeit weiterer Aufklärung.
DFW