Religiöse Legenden für ideologische Interessen

(hpd) Der Journalist Christian Schüle fragt in seinem Buch nach der historischen Angemessenheit von biblischen Berichten, wobei er in den damit angesprochenen Ereignissen nur religiöse Legenden zur Rechtfertigung seinerzeitiger ideologischer Interessen sieht. Es handelt sich um ein locker geschriebenes Buch – leider ohne genaue Belege und Literaturverweise – aber auf Basis neuester Forschungsergebnisse aus der Archäologie.

 

Die Rede vom „Paradies“ und der „Sintflut“, von „Sodom und Gomorrha“ oder von „David gegen Goliath“ ist in die Alltagssprache eingegangen. Solche Bilder und Formulierungen gehen zurück auf Schilderungen aus dem Alten Testament der Bibel. Doch handelt es sich dabei um Geschichte oder Geschichten? Oder anders formuliert: Stehen die damit verbundenen Inhalte für historische Ereignisse oder erfundenen Legenden? Zu dieser Frage kann man in Öffentlichkeit und Wissenschaft unterschiedliche Antworten finden. Der Journalist Christian Schüle, freier Autor für „National Geographic“, „Rheinischer Merkur“ und „Die Zeit“, positioniert sich dazu bereits im Titel seines Buchs klar: „Die Bibel irrt. Die sieben großen Mythen auf dem Prüfstand“. Er will darin die Frage klären, „wo die Bibelautoren fehlen, warum sie es ausgerechnet an jener Stelle tun, ob sie gar absichtlich irren, und wenn ja, mit welcher Intention.“ Denn: „Nichts, was in der Bibel zum Ausdruck kam, steht ohne Sinn, ohne Absicht und ohne Willen genau dort, wo es zu finden ist“ (S. 10).

Aus dieser Perspektive heraus untersucht der Autor die sieben berühmtesten Mythen des Alten Testaments bezüglich ihrer historischen Wahrheit, aber auch ihrer politischen Botschaft und moralischen Kraft: das „Paradies“, die „Sintflut“, „Sodom und Gomorrha“, „Moses und den Exodus“, die „Schlacht um Jericho“, „David gegen Goliath“ und die „Bundeslade“. Die Ergebnisse der archäologischen Forschung zeigten, so die bilanzierende Einschätzung, dass zwar alle Mythen über einen realen Kern in historischen Gegebenheiten verfügten, letztendlich aber lediglich Erzählungen im fiktionalen Sinne seien. Denn: „Die Bibel ist Ideologie von A bis Z und wurde mit dem Ziel verfasst, einer bestimmten Gruppe von Menschen im alten Vorderen Orient eine politische, kulturelle, religiöse Selbstbegründung und deren geografische Verortung zu geben. Dass dies in Form des geschriebenen Wortes, eines Buches, geschah, war etwas Neues in der Geschichte des menschlichen Geistes. Etwas Revolutionäres in der kulturellen Evolution der Menschheit“ (S. 19).

Schüle trägt in dem Buch die Eindrücke von eigenen Forschungsreisen und die Erkenntnisse der archäologischen Entdeckungen an den angeblichen Originalschauplätzen der biblischen Legenden zusammen. Gleichzeitig macht er in vergleichenden Betrachtungen mit anderen religiösen Mythen deutlich, wie sehr die Autoren des Alten Testaments sich bezüglich ihrer Legenden bei fremden Glaubensformen bedient haben. Dies alles geschieht in lockerer journalistischer Schreibe, wobei der Autor leider auf genaue Belege und weiterführende Literaturhinweise verzichtet. Gleichwohl liefert er dadurch eine aktuelle Bilanz der kritischen Forschung zum Thema. Dabei zeigt sich nicht nur, dass viele Geschichten im Alten Testament nur beeindruckende Legenden ohne historische Realität sind. Schüle macht auch deutlich, dass es im historischen Kontext der Entstehung dieser Legenden um eine besondere ideologische Botschaft ging. Nur so erklärt er sich auch den wirkmächtigen Charakter der Bibel, deren metaphysischen Gehalt aber nicht in Frage gestellt werden solle.

Armin Pfahl-Traughber

Christian Schüle, Die Bibel irrt. Die sieben großen Mythen auf dem Prüfstand, Reinbek 2010 (Rowohlt-Verlag), 255 S., 19,95 €