Seyran Ates – Zwischen allen Stühlen

(hpd) Meine Besprechung des aktuellen Buches „Der Islam braucht eine sexuelle Revolution“ ist noch recht frisch und war rundum positiv. Das davor erschienene, von mir aber als zweites gelesene Buch „Der Multikulti-Irrtum“ ist meiner Meinung nach noch besser. Setzt es sich doch in einem bedeutend umfangreicherem Rahmen mit Fragen der Integration und dem Selbstverständnis der Muslime in Deutschland auseinander.

Gegen dieses Buch haben nicht nur islamische Fundamentalisten protestiert, sondern auch die politischen Parteien in Deutschland, von denen man meinen sollte, dass sie auf Seiten eines aufgeklärten Islam stehen und von denen man annehmen müsste, dass sie sich mit den Ideen von Integration auseinander setzen sollten. Doch leider wehte ein kalter Wind der Autorin vor allem auch von Links ins Gesicht. Das verwundert aber auch nicht, greift Seyran Ates schon gleich auf den ersten Seiten des Buches auch genau diese an: „Wirkliche Toleranz bedeutet, dass man den anderen, sein Umfeld und seine Kultur kennt und akzeptiert. Sie ist das Gegenteil von Gleichgültigkeit und Ignoranz. Viele Deutsche, vor allem viele Linke, glauben noch immer, der Traum von der multikulturellen Gesellschaft werde irgendwann Wirklichkeit, wenn man den Dingen nur ihren Lauf lässt. Doch das ist ein Irrtum. Multikulti, so wie es bisher gelebt wurde, ist organisierte Verantwortungslosigkeit.“ (Seite 9) Insbesondere gegen die Partei B90/Die Grünen richten sich ihre Vorwürfe; ist es doch für sie erstaunlich, dass gerade auch eine Partei, in denen Migranten in den Präsidien sitzen, die Augen vor der Realität einer in 40 Jahren gescheiterten Integration verschließen.

Doch Seyran Ates ist fern davon, Vorwürfe in eine Richtung zu machen; so, wie sie die deutsche Politik und deren Versagen in Sachen Integration kritisiert, gibt sie auch den Migranten eine Mitschuld am Entstehen von Parallelgesellschaften und der mangelenden Integration. Sie geht in jedem Falle davon aus, dass das deutsche Grundgesetz; sprich: der demokratische Grundkonsens der Gesellschaft, auch für muslimische Migranten gelten muss. Denn zwar gibt es auch von der „urdeutschen“ Bevölkerung die Tendenz zum Ausgrenzen der „Ausländer“; aber umgekehrt auch von den Deutschtürken gegenüber jenen. Ates versucht nicht, hier Ursache und Wirkung zu ergründen – das wäre wie die Frage nach dem Huhn und dem Ei – sondern Denkanstöße zu geben, wie diese zugegeben unerfreuliche Situation aufzulösen sein könnte.

„So haben sich in Deutschland aus den Minderheitsgesellschaften Parallelgesellschaften entwickelt. [...] Ich meine damit tatsächlich eine Gesellschaft, die sich als Konkurrenz und in Abgrenzung zu unserer Mehrheitsgesellschaft gebildet hat und das erklärte Ziel verfolgt, Strukturen der Mehrheitsgesellschaft, die nicht mit der eigenen Kultur vereinbar sind, zu verändern. Die Mehrheitsgesellschaft soll sich den Traditionen und Gewohnheiten der Minderheitengesellschaft anpassen oder gar unterordnen. Wir haben es mit einer sehr starken, selbstbewussten und teilweise ausgesprochen arroganten muslimischen (egal ob praktizierend oder nicht) Gemeinschaft zu tun, die sich eine von der Mehrheitsgesellschaft unabhängige Welt mit eigener Legislative, Judikative und Exekutive geschaffen hat. Kontakt zu Urdeutschen ist in dieser Gesellschaft gar nicht mehr nötig und oft auch nicht erwünscht.“ (Seite 16/17)

So wie dies die Situation auf der einen Seite charakterisiert, zeigt das Folgende die Denkfehler der „urdeutschen“ Seite auf: „Wenn urdeutsche [als Gegensatz zu Deutschländer] PolitikerInnen "Integration" sagen, meinen viele von ihnen damit "Assimilation". Ayse, in Deutschland lebend, will aber nicht Anja werden, denn zu ihrer Persönlichkeit und Identität gehören beide Kulturen.“ (Seite 37)

Seyran Ates weitet den Bogen des Buches über diese genannten Abgrenzungsfragen hin zu Fragen der Bildung (und damit Chancengleichheit) der Migranten (oder „Deutschländer“, wie sie die Deutschtürken bezeichnet) hin zu Fragen von der Reformierbarkeit des Islam. Insofern greift sie jedes Feld auf, das die Probleme der Integration in der Gesellschaft aufzeigt. Es ist klar, dass es sich bei vielen dieser Felder um Minenfelder handelt.

Als Credo Seyran Ates‘ kann dieser Satz gelten: „Die Mehrheitsgesellschaft kommt nicht mehr drum herum, sich mit den kulturell-religiös begründeten Sichtweisen der Deutschländer auseinanderzusetzen. Vorab muss allerdings klargestellt werden, dass ein friedliches Zusammenleben nur möglich ist, wenn kultureller Toleranz dort Grenzen gesetzt werden, wo es um Menschenrechtsverletzungen geht.“ (Seite 91)

Alles wird gewertet und gewichtet anhand der universellen Menschenrechte, nichts, was dagegen verstößt kann nach Auffassung der Autorin – und darin stimme ich ihr uneingeschränkt zu – in irgendeiner Weise von der Mehrheitsgesellschaft toleriert werden. Daher greift Ates vehement die deutsche Rechtsprechung vor allem da an, wo diese anstelle von für alle in Deutschland lebenden Bürgern das gleiche Recht gilt, die Gerichte aus vermeintlich religiöser Toleranz Urteile fällen, die den Menschenrechten widersprechen: „In einem Urteil von 10. November 1993 folgte das Verwaltungsgericht Freiburg bezüglich der Befreiung eines muslimischen Mädchens vom Sportunterricht dem Argument, der Prophet haben keinen Sport getrieben und auch niemanden aufgefordert, er solle sich sportlich betätigen. Mohammad fuhr weder Auto, noch besaß er ein Handy. Ob die Eltern des Mädchens wegen der Nachahmungspflicht auch auf diese zivilisatorischen Errungenschaften verzichtet haben?“ (Seite 141) Erinnert sei auch an das Urteil, in dem einer muslimischen Frau von Gerichts wegen zugemutet wurde, der körperlichen Gewalt ihres Ehemannes weiterhin ausgesetzt zu sein, da „dies kulturell bedingt“ sei. Hier stellt sich tatsächlich die Frage ob die Scharia in Deutschland bereits stillschweigend eingeführt wurde.