Xenu goes Berlin

BERLIN.

Eröffnung der Scientology-Zentrale.

Wie bei einem Fußballspiel mutet es an, schlendert

man an diesem Samstag, den 13. Januar 2007, durch die Berliner Otto-Suhr-Allee und trifft schließlich auf ein kleines Fahnenmeer deutscher, französischer, italienischer, spanischer, israelischer und weiterer Flaggen, die selbstbewusst durch die Luft geschwungen werden. Während etwa 1.500 aus ganz Europa per Reisebus angekarrten Scientology-Anhänger freudig erregt auf die offizielle Eröffnung der neuen Scientology-Zentrale in Berlins zentralem Stadtteil Charlottenburg warten, wird dieses (von Scientology selbst als „Großereignis" angekündigte) skurrile Schauspiel von den Berlinern selbst mit der dafür gebotenen Ignoranz behandelt.

Vielleicht gerade ein paar Dutzend Neugierige finden sich auf der anderen Straßenseite ein, um das seltsame Treiben vor dem Scientologen-Gebäude zu verfolgen. Nur ein einsames Plakat fordert: „Gehirnwäsche - Nein Danke!", der Aktivistin soll es im weiteren Verlauf - unter den kritischen Blicken der zahlreich anwesenden OSA-Mitarbeiter (beim „Office for Special Affairs" handelt es sich um eine Art Scientology-eigenen Geheimdienst) - sogar gelingen, das Schild ungehindert einige Minuten direkt vor dem Eingang zum Gebäude hoch zu halten. Die Medienpräsenz veranlasst die „Sicherheitsleute" zur Zurückhaltung.

„Hier kannst Du nicht stehen bleiben, bitte trete hinter die weiße Linie oder gehe weiter" - die Scientology-Ordner versuchen im Gedränge penibel, den Fahrradweg freizuhalten. Dem Antrag der Psycho-Sekte, die Otto-Suhr-Allee für die Zeit der Eröffnungsfeierlichkeiten wegen der „erwarteten 10.000 Besucher" sperren zu lassen, wurde von den städtischen Behörden nicht stattgegeben, da es sich um eine der Hauptverkehrsstraßen Berlins handelt. Aber man will nicht den geringsten Anlass für eine Ordnungswidrigkeit liefern. Auch in der unmittelbaren Nachbarschaft ist man nicht besonders erfreut über die neuen Nachbarn. Gleich nebenan an der Tür des Theaters „Tribüne" mahnt ein Hinweis: „Scientology-Mitarbeiter haben bei uns Hausverbot" - im Vorfeld des Eröffnungstages soll es wiederholt zu penetranten Besuchen derselbigen im Theater gekommen sein.

Ich mische mich in die Menge, stehe zwischen einer Gruppe spanisch und deutsch sprechender Scientology-Anhänger. Von der Terrasse des obersten Stockwerkes wird das Geschehen unten eifrig fotografiert. Ob es OSA-Leute sind - darüber kann man nur spekulieren. Es herrscht Partystimmung, hin und wieder werden Gesänge angestimmt, wie man sie aus den Rängen von Fußballstadien gewohnt ist. Ich will nicht auffallen, antworte bereitwillig auf Nachfragen meiner Nebenstehenden, wo ich den herkomme und andere Banalitäten. Nur nicht auffallen, denke ich mir und hoffe auf keine Nachfragen, die mich als Nicht-Scientologe „entlarven" könnten.

Es ist zwölf Uhr Mittag, die Eröffnung ist offiziell für 13.00 Uhr vorgesehen. Vielleicht erwartet man doch noch Gegendemonstrationen - was immer der Grund sein mag, auf jeden Fall entschließt man sich, die Eröffnung kurzerhand um eine Stunde vorzuverlegen. „Ich begrüße Euch alle, die Ihr so zahlreich zur heutigen Eröffnung gekommen seid!", dröhnt es aus den Lautsprechern. Und weiter: „Wir wollen Euch nicht länger warten lassen und beginnen gleich jetzt mit der Eröffnung des Gebäudes." Jubel bricht aus. Unter den lediglich vier namentlich genannten Ehrengästen, die jetzt begrüßt werden, lässt sich auch Prof. Hubertus Mynarek von der Scientologen-Menge feiern.

Mynarek, einst ein profunder und namhafter Kirchenkritiker und Freigeist, mutierte in den letzten Jahren zum bekanntesten Lobbyisten für Sekten und Psycho-Kulte aller Art und scheut sich auch nicht davor, seine „kirchenkritischen" Bücher im hauseigenen Verlag der Sekte „Universelles Leben" der „Prophetin" Gabriele Wittek zu publizieren. Eine goldene Schleife, die überdimensioniert an der Glasfassade des sechsstöckigen modernen Bürogebäudes angebracht wurde, wird nun mit einem Seilzug geöffnet. Als einziger Nicht-Applaudierender beginne ich in „meiner" Gruppe ein wenig aufzufallen.

Das Gebäude kann nun betreten und besichtigt werden.

Inmitten einer Gruppe Scientologen schreite ich an den am Eingang postierten Sicherheitsleuten der Scientology vorbei, hoffend, die Gesichtskontrolle zu bestehen. Nicht allen gelingt das. Eine Kollegin des Berliner „Tagesspiegels" wird erkannt und darf - wegen der Berichterstattung ihrer Zeitung im Vorfeld der Eröffnung - nicht rein. Eine Kamera im Ausstellungsbereich des Erdgeschosses, an der alle Besucher vorbeigeleitet werden, registriert jeden, der sich jetzt im Gebäude befindet.

Der technisch aufwendig und teuer eingerichtete Ausstellungsbereich informiert über Scientology, aber vor allem über ihren Gründer, den zweitklassigen Science-Fiction-Autor L. Ron Hubbard. So werde ich im Gedränge an verschiedensten Schautafeln vorbei geschoben: „L. Ron Hubbard - der Forscher", „L. Ron Hubbard - der Autor", „L. Ron Hubbard - der Menschenfreund" und was L. Ron Hubbard sonst noch so alles war. Auf modernen großformatigen Videoschirmen kann man sich mehrsprachig über seine Errettung durch Scientology informieren. Natürlich erfährt man hier nichts von den zahlreichen Opfern der Gehirnwäsche-Methoden des Psycho-Konzerns. Ebenso wenig über die irrationale Lehre von Scientology, die den Anhängern häppchenweise in unzähligen Stufen, deren Erreichen von Stufe zu Stufe immer teurere „Seminare" voraussetzt, vermittelt wird und die bei der krausen Erkenntnis endet, dass die Menschheit vor Abermillionen Jahren durch einen Außerirdischen namens „Xenu" geschaffen wurde, der mit einem Raumschiff (das wie ein DC 10-Flugzeug aussieht) auf die Erde kam und Heliumbomben in Vulkane warf. Stattdessen gibt man sich „wissenschaftlich", klärt über den analytischen und „reaktiven" Verstand auf und wie man „Abberationen" im Gehirn durch Hubbards „Dianetik" erkennen und beseitigen kann.

Vorbei an den adretten Hostessen am Empfangstresen werden wir zu den völlig überlasteten Aufzügen geschoben. Schwer zu beurteilen, ob man sich einfach sicher scheint, nur Scientologen befänden sich im Gebäude oder ob die Menschenmasse schlicht nicht mehr kontrollierbar ist, auf jeden Fall dürfte es nicht beabsichtigt gewesen sein, dass sich Außenstehende plötzlich ungehindert frei auf allen Etagen des Komplexes bewegen können. Ich nutze diese willkommene Gelegenheit, überspringe das noch für Besucher vorgesehene erste Stockwerk und beginne mich stattdessen vom sechsten Stockwerk abwärts durchzuarbeiten.

Ganz oben gelange ich in den Bereich des „Reinigungsprogramms" - ein spezielles Scientology-Programm zur „Reinigung" des Körpers von Giften, Drogen, Radioaktivität und derlei vielen anderen „körperfeindlichen Substanzen". Das Programm besteht darin, dass sich die Teilnehmer wochenlanger übertriebener Saunagänge, Laufprogrammen und der Einnahme eines speziell gemixten überdosierten Vitamingetränkes unterziehen müssen. Als ein so „Neugeborener" soll sich der Betreffende in seinem Körper dann wieder „richtig wohl fühlen". Mir gruselt es beim Gedanken an die armen Kandidaten, die sich der Prozedur unterwerfen müssen und es ist mir erst mal nach einer Zigarette, für die ich mich zwischen Großraumsauna und überdimensionierten computer-unterstützten Laufbändern, die man in dieser Dimension selbst in nobelsten Fitnessstudios kaum zu finden vermag, auf die Dachterrasse begebe. Selbst der nicht gerade berauschende dortige Blick auf eine Großstadtstraße bringt die hier ebenfalls rauchenden Scientologen in totale Verzückung. „Toll hier", spricht mich einer an, „das stelle ich mir richtig angenehm vor, hier nach dem Auditing so richtig zu entspannen!". „Hmm....ja.", sage ich nur, in der Hoffnung, hier jetzt nicht in einen Auditing-Erfahrungsaustausch treten zu müssen. Hastig rauche ich meine Zigarette und begebe mich wieder ins Innere. Etage für Etage arbeite ich mich durch, vorbei an den größtenteils geöffneten Büros der Führungskader der deutschen Scientology. Vorbei an den Büros der „Ethik-Offiziere" und des OSA. Zu meiner Überraschung sind nur einige Türen verschlossen, haben ein spezielles Nummerncode-Schließsystem. Meine mitgeführte Digitalkamera traue ich mich nicht aus der Tasche zu holen, „ein Königreich für ein Fotohandy" denke ich mir jetzt. Kein Büro, in dem nicht mindestens eines dieser „E-Meter" auf dem Schreibtisch steht, eine Art Lügendetektor, mit deren Hilfe sich Scientologen „therapieren". Ich komme sogar am Büro der Mitgliederverwaltung vorbei - endlose Reihen an Hängeregistern. Nur „Show" oder sind die wirklich alle gefüllt?

So langsam wird nun wohl auch den Verantwortlichen klar, dass sich eine ganze Reihe Nicht-Scientologen in sämtlichen Stockwerken aufhalten. Misstrauisch beäugen Sicherheitsleute die durch die Gänge huschenden Leute.

„Nicht auffallen!" ist die Devise, auch für einen Reporter des Tagesspiegels, dem es - im Gegensatz zu seiner Kollegin - gelang, die Gesichtskontrolle am Eingang zu bestehen. Auch er lässt seine Kamera stecken, geht zum Anfertigen seiner Notizen für den Artikel der Montagsausgabe auf die Toilette. Die riesige Tafel mit dem Organigramm des Berliner Büros, die er in seinem Artikel beschreiben wird, übersehe ich wohl. 1000 Positionen sind dort vorgesehen, wovon aber derzeit erst ca. 100 besetzt sind. Auch das Fahndungsplakat entgeht meiner Aufmerksamkeit, auf dem 1.000 Dollar Belohnung ausgelobt werden, wenn man einen Abweichler anschwärzt.

Dass dieses Gebäude mehr ist, als eine „Niederlassung für Berlin", wo es nach unabhängigen Schätzungen nur etwa 200 Scientology-Mitglieder geben soll, wird einem schnell klar. So gibt es einen – allerdings verschlossenen – Bereich der „Flag-Division". „Flag" – das ist die Weltzentrale der Scientology. Hier sitzen wohl die Anleiter. Neben einer Bibliothek (die natürlich nur Bücher von Hubbard enthält) und unzähligen Seminarräumen, beherbergt das Gebäude ein eigenes kleines Kino, wohl für Schulungs- oder Werbefilmchen und sogar ein eigenes Büro für den in den achtziger Jahren verstorbenen Kult-Gründer L. Ron Hubbard. Dieses Büro mag den Eindruck eines symbolischen Aktes erwecken, es ist aber nachvollziehbar, wenn man weiß, dass bei Scientology der „Thetan", das vom sterblichen Körper unabhängige geistige Wesen, eine zentrale Rolle spielt. Vermutlich geht man wohl davon aus, dass Hubbards Thetan das Büro auch wirklich nutzen wird.

Die Eröffnung der Berliner Zentrale fügt sich ein in eine seit einiger Zeit laufende Strategie des Psychokult-Konzerns, der in den Hauptstädten Europas so genannte „ideale Orgs" aufbaut. Zuletzt eröffnete Scientology solche Zentralen in Städten wie Brüssel, wo zu den aufwendig inszenierten Eröffnungen stets Vorzeige-Scientologen wie Tom Cruise oder John Travolta erschienen. Auf die Präsenz dieser Hollywood-Schauspieler verzichtet man in Berlin - zum Leidwesen einiger enttäuschten anwesenden Scientology-Anhänger. „Clear Europe" heißt diese derzeitige Strategie im Scientology-Jargon. Ganz nah will man den Entscheidungsträgern in Politik und Wirtschaft sein. Die örtliche Nähe zum Berliner Regierungsviertel ist dabei durchaus beabsichtigt. Ob diese Lobbyismus-Strategie in Deutschland aufgehen wird, wird sich zeigen. Geld wird jedenfalls massiv dafür investiert und die kostspielige Berliner Scientology-Zentrale soll dies manifestieren. In den USA funktioniert diese Strategie schon seit vielen Jahren. So prangert das US-Außenministerium regelmäßig die „Unterdrückung der Religionsfreiheit in Deutschland" an, und zwar unter ausdrücklicher Bezugnahme auf den kritischen Umgang mit Scientology.

Die „Kapelle" will ich mir nun noch ansehen, das spirituelle Feigenblatt des Psycho-Kultes, der sich in der öffentlichen Wahrnehmung gerne als Religion gesehen haben möchte. Drei Sicherheitsleute versperren den Zugang. Es geht jetzt nicht, weil darin gleich die „offizielle Eröffnungsfeierlichkeit" beginne. Auf einer Großleinwand vor dem Gebäude soll die Zeremonie live übertragen werden. Zumindest, wenn die Stadt Berlin dies im letzten Augenblick doch noch genehmigt haben sollte. Ich verlasse das Gebäude. Die elektronische Großbildleinwand ist schwarz. „Gut so!", denke ich mir und gönne Hubertus Mynarek sein ganz besonderes Erlebnis im geschlossenen Kreise.

 

Roland B. Buhr