JENA. (hpd) Die GBS-Hochschulgruppe an der Universität Jena hat an den Rektor der Friedrich-Schiller-Universität und den Jenaer Oberbürgermeister einen offenen Brief geschrieben. Sie warnt davor, dass anlässlich einer Veranstaltungsreihe christlicher Hochschulgruppen kreationistische Lehren an der Universität verbreitet zu werden drohen. Der hpd dokumentiert dieses Schreiben.
Sehr geehrter Rektor Professor Dr. Klaus Dicke,
sehr geehrter Oberbürgermeister Dr. Albrecht Schröter,
vom 12. bis 14. Mai 2014 finden unter Ihrer Zustimmung zur Vergabe der Hörsäle, Herr Rektor, bzw. unter Ihrer Schirmherrschaft, Herr Oberbürgermeister, in den Räumen der Friedrich-Schiller- Universität Jena die sog. Hochschultage Jena statt. Diese Vorträge, Seminare und Gesprächsangebote werden von drei evangelikalen Hochschulgruppen organisiert, die sich explizit die Missionierung zur Aufgabe gemacht haben. Die Wahl der Referenten (u. a. 3 Theologen und 3 Kreationisten) und Themen (z. B. “Leitplanken einer christlichen Friedensethik”) bestätigt den Eindruck, dass es das Ziel der Veranstaltungsreihe ist, Studierende zum christlichen Glauben zu bekehren. Schließlich findet an den drei Abenden jeweils während des Abendvortrages ein Gebet statt. Dies alles geschieht mit ihrem “Segen” unter dem vermeintlich neutralen Motto “überLEBEN …mehr als du glaubst” – nicht jedem dürfte bewusst werden, dass damit vorrangig der christliche Glaube propagiert werden soll. Erst recht nicht, wenn dies in universitären Räumen geschieht und wenn ausgerechnet bei den drei zentralen Veranstaltungen in der Programmübersicht der Hinweis fehlt, dass es sich bei dem Referenten um einen Pfarrer aus Münster handelt: Volker Roggenkamp bildet zur “besten Sendezeit” nach Vorlesungsfeierabend den allabendlichen Höhepunkt, dem von der Universität dreimal der zweitgrößte Hörsaal zur Verkündung gewährt wird.
Besonders kritikwürdig ist jedoch, dass damit aller Erwartung nach zum wiederholten Male auch kreationistische Lehren am Wissenschaftsstandort Jena verbreitet werden. Der ehemalige US-amerikanische Präsident George W. Bush unterstützte die Kreationisten öffentlich in ihrer Forderung, dass die wortgetreue biblische Schöpfungslehre gleichberechtigt zur Evolutionstheorie im Biologieunterricht gelehrt werde. Es gibt viele Varianten dieser pseudowissenschaftlichen Ideologie, die teilweise sogar behauptet, dass die Erde eine Scheibe sei[1], alle Darwinisten seien Terroristen[2], die Konzentrationslager seien auf Darwin zurückzuführen[3] und im Creation Museum in Kentucky wird Besuchern weisgemacht, dass Dinosaurier und Menschen zur selben Zeit gelebt hätten[4].
In allen Spielarten des Kreationismus werden biblische Mythen mit wissenschaftlichen Erkenntnissen vermengt, wodurch ein Gemisch aus Fakten und Fiktionen entsteht, das dem Prinzip des methodischen Naturalismus widerspricht und daher nicht an einer Universität gelehrt werden sollte. Die Gefahr ist nicht zu unterschätzen[5] – insbesondere müssen die Evangelikalen von den beiden christlichen Großkirchen unterschieden werden: Deren Position zur Evolution ist zwar alles andere als klar[6], jedoch wird gemeinhin davon ausgegangen, dass sie den Kreationisten eine Absage erteilen[7].
Kreationistische Unterrichtsmaterialien wurden hingegen bereits in Berliner Grundschulen gesichtet[8]. Insbesondere an evangelischen Bekenntnisschulen und anthroposophischen Waldorf- Einrichtungen droht die Unterwanderung des Biologie-Unterrichts. Das Thüringer Amt für Verfassungsschutz warnte jüngst in einem Schreiben vom 13. Dez. 2013 – das über das Thüringer Ministerium für Bildung, Wissenschaft und Kultur auch die FSU Jena erreicht hat – vor dem Bildband “Atlas der Schöpfung”. Dieser wurde bereits 2007 an öffentliche Einrichtungen verschickt und stammt von dem Türken Adnan Oktar, der unter dem Namen Harun Yahya in den 1980er Jahren als Kreationist und Holocaustleugner bekannt wurde. Der Autor vertritt eine anti-darwinistische Position und fordert die wortgetreue Auslegung des Korans.
Es zeigt sich damit, dass der Kreationismus nicht nur zur Überhöhung des christlichen, sondern auch des islamischen Glaubens geeignet ist. Die Ausblendung wissenschaftlicher (und damit religions- und nationenunabhängiger) Erkenntnisse kann somit den Boden für fundamentalistische Forderungen jeglicher Couleur bereiten. Umso mehr erstaunt es, dass Sie, Herr Rektor und Herr Oberbürgermeister, trotz der Sensibilisierung durch den Verfassungsschutz für die Gefahren des Kreationismus, diese “Hochschultage Jena” unterstützen.
In jene vermeintlich harmlosen Veranstaltungen sind mehrere Vorträge von Mitgliedern der “Studiengemeinschaft Wort und Wissen” eingebettet. Hierbei handelt es sich um einen 1979 gegründeten christlichen Verein evangelikaler Prägung. Die Studiengemeinschaft ist bekannt für ihre Bemühungen, das von Reinhard Junker und Siegfried Scherer herausgegebene kreationistische Werk “Evolution – ein kritisches Lehrbuch” an deutschen Schulen zu etablieren.
Kritiker halten dem Verein zwar zugute, dass sich seine Mitglieder teilweise von den Absolutheitsansprüchen einiger US-amerikanischer Vertreter des Kreationismus distanzieren würden – nichtsdestotrotz vertreten sie einen auf der wörtlichen Auslegung der Bibel basierenden Schöpfungsglauben und behaupten ein “Intelligent Design”.
Prof. Dr. Ulrich Kutschera, Beiratsmitglied der Giordano-Bruno-Stiftung, wirft der Studiengemeinschaft Wort und Wissen vor, eine geschickt konzipierte Propaganda-Aktion[9] zu betreiben. Kutschera leitet gemeinsam mit dem in Jena lehrenden Prof. Dr. Uwe Hoßfeld den Arbeitskreis (AK) Evolutionsbiologie im Verband Biologie, Biowissenschaften und Biomedizin in Deutschland (VBIO), dessen Kritik jedoch nicht nur auf Wort und Wissen abzielt, sondern auf alle Formen des Kreationismus. Uwe Hoßfeld, der u. a. der Arbeitsgemeinschaft Biologiedidaktik an der Friedrich-Schiller-Universität vorsteht, war 2006 als Vertreter der Wissenschaft zum sog. “Erfurter Dialog” (einer Podiumsdiskussion in der Thüringer Staatskanzlei) zum Thema “Evolution und Schöpfung” [10] geladen worden und warnte dort vor den Gefahren des Kreationismus. Bereits damals war die Universität in die Kritik geraten, den Kreationisten eine Plattform zu bieten: Nachdem der damalige Thüringer Ministerpräsident Dieter Althaus seine Einladung[0] in die Staatskanzlei an Prof. Dr. Siegfried Scherer, (besagter Co-Autor des kreationistischen “Lehrbuchs”) aufgrund öffentlichen Drucks zurückziehen musste[11], konnte der ehemalige Vorsitzende von Wort und Wissen nur wenige Tage später dafür an der Universität seine pseudowissenschaftlichen Lehren verbreiten.[12] Gleiches gelang am 14. Okt. 2010 Prof. Dr. Werner Gitt (ebenfalls Mitglied bei Wort und Wissen).[13]
Es ist zu erwarten, dass im Rahmen der Hochschultage Jena nun erneut unter dem Deckmantel studiumsbezogener Themen ein kreationistisches Weltbild propagiert wird, da mehrere Referenten der Studiengemeinschaft Wort und Wissen angehören:
Dr. Thomas Michael Jahn leitet innerhalb des Vereins die Fachgruppe für Wissenschaftstheorie.[14] Dr. Reinhard Haupt ist emeritierter Professor und bekennender Evangelikaler. Er hat u. a. als Prorektor und Dekan an der FSU Jena gewirkt. Auf Vorschlag der Thüringer Ministerpräsidentin Christine Lieberknecht wurde ihm 2010 das Verdienstkreuz am Bande verliehen. Dies wurde unverständlicher Weise nicht nur mit seinen unbestrittenen Leistungen für die Universität begründet, sondern auch mit seinem Engagement als Leiter der Abteilung für Wirtschaft und Ethik in der Studiengemeinschaft Wort und Wissen.[15] Auch damals wies Prof. Dr. Uwe Hoßfeld von der FSU Jena zu Recht darauf hin, dass der Vorgang bei Biologielehrern und Lehramtsstudenten zu Irritationen führe[16].
Besonderer Vorbehalt ist angebracht gegenüber dem Vortrag von Prof. Dr. Peter Imming zum Thema „ “Ursuppen, Urpizzen, Ursachen – was wissen wir über den Ursprung des Lebens?” Peter Imming ist approbierter Pharmazeut und diplomierter Chemiker. Seit 2004 ist er Professor für Pharmazeutische Chemie an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. In einem Interview mit dem STERN[17] spricht sich Prof. Peter Imming verdeckt, aber doch eindeutig für die Einführung kreationisti- scher Lehren an deutschen Schulen aus: “Zum Biologieunterricht gehört die für die Biologie so außerordentlich wichtige Evolutionstheorie, die kann man gar nicht weglassen! Aber auch wissenschaftliche Evolutionskritik wie unsere. Das andere, Schöpfungsglaube, gehört unserer Meinung nach in den Religionsunterricht. Es ist prima, wenn die Schule einen Weg findet, in einem vernünftigen Rahmen diese Dinge miteinander zu diskutieren. Das ist kein Trick. Ich sehe das wirklich so.”
Gefährlich ist die Verschleierungstaktik, derer sich Peter Imming bedient: Zunächst räumt er die Bedeutsamkeit der Evolutionstheorie ein. Den Schöpfungsglauben will er – soweit so gut – im Religionsunterricht belassen. Entscheidend ist jedoch der Satz dazwischen, wonach “auch wissenschaftliche Evolutionskritik wie unsere” in den Biologieunterricht gehöre. Mit “unsere” bezieht sich Imming auf die Studiengemeinschaft Wort und Wissen. Als dessen Vorsitzende hatten Imming und Dr. Henrik Ullrich dem STERN besagtes Interview gegeben.