Säkulares in 2009

Migration und Europa

Die Diskussion um das Schulgebet in Korschenbroich hat mit dem „Kruzifix-Urteil“ des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte eines gemeinsam: die beiden Frauen, die sich gegen die tradierten Gebräuche zur Wehr setzten, waren „Zugewanderte“, die nicht bereit waren, die überkommenen Gewohnheiten ihrer neuen Wohnorte für sich und ihre Kindern zu akzeptieren: Eine Mutter aus Sachsen in NRW und eine Finnin in Italien.

Die aufgeregten Proteste wegen der Unzulässigkeit von Kreuzen in italienischen Klassenzimmern - vor allem in Bayern und Österreich -, haben richtig angenommen, dass das italienische Beispiel „Schule machen“ wird und Eltern sich in den europäischen Staaten durch die nationale Gerichtsbarkeit durchklagen werden, um, wenn nicht bereits vorher, schließlich auf europäischer Ebene ihr Recht auf Religionsfreiheit zu bekommen. In Österreich hat ein Vater gerade damit begonnen. Auch in Nordeuropa, für Norwegen, hat der dortige Humanistische Verband erst auf europäischer Ebene durchsetzen können, dass der Religionsunterricht kein Pflichtfach sein dürfe.

Dies sind nur wenige Beispiele für die demokratische Wegweisung, dass die Identität Europas im Pluralismus und der weltanschaulichen Neutralität des Staates liegt.

Diskurs, Dissens und Dialog

Prominent besetzte Tagungen, wie „Die Fruchtbarkeit der Evolution“ oder „Konfessionsfreie und Verfassungsrecht“ dienten einer Selbstvergewisserung der eigenen Positionen, wie auch der Diskussion mit entgegen gesetzten Auffassungen. Ob aus der geäußerten Anerkennung eines gesellschaftlichen Pluralismus in Berlin auch ein christlicher Dialog mit säkularen Sichtweisen entstehen wird, muss sich erst zeigen. Zumindest wird darin auch deutlich, dass deren Bedeutung nicht mehr übersehen werden kann.

Juristische Wege

Die Tatsache, dass die Kirchen und die mit ihnen verbundenen religiösen Politiker keinen Millimeter der bisherigen Regelungen freiwillig oder im Diskurs aufgeben werden, wird immer deutlicher. Auch wenn die Streitfälle bisher nicht erfolgreich beendet werden konnten, schaffen sie doch ein neues Selbstbewusstsein: „Wer sich nicht wehrt, lebt verkehrt.“ Die Klage gegen die Kirchenaustrittsgebühr war zwar bisher nicht erfolgreich, aber in dieser Hinsicht nicht umsonst. Die Klagen gegen die Verleumdungen durch Bischof Müller und gegen die Konkordatslehrstühle sind im Instanzenzug noch auf dem Weg. Diese Klagen haben nicht nur die Funktion, den „Hochwürdigsten Herren“ Mores zu lehren, sondern sind auch dafür notwendig, säkulare Themen in die inner-juristischen Debatten einzubringen und dort zu platzieren.

Bemerkenswert ist auch, dass in der Frage des Sonntagsschutzes/Ladenöffnungszeiten vom Bundesverfassungsgericht neben den beiden Kirchen auch fünf säkulare Organisationen zu schriftlichen Stellungnahmen aufgefordert worden waren.

Religionsfreiheit und Meinungsfreiheit

Wie es erfolgreich gelungen ist, Themen in öffentliche Debatten einzubringen, hat die Buskampagne gezeigt, die aus der Mitte der nicht-organisierten Säkularen gestartet worden war. Ihr Erfolg lag u. a. darin begründet, dass sich - nach den Ablehnungen der Verkehrsbetriebe, diese Werbung für eine religionsfreie Weltanschauung zu akzeptieren -, das Thema der Religionsfreiheit sich medial mit dem größeren Thema der Meinungsfreiheit verband. Zudem zeigten die Kommentare der vielen Spender, welch emotionales Bedürfnis besteht, ein nicht-religiöses Weltbild auch öffentlich zu artikulieren.

Aus dem Zusammenhang der Buskampagne ist zudem ein weiteres Projekt entstanden „Gottlos glücklich“ ... klare Antworten auf häufige Fragen. Die Texte entsprangen dem Wunsch, gute, verständliche und geduldige Antworten auf immer wieder und immer wieder gestellte Fragen zu formulieren. Das ist beispielhaft gelungen.

In inhaltlicher Verbindung damit stehen auch freundliche Aktionen wie der Aufruf, dem Bundespräsidenten Horst Köhler das Grundgesetz und aufklärerische Bücher zu schicken, da er seine private Meinung, dass die Bibel für ihn das wertvollste Buch sei, offiziell in einer Rede als Amtsperson geäußert hatte, in der er zur weltanschaulichen Neutralität verpflichtet ist.