(hpd) Die Auschwitz-Überlebende Cordelia Edvardson, Autorin des beeindruckenden Erinnerungsberichtes „Gebranntes Kind sucht das Feuer“, legt mit „Wenn keiner weiter weiß. Berichte von der Grenze“ eine Sammlung von Berichten und Kommentaren zum Nahost-Konflikt vor. Darin zeigt sich die Autorin als aufmerksame und kritische Beobachterin, welche bei Anerkennung des Existenzrechts Israels scharf dessen Umgang mit den Palästinensern kritisiert.
Die 1929 in München geborene Cordelia Hoffmann, die Tochter des Staatsrechtlers Hermann Heller und der Schriftstellerin Elisabeth Langgässer, wuchs als katholisches Mädchen auf und wurde mit elf Jahren aufgrund der nationalsozialistischen „Rassengesetze“ zur Jüdin erklärt. 1943 deportierte man sie nach Theresienstadt und später nach Auschwitz. Glücklicherweise kam Cordelia Hoffmann mit dem Leben davon und ging nach dem Ende des Krieges nach Schweden. Dort arbeitete sie lange Jahre als Journalistin, berichtete 1973 vom Jom-Kippur-Krieg und wurde später in Jerusalem Auslandskorrespondentin für den Nahen Osten.
Unter ihrem neunen Namen Cordelia Edvardson veröffentlichte sie 1984 den autobiographisch geprägten Roman „Gebranntes Kind sucht das Feuer“, worin ihre Diskriminierung als Jüdin bis zum Weg nach Auschwitz eindringlich geschildert werden. 1986 erhielt Edvardson dafür den Geschwister-Scholl-Preis. Mit „Wenn keiner weiter weiß. Berichte von der Grenze“ liegt nun eine Sammlung ihrer jüngeren journalistischen Arbeiten meist zum Nahost-Konflikt vor.
Die kurzen Texte erschienen überwiegend als Kommentare oder Reportagen im „Svenska Dagbladet“ zwischen 2001 und 2008. Eigentlich könnte man davon ausgehen, es handele sich nur um tagespolitisch interessante Beiträge. Edvardson erweist sich darin aber als aufmerksame und kritische Beobachterin, die auf die großen Linien des politischen Konflikts ebenso wie auf dessen Auswirkungen für das Alltagsleben eingeht. So schildert sie ein Selbstmordattentat, das zum Tod des erst dreizehnjährigen israelischen Mädchens Smadar führt. Offenbar hatte man Ort und Zeit genau ausgewählt, wenige Tage nach Schulbeginn. In einem anderen Beitrag geht es um den Selbstmordanschlag der achtundzwanzigjährigen Hamadi Jaradat, die sich und neunzehn Israelis in einem Restaurant in die Luft sprengte. Zuvor hatte eine israelische Einheit ihren Bruder und ihren Verlobten erschossen. Edvardsons Bericht steht unter der Überschrift „Verstehen und nicht verzeihen“ – und genau das mit dieser Formulierung verbundene Differenzierungsvermögen zeichnet viele der Texte aus.
Ebenso klar wie das Existenzrecht Israels anerkannt wird, wird die Ungerechtigkeit gegenüber den Palästinensern verurteilt. Dabei überwiegt allerdings in der Gesamtschau diese letzte Perspektive, wenn etwa das elendige und perspektivlose Leben in den Dörfern oder das rigorose Vorgehen der israelischen Militärs in den privaten Wohnhäusern geschildert wird. Hier und da hätten die objektiv bestehenden israelischen Sicherheitsinteressen noch ein größeres Gewicht erhalten können. Die moralische Empörung über die Lage der Palästinenser und die Selbstgefälligkeit der israelischen Politik mag diese Einseitigkeit motiviert haben. Edvardson geht auch auf die europäische Debatte zum Nahost-Konflikt ein: Sie konstatiert, dass sich sehr viele Judenhasser in einen neuen antiisraelischen und antizionistischen Mantel hüllten. Gleichwohl habe selbst eine scharfe Kritik an Israel nicht notwendigerweise ihre Wurzeln im Judenhass. Derartige Vorwürfe solle man auch in Tel Aviv unterlassen, erwecke dies doch den Eindruck, man habe keine Sachargumente gegen die Kritik.
Nur in einem Beitrag argumentiert Edvardson dezidiert aus der Perspektive der Auschwitz-Überlebenden: Es geht dabei um eine Kritik an Elie Wiesel, der eben auch sein Ansehen als Holocaust-Überlebender dazu missbrauche, das unangemessene Vorgehen der Israelis gegen die Palästinenser zu rechtfertigen bzw. zu verharmlosen. Immer wieder warnt Edvardson vor den längerfristigen Folgen damit verbundener Menschenrechtsverletzungen. Selbst erfahrenes Leiden veredele nicht, es führe nicht selten zur gleichen Praxis an Anderen. Unter der israelischen wie der palästinensischen Bevölkerung macht Edvardson mit Verweis auf Umfragen eine große Mehrheit für eine friedliche Koexistenz aus. Es gebe aber in der jeweiligen politischen Elite keine Gesprächsbereitschaft. Insofern zeichnet die Autorin ein pessimistisches, aber wohl auch realistisches Bild vom Nahost-Konflikt. Dessen Lösung erblickt sie in der Umsetzung einer Parole der israelischen Friedensbewegung: „Zwei Staaten für zwei Völker – beide mit sicheren und anerkannten Grenzen!“.
Armin Pfahl-Traughber
Cordelia Edvardson, Gebranntes Kind sucht das Feuer. Roman, 9. Auflage, München 2008 (Deutscher Taschenbuch-Verlag), 130 S., 7,90 €.
Cordelia Edvardson, Wenn keiner weiter weiß. Berichte von der Grenze, München 2010 (Deutscher Taschenbuch-Verlag), 235 S., 9,90 €.