Kirchen beeinflussen neues Ladenöffnungsgesetz in Baden-Württemberg

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Symbolbild
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Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat sich auf einen Gesetzesentwurf für Selbstbedienungs-Supermärkte geeinigt. Künftig dürfen die SB-Märkte auch sonntags geöffnet haben. Das Gesetz hat aber einen Haken: es verpflichtet SB-Supermärkte dazu, die Öffnungszeiten am Sonntag an die Hauptgottesdienstzeiten anzupassen. Betreiber sehen dadurch ihre Wirtschaftlichkeit gefährdet. Kirchen und CDU betonen den verfassungsrechtlichen Sonntagsschutz, der Ruhe und Gottesdienstbesuch beinhaltet. Kritiker halten die Vorgabe für unnötig und unpraktisch.

Die Landesregierung von Baden-Württemberg hat sich Ende September auf einen Gesetzesentwurf für Selbstbedienungs-Supermärkte (SB-Märkte) geeinigt. Diese Supermärkte haben zwei Besonderheiten: sie haben meistens deutlich länger geöffnet und sie haben kein Personal.

Im Sommer hat die Duale Hochschule Baden-Württemberg (DHBW) das Ergebnis einer Befragung von Kunden digitaler Supermärkte veröffentlicht. Rund 82 Prozent der Teilnehmenden gaben an, dass die Läden zwar teurer sind, aber das Leben einfacher machen. Trotz der breiten Akzeptanz der Kunden fehlte jedoch bislang für diese Märkte eine Regelung und die Betreiber agierten in einer Grauzone.

Diese Lücken werden nun beseitigt. Künftig dürfen die SB-Märkte auch sonntags zwischen 7 und 24 Uhr für acht Stunden geöffnet haben. Die Verkaufsfläche darf dabei nicht größer als 150 Quadratmeter sein. Gleichzeitig hat dieser fortschrittliche Gesetzentwurf einen aus der Zeit gefallenen Zusatz: Er verpflichtet SB-Supermärkte dazu, ihre sonntäglichen Öffnungszeiten an die Hauptgottesdienstzeiten anzupassen. Das sorgt für Unverständnis.

Der Gesetzesentwurf lautet:

"Die Lage der zugelassenen Öffnungszeiten (…) ist unter Berücksichtigung der Zeit des Hauptgottesdienstes festzusetzen."
"Vollautomatisierte Verkaufsstellen dürfen an Sonn- und Feiertagen frühestens ab 7 Uhr und längstens bis 24 Uhr bei einer maximalen Öffnungsdauer von bis zu acht Stunden geöffnet sein. (…) Die zuständige Behörde kann die Dauer und die Lage der zugelassenen Öffnungszeiten abweichend festsetzen."

Die Reaktionen sind vernichtend

SB-Märkte und Automatenläden werden im gesamten Land betrieben. In den belebten Innenstadtlagen von Stuttgart, Karlsruhe und Freiburg sind diese viel besucht und die verringerten Öffnungszeiten am Sonntag würden nur einen kleinen Effekt auf Umsatz, Gewinn und Rentabilität haben.
Auf dem Land sieht die Situation dagegen deutlich anders aus. Egal, ob in einem malerischen Schwarzwaldtal oder in der Schwäbischen Alb: durch Wegzug, fehlende Infrastruktur, lange Wege und den demografischen Wandel haben sich die Orte in wenigen Jahren erheblich verändert. Kleine Supermärkte werden aufgrund der geringen Umsätze geschlossen, alteingesessene Metzger, Bäcker und Einkaufsläden schließen ihre Pforten für immer, weil sich keine Nachfolge finden lässt.

Die SB-Märkte bieten hierfür eine geeignete Lösung. Die Dinge des täglichen Bedarfs werden angeboten, die Nutzung ist unkompliziert und die Einwohner ersparen sich lange Wege in die nächsten Städte. Der Sonntag ist für diese Läden der wichtigste Geschäftstag. Die Betreiber von SB-Märkten zeigen sich entsprechend über die Pläne der Landesregierung erschüttert. Die Auswirkungen dieses Gesetzes wären gravierend und die wirtschaftlichen Folgen für SB-Märkte unkalkulierbar.

Ein Inhaber aus Bad Rippoldsau-Schapbach (Kreis Freudenstadt) betonte im SWR: "Wir brauchen einfach den Sonntag, um wirtschaftlich arbeiten zu können. Wenn so ein Konzept sich nicht mehr trägt in unserem Tal, dann wird sich wahrscheinlich gar nichts mehr rechnen hier." Er kann die Entscheidung nicht nachvollziehen. "Hier hätte ich mir eigentlich erwartet, dass grade die Kirchen im ländlichen Raum sagen: Mensch, ist eine gute Sache (...)."

Auch die Interessenvertretung des Einzelhandels zeigt sich schockiert über den Gesetzentwurf. Im Internet hat diese Nachricht einen Sturm der Entrüstung ausgelöst.

Der Beitrag des SWR wird von kritischen Fragen begleitet. Auch beim Beteiligungsportal des Landes Baden-Württemberg mehrt sich die Kritik an der Sonderstellung der Kirchen. "Die geplante Änderung des Ladenöffnungsgesetzes ist ein weiteres Beispiel für Regierungshandeln nach dem Motto: einen Schritt vorwärts, dann zwei Schritte zurück. Es wird weiter Bürokratie aufgebläht, statt sie zu verschlanken. (...) Dass außerdem wieder den Kirchen nachgegeben werden soll, die für den Großteil der Bevölkerung völlig bedeutungslos sind und dennoch über unser Verhalten an Sonntag bestimmen wollen, ist für aufgeklärte Bürgerinnen und Bürger kaum auszuhalten", heißt es dort etwa, oder: "Mit der Gesetzesänderung versucht man mit der Zeit zu gehen. Dabei hat man aber immer noch nicht die Lebenswirklichkeit auf dem Land erkannt. (...) Ebenfalls möchten die Kirchen den Sonntag als Ruhetag. Aber deshalb wird kein Mensch zusätzlich in die Kirche gehen. (...) Und dann noch Rücksicht auf die Gottesdienstzeiten zu nehmen. Die Kirche sollte sich mal den wichtigen Themen annehmen und nicht noch weiter für Kopfschütteln sorgen. Bäckereien dürfen 8h offen haben. Tankstellen deutlich länger am Sonntag. Melden sich da die Kirchen auch?"

Der Handelsverband Baden-Württemberg zeigt für die Regelung ebenfalls keinerlei Verständnis. Gerade bei Selbstbedienungsmärkten, die ohne Personal betrieben werden, gebe es keinen sachlichen Grund für Einschränkungen während der Gottesdienstzeiten. In anderen Branchen wie der Gastronomie würden Öffnungszeiten parallel zu Gottesdiensten ebenfalls kein Problem darstellen.

Dieser Aussage schließt sich die FDP mit einer Fundamentalkritik an der Sichtweise der Kirchen an. FDP-Landesvorsitzende Hans-Ulrich Rülke sagte dem SWR: "Ich denke, dass man niemanden mit dieser Maßnahme zusätzlich in die Kirchen zwingt." Diese Vorgabe im Gesetz hält die FDP für entbehrlich.

CDU und Kirchen verweisen auf ein Gesetz von 1919

Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut von der CDU verweist auf den Sonntagsschutz, der in der Verfassung geregelt sei: "Sonntagsschutz [heißt, Anm. d. A.] nicht nur, dass am Sonntag nicht gearbeitet werden soll, sondern dass man auch zur Ruhe kommt und dass man eben Zeit hat, sich auch mit anderen Dingen außerhalb des täglichen Lebens zu beschäftigen – und da gehört eben auch der Gottesdienstbesuch dazu."

Es geht um Artikel 139 der Reichsverfassung der Weimarer Republik von 1919: "Der Sonntag und die staatlich anerkannten Feiertage bleiben als Tage der Arbeitsruhe und der seelischen Erhebung gesetzlich geschützt." Dieser Artikel wurde ins Grundgesetz übernommen und hat noch heute seine Gültigkeit. Artikel 139 wird im aktuellen Entwurf auch erwähnt.

Die evangelischen und katholischen Kirchen in Baden-Württemberg sprechen bei den SB-Märkten in einer gemeinsamen Erklärung von einer "neuen Herausforderung" und setzen sich für einen ruhigen Sonntag ein. "Wichtig bleibt für uns, dass der Sonntag als Tag der Ruhe, der Begegnung und – für viele, insbesondere für die Familien – auch der Gottesdienste bewahrt wird. Das ist ein wertvolles Gut für unsere gesamte Gesellschaft und verdient weiterhin besonderen Schutz." Die Kirchen wollen sich am Gesetzgebungsverfahren konstruktiv-kritisch beteiligen.

Es wird sich zeigen, welche Themen der CDU wichtiger sind: Die von Kanzler Friedrich Merz und dem Spitzenkandidaten Manuel Hagel viel zitierten und beworbenen Dauerbrenner Bürokratieabbau, Stärkung der Wirtschaft und weitere Maßnahmen zur Standortsicherung oder die Einflüsterungen der Kirchen, die weiterhin auf der Einhaltung der Privilegien aus vergangenen Zeiten pochen.

Die Grünen wiederum können sich eine weitaus liberalere Gesetzgebung vorstellen, weil die Bedürfnisse der Bürger und eine vernünftige Nahversorgung höher gewichtet werden. Einzig Landesvater Winfried Kretschmann könnte als Kirchenbeauftragter den Grünen einen Strich durch die Rechnung machen. Sucht er doch (laut SWR) proaktiv das Gespräch und die Nähe zur Kirche.
Die Grünen unter Cem Özdemir hätten aber die historische Gelegenheit, den nächsten Ministerpräsidenten zu stellen und könnten sich von ihrem Übervater Kretschmann lösen und mutige, wegweisende und an die neuen Realitäten angepasste Politik machen. Eine Politik ohne kirchliche Einflüsterungen, die wieder den Menschen und seine Bedürfnisse in den Mittelpunkt stellt.

Der Gesetzesentwurf ist nun in der Anhörung. Verbände können ihre Rückmeldungen zu dem Entwurf einreichen. Danach wird der Entwurf nochmals überarbeitet und soll Anfang Dezember dann in den Landtag eingebracht werden. Das neue Gesetz soll laut Wirtschaftsministerium voraussichtlich im Frühjahr 2026 in Kraft treten. Im März 2026 findet die nächste Landtagswahl in Baden-Württemberg statt.

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