„Hellseherin“ mit dreisten Tricks

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Foto: Freidenkerbund

WIEN. (fdb/hpd) 26-Jährige um 5.000 Euro betrogen. Österreichs Medienlandschaft ist in heller Aufregung. ORF und Standard berichten über den Betrugsfall, die Foren gehen über. "Deppensteuer" sagen die einen, die 26-Jährige sei selber schuld. "Wenn jemand an sowas glaubt, hat sich der Staat nicht einzumischen." Das sei kein Betrug, sagen Vertreter einer anderen Denkrichtung.

"Warum nicht gleich die Vertreter der Religionsgemeinschaften einsperren. Die machen nichts anderes", posten andere. Und es wäre nicht Österreich, würden nicht Spekulationen über die ethnische Zugehörigkeit der mutmaßlichen Betrügerin angestellt. Die Ausländerfeindlichkeit weiter Teile der Bevölkerung artikuliert sich ungeniert, unabhängig vom Zusammenhang.

Eine Aufregung, die überrascht. Der Fall ist nicht einzigartig, die Masche der angeblichen Hellseherin nicht neu. Nicht einmal die Größenordnung überrascht. Laut den Ermittlungsergebnissen der Polizei hat die 18-Jährige ihr 26-jähriges mutmaßliches Opfer in der Wiener Opernpassage angesprochen. An der "Aura" könne sie erkennen, dass ein "böser Fluch" auf ihr laste, der sich negativ auf ihr Leben auswirke. Sie könne sie befreien - Barzahlung vorausgesetzt. Beeindruckt von der jungen Frau gab ihr die 26-Jährige 3.600 Euro. 1.400 Euro folgten in einer weiteren Tranche. Der "Fluch" sei schwerer als angenommen, argumentierte die angebliche Hellseherin. Als sie ein drittes Mal Geld wollte, ging der 26-Jährigen ein Licht auf. Beim nächsten Treffen war die Polizei anwesend. Wo das Geld ist, sagt die mittlerweile Festgenommene nicht.

Esoterik-Tripp zieht

Fälle wie dieser werden immer wieder bekannt. Die Opferzahl dürfte weit größer sein als bekannt. Die meisten Menschen schämen sich und erstatten keine Anzeige. Der Esoterik-Tripp zieht in einem Land, das sich kampfkatholisch gibt. Wenn "irgendetwas da sein muss" gibt es auch wenig Grund, im geeigneten Fall nicht auch an Flüche zu glauben, von denen Volkssagen jahrhundertlang gekündet haben. Und treibt nicht die katholische Kirche per Exorzisten Geister aus? Warum soll jemand, der sich von der religiösen Erziehung in der Schule nicht distanziert hat, nicht an Hellseherinnen und ihre Flüche glauben?

Das Kokettieren mit der Astrologie ist auch bei vordergründig vernünftigen Menschen eine Art Volkssport. Sternzeichen hätten irgendwas mit dem Charakter zu tun, glauben viele. Dass wissenschaftliche Studien das widerlegen, ist ihnen meist gar nicht bewusst. Wozu hat der Popmusiksender Ö3 sonst Gerda Rogers? Auch wenn's die meisten als eine Art Unterhaltung sehen - irgendetwas bleibt. Dass in so einem gesellschaftlichen Klima Menschen auf die Fluch-Masche hereinfallen, darf nicht wundern. Zumal die angeblichen Hellseherinnen über ein beträchtliches Ausmaß an Empathie verfügen, das es ihnen erlaubt, die Grundstimmung des Gegenübers schnell zu erfassen. Eine Fähigkeit, die auch in anderen Berufen genützt wird, wenn auch zum Wohl des Gegenübers.

Und im Wesentlichen tut eine Hellseherin nichts anderes als die meisten Religionsgemeinschaften. Die katholische Kirche wirbt etwa mit der Taufe als Befreiung von der Erbsünde. Lebenslange Mitgliedschaft als Schutz vor nicht beweisbarem künftigen Unheil. Bei uns ist das kostenpflichtig. Die meisten Katholikinnen und Katholiken zahlen über den Kirchenbeitrag in ihrem Leben weit mehr als die 5.000 Euro, die die Hellseherin bekommen hat. Beweisbar sind die kirchlichen Prämissen wissenschaftlich gesehen genauso wenig wie die der Hellseherin.

Nur gelten Religionen in Österreich als sozial erwünscht. Sie regulieren das soziale Leben und reproduzieren Obrigkeitshörigkeit. Von der Möglichkeit eines Betrugsvorwurfs sind die per Gesetz ausgenommen. Und bei aller Kritik besteht der wesentliche Unterschied darin, dass es den meisten Akteuren (und seltener Akteurinnen) der Religionsgemeinschaft nicht nur darum geht, auf Kosten der Mitglieder der schnelle Kasse zu machen. Die glauben, was sie sagen. Mehr oder weniger. Das macht den Unterschied zwischen Betrug und (Aber-)Glauben aus.

Was Religionsgemeinschaften keinesfalls zum wirksamen Schutz gegen Esoterik macht, wie manche in den Foren schreiben. Es sind die Religiösen und hier vor allem die Volksfrommen, mit denen Wahrsager und Hellseherinnen am einfachsten Geld machen können. Der einzig wirksame Schutz ist die Gewissheit, dass (Aber-)Glaube Unsinn ist und Erkenntnis immer nur aus einem kritischen Hinterfragen der Wirklichkeit und ihrer Voraussetzungen entstanden ist. Da hat Esoterik keinen Platz.

Christoph Baumgarten